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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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Reizen genossen hat und einigermaßen soweit zu-
frieden ist, um nicht allzuviel von einem proble-
matischen anderen Leben noch erwarten zu müssen ..
Das ist so ein Resultat, zu dem man kommt, eine
der schönen und holden Erfahrungen, die man an
sich macht. Eine andere Erfahrung, die bei solchen
verwickelten und zerdröselten "Persönlichkeiten", wie
Unsereiner nun einmal eine ist, auftritt -- und noch
dazu mit jener ersten oft in intimster, örtlicher und
zeitlicher Nachbarschaft, ist die, daß man die indivi-
duelle Differenz mit der Gesellschaft, der Menge,
der Masse festhält, ja erweitert, steigert .. Man
sagt sich von einer Anschauung nach der anderen,
an welcher die Gesellschaft ihrer lumpichten Fort-
existenz halber festhalten zu müssen glaubt, los --
kritisirt Alles und man verwirft Alles, Formen,
Ideen, Einrichtungen, Anschauungen, Gewohnheiten ...
Ist man sich in Diesem und Jenem noch nicht klar
darüber, ob man Ja! oder Nein! dazu sagen soll --
weiß der Teufel! -- man hat doch eine instinktive
Abneigung dagegen .. Oft begnügt man sich mit
dieser instinktiven Abneigung, man verwirft, weil
man einmal im Zuge ist, zu verwerfen -- und
kommt so zu einer Paralyse des Seelenlebens, die
entsetzlich ist und auf die Dauer unerträglich. Mit
der Zeit wird man aber auch hierin stumpfer und
gleichgültiger. Man wird überhaupt müde und
lethargisch. -- Das ist schon kein "Pessimismus"
mehr, das ist regelrechte Decadence und Auflösung
des ganzen Menschen. Vielleicht befinde ich mich

Reizen genoſſen hat und einigermaßen ſoweit zu-
frieden iſt, um nicht allzuviel von einem proble-
matiſchen anderen Leben noch erwarten zu müſſen ..
Das iſt ſo ein Reſultat, zu dem man kommt, eine
der ſchönen und holden Erfahrungen, die man an
ſich macht. Eine andere Erfahrung, die bei ſolchen
verwickelten und zerdröſelten „Perſönlichkeiten“, wie
Unſereiner nun einmal eine iſt, auftritt — und noch
dazu mit jener erſten oft in intimſter, örtlicher und
zeitlicher Nachbarſchaft, iſt die, daß man die indivi-
duelle Differenz mit der Geſellſchaft, der Menge,
der Maſſe feſthält, ja erweitert, ſteigert .. Man
ſagt ſich von einer Anſchauung nach der anderen,
an welcher die Geſellſchaft ihrer lumpichten Fort-
exiſtenz halber feſthalten zu müſſen glaubt, los —
kritiſirt Alles und man verwirft Alles, Formen,
Ideen, Einrichtungen, Anſchauungen, Gewohnheiten ...
Iſt man ſich in Dieſem und Jenem noch nicht klar
darüber, ob man Ja! oder Nein! dazu ſagen ſoll —
weiß der Teufel! — man hat doch eine inſtinktive
Abneigung dagegen .. Oft begnügt man ſich mit
dieſer inſtinktiven Abneigung, man verwirft, weil
man einmal im Zuge iſt, zu verwerfen — und
kommt ſo zu einer Paralyſe des Seelenlebens, die
entſetzlich iſt und auf die Dauer unerträglich. Mit
der Zeit wird man aber auch hierin ſtumpfer und
gleichgültiger. Man wird überhaupt müde und
lethargiſch. — Das iſt ſchon kein „Peſſimismus“
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[448/0456] Reizen genoſſen hat und einigermaßen ſoweit zu- frieden iſt, um nicht allzuviel von einem proble- matiſchen anderen Leben noch erwarten zu müſſen .. Das iſt ſo ein Reſultat, zu dem man kommt, eine der ſchönen und holden Erfahrungen, die man an ſich macht. Eine andere Erfahrung, die bei ſolchen verwickelten und zerdröſelten „Perſönlichkeiten“, wie Unſereiner nun einmal eine iſt, auftritt — und noch dazu mit jener erſten oft in intimſter, örtlicher und zeitlicher Nachbarſchaft, iſt die, daß man die indivi- duelle Differenz mit der Geſellſchaft, der Menge, der Maſſe feſthält, ja erweitert, ſteigert .. Man ſagt ſich von einer Anſchauung nach der anderen, an welcher die Geſellſchaft ihrer lumpichten Fort- exiſtenz halber feſthalten zu müſſen glaubt, los — kritiſirt Alles und man verwirft Alles, Formen, Ideen, Einrichtungen, Anſchauungen, Gewohnheiten ... Iſt man ſich in Dieſem und Jenem noch nicht klar darüber, ob man Ja! oder Nein! dazu ſagen ſoll — weiß der Teufel! — man hat doch eine inſtinktive Abneigung dagegen .. Oft begnügt man ſich mit dieſer inſtinktiven Abneigung, man verwirft, weil man einmal im Zuge iſt, zu verwerfen — und kommt ſo zu einer Paralyſe des Seelenlebens, die entſetzlich iſt und auf die Dauer unerträglich. Mit der Zeit wird man aber auch hierin ſtumpfer und gleichgültiger. Man wird überhaupt müde und lethargiſch. — Das iſt ſchon kein „Peſſimismus“ mehr, das iſt regelrechte Décadence und Auflöſung des ganzen Menſchen. Vielleicht befinde ich mich

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/456>, abgerufen am 26.04.2024.