Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

ihm komme, sehe er immer so ernst aus und sei so
wortkarg, hatte sie sich beklagt, und studire immer
in so vielen Büchern oder kritzele auf einem großen
Blatte Papier herum -- mit ihr aber plaudere
er stets nur loses, leichtes Zeug -- warum lese er ihr
denn nicht einmal aus einem seiner Bücher vor --?
Emmy war wirklich zeitweilig ein zu spaßiges Ding.
Einmal hatte Adam sie auf jenen Vorwurf hin
in die Sophaecke gedrückt .. hatte sehr sonderbar
gelächelt .. ihre dünnen, schmalen Lippenbänkchen
unzweideutig versessen geküßt ... und dann be-
gonnen, an den Brustknöpfen ihres Jaquets zu
nesteln --: das war seine ganze Antwort gewesen.
O! Emmy hatte verstanden -- -- ja! ja! Sie wußte
wohl, daß sie ihm gefiel .. und das freute sie auch
tüchtig, denn ihr gefiel dieser Herr Doctor nicht
minder -- aber ein klein Wenig hatte sie es doch
geärgert, daß er öfter so gar nicht auf sie eingehen
wollte ... Nun! es war immerhin schon viel,
daß er sie mit feinstem Zartgefühl behandelte ..
nicht .. gar nicht, als wäre sie auch .. auch "so
Eine" -- "so Eine", wie sie es ... im Grunde ja
doch war.

Nun ja! Kellnerin war sie gewesen -- und jetzt
"privatisirte" sie. Aber jeden Augenblick konnte sie
wieder irgendwo Stellung nehmen -- schließlich wieder
in ein Geschäft als Verkäuferin eintreten .. oder als
Putzmacherin, Maschinennähterin, "kalte Mamsell" oder
so etwas Aehnliches "gehen" -- jedoch ... war dazu
nicht immer noch Zeit? Warum denn nicht? Jetzt lebte

ihm komme, ſehe er immer ſo ernſt aus und ſei ſo
wortkarg, hatte ſie ſich beklagt, und ſtudire immer
in ſo vielen Büchern oder kritzele auf einem großen
Blatte Papier herum — mit ihr aber plaudere
er ſtets nur loſes, leichtes Zeug — warum leſe er ihr
denn nicht einmal aus einem ſeiner Bücher vor —?
Emmy war wirklich zeitweilig ein zu ſpaßiges Ding.
Einmal hatte Adam ſie auf jenen Vorwurf hin
in die Sophaecke gedrückt .. hatte ſehr ſonderbar
gelächelt .. ihre dünnen, ſchmalen Lippenbänkchen
unzweideutig verſeſſen geküßt ... und dann be-
gonnen, an den Bruſtknöpfen ihres Jaquets zu
neſteln —: das war ſeine ganze Antwort geweſen.
O! Emmy hatte verſtanden — — ja! ja! Sie wußte
wohl, daß ſie ihm gefiel .. und das freute ſie auch
tüchtig, denn ihr gefiel dieſer Herr Doctor nicht
minder — aber ein klein Wenig hatte ſie es doch
geärgert, daß er öfter ſo gar nicht auf ſie eingehen
wollte ... Nun! es war immerhin ſchon viel,
daß er ſie mit feinſtem Zartgefühl behandelte ..
nicht .. gar nicht, als wäre ſie auch .. auch „ſo
Eine“ — „ſo Eine“, wie ſie es ... im Grunde ja
doch war.

Nun ja! Kellnerin war ſie geweſen — und jetzt
„privatiſirte“ ſie. Aber jeden Augenblick konnte ſie
wieder irgendwo Stellung nehmen — ſchließlich wieder
in ein Geſchäft als Verkäuferin eintreten .. oder als
Putzmacherin, Maſchinennähterin, „kalte Mamſell“ oder
ſo etwas Aehnliches „gehen“ — jedoch ... war dazu
nicht immer noch Zeit? Warum denn nicht? Jetzt lebte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0188" n="180"/>
ihm komme, &#x017F;ehe er immer &#x017F;o ern&#x017F;t aus und &#x017F;ei &#x017F;o<lb/>
wortkarg, hatte &#x017F;ie &#x017F;ich beklagt, und &#x017F;tudire immer<lb/>
in &#x017F;o vielen Büchern oder kritzele auf einem großen<lb/>
Blatte Papier herum &#x2014; mit ihr aber plaudere<lb/>
er &#x017F;tets nur lo&#x017F;es, leichtes Zeug &#x2014; warum le&#x017F;e er ihr<lb/>
denn nicht einmal aus einem &#x017F;einer Bücher vor &#x2014;?<lb/>
Emmy war wirklich zeitweilig ein zu &#x017F;paßiges Ding.<lb/>
Einmal hatte Adam &#x017F;ie auf jenen Vorwurf hin<lb/>
in die Sophaecke gedrückt .. hatte &#x017F;ehr &#x017F;onderbar<lb/>
gelächelt .. ihre dünnen, &#x017F;chmalen Lippenbänkchen<lb/>
unzweideutig ver&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en geküßt ... und dann be-<lb/>
gonnen, an den Bru&#x017F;tknöpfen ihres Jaquets zu<lb/>
ne&#x017F;teln &#x2014;: das war &#x017F;eine ganze Antwort gewe&#x017F;en.<lb/>
O! Emmy hatte ver&#x017F;tanden &#x2014; &#x2014; ja! ja! Sie wußte<lb/>
wohl, daß &#x017F;ie ihm gefiel .. und das freute &#x017F;ie auch<lb/>
tüchtig, denn ihr gefiel die&#x017F;er Herr Doctor nicht<lb/>
minder &#x2014; aber ein klein Wenig hatte &#x017F;ie es doch<lb/>
geärgert, daß er öfter &#x017F;o gar nicht auf &#x017F;ie eingehen<lb/>
wollte ... Nun! es war immerhin &#x017F;chon viel,<lb/>
daß er &#x017F;ie mit fein&#x017F;tem Zartgefühl behandelte ..<lb/>
nicht .. gar nicht, als wäre &#x017F;ie auch .. auch &#x201E;&#x017F;o<lb/>
Eine&#x201C; &#x2014; &#x201E;&#x017F;o Eine&#x201C;, wie &#x017F;ie es ... im Grunde ja<lb/>
doch war.</p><lb/>
        <p>Nun ja! Kellnerin war &#x017F;ie gewe&#x017F;en &#x2014; und jetzt<lb/>
&#x201E;privati&#x017F;irte&#x201C; &#x017F;ie. Aber jeden Augenblick konnte &#x017F;ie<lb/>
wieder irgendwo Stellung nehmen &#x2014; &#x017F;chließlich wieder<lb/>
in ein Ge&#x017F;chäft als Verkäuferin eintreten .. oder als<lb/>
Putzmacherin, Ma&#x017F;chinennähterin, &#x201E;kalte Mam&#x017F;ell&#x201C; oder<lb/>
&#x017F;o etwas Aehnliches &#x201E;gehen&#x201C; &#x2014; jedoch ... war dazu<lb/>
nicht immer noch Zeit? Warum denn nicht? Jetzt lebte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0188] ihm komme, ſehe er immer ſo ernſt aus und ſei ſo wortkarg, hatte ſie ſich beklagt, und ſtudire immer in ſo vielen Büchern oder kritzele auf einem großen Blatte Papier herum — mit ihr aber plaudere er ſtets nur loſes, leichtes Zeug — warum leſe er ihr denn nicht einmal aus einem ſeiner Bücher vor —? Emmy war wirklich zeitweilig ein zu ſpaßiges Ding. Einmal hatte Adam ſie auf jenen Vorwurf hin in die Sophaecke gedrückt .. hatte ſehr ſonderbar gelächelt .. ihre dünnen, ſchmalen Lippenbänkchen unzweideutig verſeſſen geküßt ... und dann be- gonnen, an den Bruſtknöpfen ihres Jaquets zu neſteln —: das war ſeine ganze Antwort geweſen. O! Emmy hatte verſtanden — — ja! ja! Sie wußte wohl, daß ſie ihm gefiel .. und das freute ſie auch tüchtig, denn ihr gefiel dieſer Herr Doctor nicht minder — aber ein klein Wenig hatte ſie es doch geärgert, daß er öfter ſo gar nicht auf ſie eingehen wollte ... Nun! es war immerhin ſchon viel, daß er ſie mit feinſtem Zartgefühl behandelte .. nicht .. gar nicht, als wäre ſie auch .. auch „ſo Eine“ — „ſo Eine“, wie ſie es ... im Grunde ja doch war. Nun ja! Kellnerin war ſie geweſen — und jetzt „privatiſirte“ ſie. Aber jeden Augenblick konnte ſie wieder irgendwo Stellung nehmen — ſchließlich wieder in ein Geſchäft als Verkäuferin eintreten .. oder als Putzmacherin, Maſchinennähterin, „kalte Mamſell“ oder ſo etwas Aehnliches „gehen“ — jedoch ... war dazu nicht immer noch Zeit? Warum denn nicht? Jetzt lebte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/188
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/188>, abgerufen am 01.05.2024.