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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Große und kleine Städte.

Wir brauchen aber nicht so weit zu gehen. Bei Völkern
ist es ja möglich, sie gleichzeitig und in benachbarten Räumen
auf verschiedenen Entwickelungsstufen kennen zu lernen, und
so zeigt uns die griechische Geschichte, welche durchsichtiger und
übersichtlicher als irgend eine andere vor unsern Augen liegt,
in Arkadien und andern Binnenlandschaften beiderlei Volkszu¬
stände neben einander, so daß die ländlichen Kantone dazu
dienen, die in den Städten rascher aufgezehrte Kraft zu ersetzen.
Ja, nicht nur im Lande, sondern auch in seinen Bewohnern
finden wir, so zu sagen, die beiden Culturstufen gleichzeitig
vereinigt, wenn wir den Arkader Philopoimen die Staatsge¬
schäfte mit der Arbeit am Pfluge und im Weinberge an dem¬
selben Tage verbinden sehen. Dies ist ein Ueberrest altpelas¬
gischer Sitte, der gemeinsamen Grundlage italischer und griechi¬
scher Cultur, derselben Sitte, auf welcher Roms Größe ruht.
Es ist das energische Festhalten am bäuerlichen Leben, die
Anhänglichkeit an die eigene Hufe, welche viele Generationen
hindurch bei einem Geschlechte verbleibt, der stärkende Ruheplatz
für den vom öffentlichen Dienste Ermüdeten, der Ort der
Sammlung für neue Wirksamkeit.

Italien zeigt dieselben Gegensätze wie Griechenland zwi¬
schen den in städtischer Entwickelung voraneilenden und den in
bäuerlichem Stillleben verharrenden Stämmen. Aber das
Sonderleben der Stämme war dort von der Natur nicht in
gleicher Weise geschützt und deshalb mußte das Ringen gegen
das Uebergewicht der Latiner und der durch sie vertretenen
städtischen Concentration so erfolglos bleiben. Aber merkwürdig
ist, wie beharrlich dennoch der Widerstand der Italiker gegen
die hauptstädtischen Ansprüche war und wie energisch der Kampf
der Unabhängigkeit geführt wurde, nicht nur mit blutiger
Waffe, sondern auch mit dem Schwerte des Geistes. Die
Satire wurde schon durch Lucilius ein Organ der Opposition
der Landschaft gegen die Stadt. Varro, der Sohn des sabi¬
nischen Hochlandes, des italischen Arkadiens, klagt bitter, daß
man ihn aus seinem reinen Leben in den Schmutz des Rath¬
hauses hereingezogen habe, ja noch zur Zeit Trajan's tritt

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Große und kleine Städte.

Wir brauchen aber nicht ſo weit zu gehen. Bei Völkern
iſt es ja möglich, ſie gleichzeitig und in benachbarten Räumen
auf verſchiedenen Entwickelungsſtufen kennen zu lernen, und
ſo zeigt uns die griechiſche Geſchichte, welche durchſichtiger und
überſichtlicher als irgend eine andere vor unſern Augen liegt,
in Arkadien und andern Binnenlandſchaften beiderlei Volkszu¬
ſtände neben einander, ſo daß die ländlichen Kantone dazu
dienen, die in den Städten raſcher aufgezehrte Kraft zu erſetzen.
Ja, nicht nur im Lande, ſondern auch in ſeinen Bewohnern
finden wir, ſo zu ſagen, die beiden Culturſtufen gleichzeitig
vereinigt, wenn wir den Arkader Philopoimen die Staatsge¬
ſchäfte mit der Arbeit am Pfluge und im Weinberge an dem¬
ſelben Tage verbinden ſehen. Dies iſt ein Ueberreſt altpelas¬
giſcher Sitte, der gemeinſamen Grundlage italiſcher und griechi¬
ſcher Cultur, derſelben Sitte, auf welcher Roms Größe ruht.
Es iſt das energiſche Feſthalten am bäuerlichen Leben, die
Anhänglichkeit an die eigene Hufe, welche viele Generationen
hindurch bei einem Geſchlechte verbleibt, der ſtärkende Ruheplatz
für den vom öffentlichen Dienſte Ermüdeten, der Ort der
Sammlung für neue Wirkſamkeit.

Italien zeigt dieſelben Gegenſätze wie Griechenland zwi¬
ſchen den in ſtädtiſcher Entwickelung voraneilenden und den in
bäuerlichem Stillleben verharrenden Stämmen. Aber das
Sonderleben der Stämme war dort von der Natur nicht in
gleicher Weiſe geſchützt und deshalb mußte das Ringen gegen
das Uebergewicht der Latiner und der durch ſie vertretenen
ſtädtiſchen Concentration ſo erfolglos bleiben. Aber merkwürdig
iſt, wie beharrlich dennoch der Widerſtand der Italiker gegen
die hauptſtädtiſchen Anſprüche war und wie energiſch der Kampf
der Unabhängigkeit geführt wurde, nicht nur mit blutiger
Waffe, ſondern auch mit dem Schwerte des Geiſtes. Die
Satire wurde ſchon durch Lucilius ein Organ der Oppoſition
der Landſchaft gegen die Stadt. Varro, der Sohn des ſabi¬
niſchen Hochlandes, des italiſchen Arkadiens, klagt bitter, daß
man ihn aus ſeinem reinen Leben in den Schmutz des Rath¬
hauſes hereingezogen habe, ja noch zur Zeit Trajan's tritt

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[371/0387] Große und kleine Städte. Wir brauchen aber nicht ſo weit zu gehen. Bei Völkern iſt es ja möglich, ſie gleichzeitig und in benachbarten Räumen auf verſchiedenen Entwickelungsſtufen kennen zu lernen, und ſo zeigt uns die griechiſche Geſchichte, welche durchſichtiger und überſichtlicher als irgend eine andere vor unſern Augen liegt, in Arkadien und andern Binnenlandſchaften beiderlei Volkszu¬ ſtände neben einander, ſo daß die ländlichen Kantone dazu dienen, die in den Städten raſcher aufgezehrte Kraft zu erſetzen. Ja, nicht nur im Lande, ſondern auch in ſeinen Bewohnern finden wir, ſo zu ſagen, die beiden Culturſtufen gleichzeitig vereinigt, wenn wir den Arkader Philopoimen die Staatsge¬ ſchäfte mit der Arbeit am Pfluge und im Weinberge an dem¬ ſelben Tage verbinden ſehen. Dies iſt ein Ueberreſt altpelas¬ giſcher Sitte, der gemeinſamen Grundlage italiſcher und griechi¬ ſcher Cultur, derſelben Sitte, auf welcher Roms Größe ruht. Es iſt das energiſche Feſthalten am bäuerlichen Leben, die Anhänglichkeit an die eigene Hufe, welche viele Generationen hindurch bei einem Geſchlechte verbleibt, der ſtärkende Ruheplatz für den vom öffentlichen Dienſte Ermüdeten, der Ort der Sammlung für neue Wirkſamkeit. Italien zeigt dieſelben Gegenſätze wie Griechenland zwi¬ ſchen den in ſtädtiſcher Entwickelung voraneilenden und den in bäuerlichem Stillleben verharrenden Stämmen. Aber das Sonderleben der Stämme war dort von der Natur nicht in gleicher Weiſe geſchützt und deshalb mußte das Ringen gegen das Uebergewicht der Latiner und der durch ſie vertretenen ſtädtiſchen Concentration ſo erfolglos bleiben. Aber merkwürdig iſt, wie beharrlich dennoch der Widerſtand der Italiker gegen die hauptſtädtiſchen Anſprüche war und wie energiſch der Kampf der Unabhängigkeit geführt wurde, nicht nur mit blutiger Waffe, ſondern auch mit dem Schwerte des Geiſtes. Die Satire wurde ſchon durch Lucilius ein Organ der Oppoſition der Landſchaft gegen die Stadt. Varro, der Sohn des ſabi¬ niſchen Hochlandes, des italiſchen Arkadiens, klagt bitter, daß man ihn aus ſeinem reinen Leben in den Schmutz des Rath¬ hauſes hereingezogen habe, ja noch zur Zeit Trajan's tritt 24 *

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/387>, abgerufen am 01.11.2024.