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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

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Pinguicula vulgaris. Cap. 16.
mir einige Pflanzen mit sechszehn Samen oder Früchten an vierzehn Blät-
tern hängend. Es fand sich dabei ein Same auf drei Blättern einer und
derselben Pflanze. Die sechszehn Samen gehörten zu neun verschiedenen
Arten, welche nicht bestimmt werden konnten, ausgenommen einer von
Ranunculus und mehrere zu drei oder vier verschiedenen Species von Carex
gehörig. Es zeigt sich, dasz spät im Jahre weniger Insecten gefangen
werden als früher; so wurden in Cumberland in der Mitte des Juli auf
mehren Blättern von zwanzig bis vierundzwanzig Insecten beobachtet,
während im September die mittlere Anzahl nur 2,27 betrug. Die meisten
Insecten in sämmtlichen vorstehend erwähnten Fällen waren Diptern, da-
neben aber viele sehr kleine Hymenoptern, mit Einschlusz einiger Ameisen,
einige wenige kleine Käfer, Larven, Spinnen, und selbst kleine Motten.

Wir sehen hieraus, dasz zahlreiche Insecten und andere Gegen-
stände von den klebrigen Blättern gefangen werden; wir haben aber
kein Recht, aus dieser Thatsache zu schlieszen, dasz diese Gewohn-
heit wohlthätig für die Pflanze ist, ebensowenig wie in dem früher
angeführten Falle bei der Mirabilis oder bei der Roszkastanie. Wir
werden aber sofort sehen, dasz todte Insecten und andere stickstoff-
haltige Körper die Drüsen zu vermehrter Absonderung anregen, und
dasz das Secret dann sauer wird und die Fähigkeit hat, animale Sub-
stanzen, wie Eiweisz, Faserstoff u. s. w. zu verdauen. Überdies wird
die aufgelöste stickstoffhaltige Substanz von den Drüsen aufgesaugt,
was sich darin zeigt, dasz ihr klarer Zelleninhalt zu sich langsam
bewegenden körnigen Protoplasma-Massen zusammengeballt wird. Die-
selben Resultate erfolgen, wenn die Insecten auf natürlichem Wege
gefangen werden, und da die Pflanze in armem Boden lebt und kleine
Wurzeln hat, so kann darüber kein Zweifel sein, dasz sie von ihrer
Fähigkeit, Substanz aus der gewohnheitsgemäsz in so groszen Zahlen
gefangenen Beute zu absorbiren und zu verdauen, Vortheil zieht. Es
dürfte indessen zweckmäszig sein, zuerst die Bewegungen der Blätter
zu beschreiben.

Bewegungen der Blätter. -- Dasz solche dicke, grosze
Blätter wie die der Pinguicula vulgaris die Fähigkeit haben würden,
sich einwärts zu krümmen, wenn sie gereizt werden, ist niemals auch
nur vermuthet worden. Es ist nothwendig, zum Versuch Blätter aus-
zuwählen, deren Drüsen reichlich absondern und welche verhindert
worden sind, viele Insecten zu fangen, da alte Blätter, wenigstens
diejenigen, die im Naturzustande wachsen, ihre Ränder bereits so be-
deutend einwärts gekrümmt haben, dasz sie wenig Bewegungsvermögen
darbieten oder sich sehr langsam bewegen. Ich will zuerst die wich-

Pinguicula vulgaris. Cap. 16.
mir einige Pflanzen mit sechszehn Samen oder Früchten an vierzehn Blät-
tern hängend. Es fand sich dabei ein Same auf drei Blättern einer und
derselben Pflanze. Die sechszehn Samen gehörten zu neun verschiedenen
Arten, welche nicht bestimmt werden konnten, ausgenommen einer von
Ranunculus und mehrere zu drei oder vier verschiedenen Species von Carex
gehörig. Es zeigt sich, dasz spät im Jahre weniger Insecten gefangen
werden als früher; so wurden in Cumberland in der Mitte des Juli auf
mehren Blättern von zwanzig bis vierundzwanzig Insecten beobachtet,
während im September die mittlere Anzahl nur 2,27 betrug. Die meisten
Insecten in sämmtlichen vorstehend erwähnten Fällen waren Diptern, da-
neben aber viele sehr kleine Hymenoptern, mit Einschlusz einiger Ameisen,
einige wenige kleine Käfer, Larven, Spinnen, und selbst kleine Motten.

Wir sehen hieraus, dasz zahlreiche Insecten und andere Gegen-
stände von den klebrigen Blättern gefangen werden; wir haben aber
kein Recht, aus dieser Thatsache zu schlieszen, dasz diese Gewohn-
heit wohlthätig für die Pflanze ist, ebensowenig wie in dem früher
angeführten Falle bei der Mirabilis oder bei der Roszkastanie. Wir
werden aber sofort sehen, dasz todte Insecten und andere stickstoff-
haltige Körper die Drüsen zu vermehrter Absonderung anregen, und
dasz das Secret dann sauer wird und die Fähigkeit hat, animale Sub-
stanzen, wie Eiweisz, Faserstoff u. s. w. zu verdauen. Überdies wird
die aufgelöste stickstoffhaltige Substanz von den Drüsen aufgesaugt,
was sich darin zeigt, dasz ihr klarer Zelleninhalt zu sich langsam
bewegenden körnigen Protoplasma-Massen zusammengeballt wird. Die-
selben Resultate erfolgen, wenn die Insecten auf natürlichem Wege
gefangen werden, und da die Pflanze in armem Boden lebt und kleine
Wurzeln hat, so kann darüber kein Zweifel sein, dasz sie von ihrer
Fähigkeit, Substanz aus der gewohnheitsgemäsz in so groszen Zahlen
gefangenen Beute zu absorbiren und zu verdauen, Vortheil zieht. Es
dürfte indessen zweckmäszig sein, zuerst die Bewegungen der Blätter
zu beschreiben.

Bewegungen der Blätter. — Dasz solche dicke, grosze
Blätter wie die der Pinguicula vulgaris die Fähigkeit haben würden,
sich einwärts zu krümmen, wenn sie gereizt werden, ist niemals auch
nur vermuthet worden. Es ist nothwendig, zum Versuch Blätter aus-
zuwählen, deren Drüsen reichlich absondern und welche verhindert
worden sind, viele Insecten zu fangen, da alte Blätter, wenigstens
diejenigen, die im Naturzustande wachsen, ihre Ränder bereits so be-
deutend einwärts gekrümmt haben, dasz sie wenig Bewegungsvermögen
darbieten oder sich sehr langsam bewegen. Ich will zuerst die wich-

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[334/0348] Pinguicula vulgaris. Cap. 16. mir einige Pflanzen mit sechszehn Samen oder Früchten an vierzehn Blät- tern hängend. Es fand sich dabei ein Same auf drei Blättern einer und derselben Pflanze. Die sechszehn Samen gehörten zu neun verschiedenen Arten, welche nicht bestimmt werden konnten, ausgenommen einer von Ranunculus und mehrere zu drei oder vier verschiedenen Species von Carex gehörig. Es zeigt sich, dasz spät im Jahre weniger Insecten gefangen werden als früher; so wurden in Cumberland in der Mitte des Juli auf mehren Blättern von zwanzig bis vierundzwanzig Insecten beobachtet, während im September die mittlere Anzahl nur 2,27 betrug. Die meisten Insecten in sämmtlichen vorstehend erwähnten Fällen waren Diptern, da- neben aber viele sehr kleine Hymenoptern, mit Einschlusz einiger Ameisen, einige wenige kleine Käfer, Larven, Spinnen, und selbst kleine Motten. Wir sehen hieraus, dasz zahlreiche Insecten und andere Gegen- stände von den klebrigen Blättern gefangen werden; wir haben aber kein Recht, aus dieser Thatsache zu schlieszen, dasz diese Gewohn- heit wohlthätig für die Pflanze ist, ebensowenig wie in dem früher angeführten Falle bei der Mirabilis oder bei der Roszkastanie. Wir werden aber sofort sehen, dasz todte Insecten und andere stickstoff- haltige Körper die Drüsen zu vermehrter Absonderung anregen, und dasz das Secret dann sauer wird und die Fähigkeit hat, animale Sub- stanzen, wie Eiweisz, Faserstoff u. s. w. zu verdauen. Überdies wird die aufgelöste stickstoffhaltige Substanz von den Drüsen aufgesaugt, was sich darin zeigt, dasz ihr klarer Zelleninhalt zu sich langsam bewegenden körnigen Protoplasma-Massen zusammengeballt wird. Die- selben Resultate erfolgen, wenn die Insecten auf natürlichem Wege gefangen werden, und da die Pflanze in armem Boden lebt und kleine Wurzeln hat, so kann darüber kein Zweifel sein, dasz sie von ihrer Fähigkeit, Substanz aus der gewohnheitsgemäsz in so groszen Zahlen gefangenen Beute zu absorbiren und zu verdauen, Vortheil zieht. Es dürfte indessen zweckmäszig sein, zuerst die Bewegungen der Blätter zu beschreiben. Bewegungen der Blätter. — Dasz solche dicke, grosze Blätter wie die der Pinguicula vulgaris die Fähigkeit haben würden, sich einwärts zu krümmen, wenn sie gereizt werden, ist niemals auch nur vermuthet worden. Es ist nothwendig, zum Versuch Blätter aus- zuwählen, deren Drüsen reichlich absondern und welche verhindert worden sind, viele Insecten zu fangen, da alte Blätter, wenigstens diejenigen, die im Naturzustande wachsen, ihre Ränder bereits so be- deutend einwärts gekrümmt haben, dasz sie wenig Bewegungsvermögen darbieten oder sich sehr langsam bewegen. Ich will zuerst die wich-

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Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/348>, abgerufen am 12.05.2024.