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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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deutung besitzen, als sie bisher geglaubt hatte.
Diese Folgerung erfüllte sie mit einem gewissen
Stolze. Sie wuchs vor sich .. und zugleich wuchs,
vertiefte und veredelte sich ihre Theilnahme für
Adam. Sie dachte an jene bewegte Stunde zurück,
da er vor ihr auf den Knieen gelegen und um
ihre Liebe geworben .. Sie konnte jetzt nicht be-
greifen, daß sie ihn damals so spöttisch abgewiesen ...
so souverän-mütterlich behandelt ... daß sie selbst
in jener Scene so oberflächlich und äußerlich gefühlt
hatte. Sie hätte ihn jetzt am Liebsten an die
Brust gezogen und geküßt. Da war kein Zweifel
mehr: er liebte sie -- und sie? -- Nun! sie
liebte ihn auch, diesen wunderlichen Menschen --
sie liebte ihn, trotzdem er ein ziemlich loser und
unzuverlässiger Gesell zu sein schien. Plötzlich war
es ihr klar geworden .. und von dem ungestümen
Drange ihrer Gefühle ließen sich alle Zweifel
und Bedenken bequem in eitel Dunst zerblasen.
Die ganze Lebhaftigkeit ihrer Natur machte sich
geltend und war im Begriff, entscheidend zu wirken.
Allein! sie war doch zu feinfühlend ... und zu rück-
sichtsvoll gegen die "gute Sitte" .. war zu sehr Welt-
dame, um sich hier auf offener Landstraße, in
Gegenwart ihres Kutschers, zwanglos gehen lassen
zu können. Der Druck der Situation engagirte sie und
löste beinahe wieder eine ironische Stimmung in ihr
aus. Sie wußte nicht, daß Adam zumeist deshalb
von ihrem Geständniß so betroffen war, weil ihm
damit im selben Augenblick eine ganze Zukunftswelt

deutung beſitzen, als ſie bisher geglaubt hatte.
Dieſe Folgerung erfüllte ſie mit einem gewiſſen
Stolze. Sie wuchs vor ſich .. und zugleich wuchs,
vertiefte und veredelte ſich ihre Theilnahme für
Adam. Sie dachte an jene bewegte Stunde zurück,
da er vor ihr auf den Knieen gelegen und um
ihre Liebe geworben .. Sie konnte jetzt nicht be-
greifen, daß ſie ihn damals ſo ſpöttiſch abgewieſen ...
ſo ſouverän-mütterlich behandelt ... daß ſie ſelbſt
in jener Scene ſo oberflächlich und äußerlich gefühlt
hatte. Sie hätte ihn jetzt am Liebſten an die
Bruſt gezogen und geküßt. Da war kein Zweifel
mehr: er liebte ſie — und ſie? — Nun! ſie
liebte ihn auch, dieſen wunderlichen Menſchen —
ſie liebte ihn, trotzdem er ein ziemlich loſer und
unzuverläſſiger Geſell zu ſein ſchien. Plötzlich war
es ihr klar geworden .. und von dem ungeſtümen
Drange ihrer Gefühle ließen ſich alle Zweifel
und Bedenken bequem in eitel Dunſt zerblaſen.
Die ganze Lebhaftigkeit ihrer Natur machte ſich
geltend und war im Begriff, entſcheidend zu wirken.
Allein! ſie war doch zu feinfühlend ... und zu rück-
ſichtsvoll gegen die „gute Sitte“ .. war zu ſehr Welt-
dame, um ſich hier auf offener Landſtraße, in
Gegenwart ihres Kutſchers, zwanglos gehen laſſen
zu können. Der Druck der Situation engagirte ſie und
löſte beinahe wieder eine ironiſche Stimmung in ihr
aus. Sie wußte nicht, daß Adam zumeiſt deshalb
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[192/0200] deutung beſitzen, als ſie bisher geglaubt hatte. Dieſe Folgerung erfüllte ſie mit einem gewiſſen Stolze. Sie wuchs vor ſich .. und zugleich wuchs, vertiefte und veredelte ſich ihre Theilnahme für Adam. Sie dachte an jene bewegte Stunde zurück, da er vor ihr auf den Knieen gelegen und um ihre Liebe geworben .. Sie konnte jetzt nicht be- greifen, daß ſie ihn damals ſo ſpöttiſch abgewieſen ... ſo ſouverän-mütterlich behandelt ... daß ſie ſelbſt in jener Scene ſo oberflächlich und äußerlich gefühlt hatte. Sie hätte ihn jetzt am Liebſten an die Bruſt gezogen und geküßt. Da war kein Zweifel mehr: er liebte ſie — und ſie? — Nun! ſie liebte ihn auch, dieſen wunderlichen Menſchen — ſie liebte ihn, trotzdem er ein ziemlich loſer und unzuverläſſiger Geſell zu ſein ſchien. Plötzlich war es ihr klar geworden .. und von dem ungeſtümen Drange ihrer Gefühle ließen ſich alle Zweifel und Bedenken bequem in eitel Dunſt zerblaſen. Die ganze Lebhaftigkeit ihrer Natur machte ſich geltend und war im Begriff, entſcheidend zu wirken. Allein! ſie war doch zu feinfühlend ... und zu rück- ſichtsvoll gegen die „gute Sitte“ .. war zu ſehr Welt- dame, um ſich hier auf offener Landſtraße, in Gegenwart ihres Kutſchers, zwanglos gehen laſſen zu können. Der Druck der Situation engagirte ſie und löſte beinahe wieder eine ironiſche Stimmung in ihr aus. Sie wußte nicht, daß Adam zumeiſt deshalb von ihrem Geſtändniß ſo betroffen war, weil ihm damit im ſelben Augenblick eine ganze Zukunftswelt

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/200>, abgerufen am 01.05.2024.