in [n]aher Zukunft ein neuer Wermuthskelch wieder ein[m]al -- nicht an ihm vorübergehen würde -- daß er noch Jahre .. noch drei, vier Jahre lang är[m]lich und erbärmlich wie die bewußte Kirchen- ma[u]s würde leben müssen -- und die ganze Fülle der Kräfte, die in ihm rang und stritt und nach Au[s]bruch und Bethätigung lechzte, würde entweder verl[e]ugnen, eindämmen, einsargen, "kaltstellen", er- sticke[n] oder -- in ein Strombett lenken müssen, das sein[e]n Lauf nach dem an materieller Ausbeute gewiß reich[e]ren Meere des "praktischen" Lebens nimmt ...
[U]nd die Stunden, Wochen, Monate und Jahre kam[e]n und gingen -- und Adam Mensch durchlebte sie: ein Sclave seiner Armuth und ein Freier zu- gleic[h]. Die große Fluth des Lebens umbrandete ihn. Abe[r] er hatte kaum einen Platz an der Tafel dieses Lebe[n]s. Durch Ertheilen von Privatunterricht ver- dient[e] er sich nothdürftig die paar Kreuzer, die dazu gehö[r]ten, um ihn überhaupt über Wasser zu erhalten. Man[c]hmal, wenn es ihm gar zu heiß in der Brust wurd[e], sprang er mitten ins Leben hinein und spielt[e] trotzig va banque. Dann staunte er wohl auch dieses so bunte, so verwickelte Leben an, und es d[ü]nkte ihn bisweilen gar nicht so schwer, Fuß in ihm [z]u fassen und auf all das tausendfältig Kleine und [B]esondere, das sich nun plötzlich vor ihm auf- rollte, liebevoll einzugehen. In Stunden des Tau[m]els riß er ein verlorenes Weib an seine Mens[ch]enbrust und lachte und schwelgte und weinte mit [d]er Armuth und mit der Schmach. Sein
in [n]aher Zukunft ein neuer Wermuthskelch wieder ein[m]al — nicht an ihm vorübergehen würde — daß er noch Jahre .. noch drei, vier Jahre lang är[m]lich und erbärmlich wie die bewußte Kirchen- ma[u]s würde leben müſſen — und die ganze Fülle der Kräfte, die in ihm rang und ſtritt und nach Au[s]bruch und Bethätigung lechzte, würde entweder verl[e]ugnen, eindämmen, einſargen, „kaltſtellen“, er- ſticke[n] oder — in ein Strombett lenken müſſen, das ſein[e]n Lauf nach dem an materieller Ausbeute gewiß reich[e]ren Meere des „praktiſchen“ Lebens nimmt ...
[U]nd die Stunden, Wochen, Monate und Jahre kam[e]n und gingen — und Adam Menſch durchlebte ſie: ein Sclave ſeiner Armuth und ein Freier zu- gleic[h]. Die große Fluth des Lebens umbrandete ihn. Abe[r] er hatte kaum einen Platz an der Tafel dieſes Lebe[n]s. Durch Ertheilen von Privatunterricht ver- dient[e] er ſich nothdürftig die paar Kreuzer, die dazu gehö[r]ten, um ihn überhaupt über Waſſer zu erhalten. Man[c]hmal, wenn es ihm gar zu heiß in der Bruſt wurd[e], ſprang er mitten ins Leben hinein und ſpielt[e] trotzig va banque. Dann ſtaunte er wohl auch dieſes ſo bunte, ſo verwickelte Leben an, und es d[ü]nkte ihn bisweilen gar nicht ſo ſchwer, Fuß in ihm [z]u faſſen und auf all das tauſendfältig Kleine und [B]eſondere, das ſich nun plötzlich vor ihm auf- rollte, liebevoll einzugehen. In Stunden des Tau[m]els riß er ein verlorenes Weib an ſeine Menſ[ch]enbruſt und lachte und ſchwelgte und weinte mit [d]er Armuth und mit der Schmach. Sein
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[15/0023]
in naher Zukunft ein neuer Wermuthskelch wieder
einmal — nicht an ihm vorübergehen würde —
daß er noch Jahre .. noch drei, vier Jahre lang
ärmlich und erbärmlich wie die bewußte Kirchen-
maus würde leben müſſen — und die ganze Fülle
der Kräfte, die in ihm rang und ſtritt und nach
Ausbruch und Bethätigung lechzte, würde entweder
verleugnen, eindämmen, einſargen, „kaltſtellen“, er-
ſticken oder — in ein Strombett lenken müſſen, das
ſeinen Lauf nach dem an materieller Ausbeute gewiß
reicheren Meere des „praktiſchen“ Lebens nimmt ...
Und die Stunden, Wochen, Monate und Jahre
kamen und gingen — und Adam Menſch durchlebte
ſie: ein Sclave ſeiner Armuth und ein Freier zu-
gleich. Die große Fluth des Lebens umbrandete ihn.
Aber er hatte kaum einen Platz an der Tafel dieſes
Lebens. Durch Ertheilen von Privatunterricht ver-
diente er ſich nothdürftig die paar Kreuzer, die dazu
gehörten, um ihn überhaupt über Waſſer zu erhalten.
Manchmal, wenn es ihm gar zu heiß in der Bruſt
wurde, ſprang er mitten ins Leben hinein und
ſpielte trotzig va banque. Dann ſtaunte er wohl
auch dieſes ſo bunte, ſo verwickelte Leben an, und
es dünkte ihn bisweilen gar nicht ſo ſchwer, Fuß in
ihm zu faſſen und auf all das tauſendfältig Kleine
und Beſondere, das ſich nun plötzlich vor ihm auf-
rollte, liebevoll einzugehen. In Stunden des
Taumels riß er ein verlorenes Weib an ſeine
Menſchenbruſt und lachte und ſchwelgte und weinte
mit der Armuth und mit der Schmach. Sein
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/23>, abgerufen am 15.10.2024.
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