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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die öffentliche Pflege von Wissenschaft und Kunst.
zuerst auf öffentliche Veranstaltung die Urkunden des geistigen
Lebens der Hellenen gesammelt und geordnet wurden, daß
man hier schon in der Tyrannenzeit eine öffentliche Bibliothek
anlegte und daß man nicht nur auf die Vollständigkeit, sondern
auch auf die Reinheit der Ueberlieferung das Augenmerk rich¬
tete, wie an einem glänzenden Beispiele das Staatsexemplar
der Tragödien beweist. So finden wir hier die Keime und
Vorbilder dessen, was in der hellenistischen Zeit geschehen ist.

Als nämlich die griechischen Städte ihr politisches Leben
geschlossen hatten, trat die geistige Arbeit, welche in ihnen
allmählich zu Stande gekommen war, als die Hauptsache her¬
vor; das erschien jetzt als der eigentliche Inhalt der griechi¬
schen Geschichte. Das war der Schatz, dessen man jetzt erst
recht bewußt wurde, das geistige Capital, welches man hüten,
mehren und in den weitesten Kreisen verwerthen müsse. Die
Wissenschaft wurde nun eine Staatsangelegenheit ersten Rangs;
die Gelehrten traten aus ihrer Zurückgezogenheit in die glän¬
zendsten Stellungen und jene Forderung, mit welcher der zum
Tode gehende Sokrates seine Richter erbittert hatte, indem sie
als eine wahnsinnige Selbstüberhebung angesehen werden
mußte, wurde nun von den Großen der Erde in überschwäng¬
lichem Maß erfüllt. Denn sie gewährten den Vertretern hel¬
lenischer Wissenschaft als Ehrenbürgern öffentlichen Unterhalt
am Staatsherde, wie es in den alten Republiken mit den
olympischen Siegern geschah, ehrten sie, welche in sorgenfreier
Muße an den Geschäften des Staats unbetheiligt waren, als
die größten Wohlthäter desselben und statteten sie mit fürstlichen
Privilegien aus. Die Ersten in der Reihe der Ptolemäer und
Pergamener hatten wahre Liebe zur Wissenschaft; sie suchten
wie Perikles aus persönlicher Neigung den Umgang der Ge¬
lehrten und hatten eigene Freude, wenn sie mit ihnen durch
die Räume wandelten, wo die geistigen Schätze des Morgen-
und Abendlandes zum ersten Male vereinigt waren. Es war
aber ihr Verhalten von Anfang an auch eine sehr bewußte
Politik; denn die Nachfolger Alexander's hatten zum Beherr¬
schen des Orients keinen anderen Rechtstitel als den der

Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt.
zuerſt auf öffentliche Veranſtaltung die Urkunden des geiſtigen
Lebens der Hellenen geſammelt und geordnet wurden, daß
man hier ſchon in der Tyrannenzeit eine öffentliche Bibliothek
anlegte und daß man nicht nur auf die Vollſtändigkeit, ſondern
auch auf die Reinheit der Ueberlieferung das Augenmerk rich¬
tete, wie an einem glänzenden Beiſpiele das Staatsexemplar
der Tragödien beweiſt. So finden wir hier die Keime und
Vorbilder deſſen, was in der helleniſtiſchen Zeit geſchehen iſt.

Als nämlich die griechiſchen Städte ihr politiſches Leben
geſchloſſen hatten, trat die geiſtige Arbeit, welche in ihnen
allmählich zu Stande gekommen war, als die Hauptſache her¬
vor; das erſchien jetzt als der eigentliche Inhalt der griechi¬
ſchen Geſchichte. Das war der Schatz, deſſen man jetzt erſt
recht bewußt wurde, das geiſtige Capital, welches man hüten,
mehren und in den weiteſten Kreiſen verwerthen müſſe. Die
Wiſſenſchaft wurde nun eine Staatsangelegenheit erſten Rangs;
die Gelehrten traten aus ihrer Zurückgezogenheit in die glän¬
zendſten Stellungen und jene Forderung, mit welcher der zum
Tode gehende Sokrates ſeine Richter erbittert hatte, indem ſie
als eine wahnſinnige Selbſtüberhebung angeſehen werden
mußte, wurde nun von den Großen der Erde in überſchwäng¬
lichem Maß erfüllt. Denn ſie gewährten den Vertretern hel¬
leniſcher Wiſſenſchaft als Ehrenbürgern öffentlichen Unterhalt
am Staatsherde, wie es in den alten Republiken mit den
olympiſchen Siegern geſchah, ehrten ſie, welche in ſorgenfreier
Muße an den Geſchäften des Staats unbetheiligt waren, als
die größten Wohlthäter deſſelben und ſtatteten ſie mit fürſtlichen
Privilegien aus. Die Erſten in der Reihe der Ptolemäer und
Pergamener hatten wahre Liebe zur Wiſſenſchaft; ſie ſuchten
wie Perikles aus perſönlicher Neigung den Umgang der Ge¬
lehrten und hatten eigene Freude, wenn ſie mit ihnen durch
die Räume wandelten, wo die geiſtigen Schätze des Morgen-
und Abendlandes zum erſten Male vereinigt waren. Es war
aber ihr Verhalten von Anfang an auch eine ſehr bewußte
Politik; denn die Nachfolger Alexander's hatten zum Beherr¬
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[123/0139] Die öffentliche Pflege von Wiſſenſchaft und Kunſt. zuerſt auf öffentliche Veranſtaltung die Urkunden des geiſtigen Lebens der Hellenen geſammelt und geordnet wurden, daß man hier ſchon in der Tyrannenzeit eine öffentliche Bibliothek anlegte und daß man nicht nur auf die Vollſtändigkeit, ſondern auch auf die Reinheit der Ueberlieferung das Augenmerk rich¬ tete, wie an einem glänzenden Beiſpiele das Staatsexemplar der Tragödien beweiſt. So finden wir hier die Keime und Vorbilder deſſen, was in der helleniſtiſchen Zeit geſchehen iſt. Als nämlich die griechiſchen Städte ihr politiſches Leben geſchloſſen hatten, trat die geiſtige Arbeit, welche in ihnen allmählich zu Stande gekommen war, als die Hauptſache her¬ vor; das erſchien jetzt als der eigentliche Inhalt der griechi¬ ſchen Geſchichte. Das war der Schatz, deſſen man jetzt erſt recht bewußt wurde, das geiſtige Capital, welches man hüten, mehren und in den weiteſten Kreiſen verwerthen müſſe. Die Wiſſenſchaft wurde nun eine Staatsangelegenheit erſten Rangs; die Gelehrten traten aus ihrer Zurückgezogenheit in die glän¬ zendſten Stellungen und jene Forderung, mit welcher der zum Tode gehende Sokrates ſeine Richter erbittert hatte, indem ſie als eine wahnſinnige Selbſtüberhebung angeſehen werden mußte, wurde nun von den Großen der Erde in überſchwäng¬ lichem Maß erfüllt. Denn ſie gewährten den Vertretern hel¬ leniſcher Wiſſenſchaft als Ehrenbürgern öffentlichen Unterhalt am Staatsherde, wie es in den alten Republiken mit den olympiſchen Siegern geſchah, ehrten ſie, welche in ſorgenfreier Muße an den Geſchäften des Staats unbetheiligt waren, als die größten Wohlthäter deſſelben und ſtatteten ſie mit fürſtlichen Privilegien aus. Die Erſten in der Reihe der Ptolemäer und Pergamener hatten wahre Liebe zur Wiſſenſchaft; ſie ſuchten wie Perikles aus perſönlicher Neigung den Umgang der Ge¬ lehrten und hatten eigene Freude, wenn ſie mit ihnen durch die Räume wandelten, wo die geiſtigen Schätze des Morgen- und Abendlandes zum erſten Male vereinigt waren. Es war aber ihr Verhalten von Anfang an auch eine ſehr bewußte Politik; denn die Nachfolger Alexander's hatten zum Beherr¬ ſchen des Orients keinen anderen Rechtstitel als den der

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/139>, abgerufen am 16.05.2024.