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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

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Drosera rotundifolia. Cap. 5.
kleinen Tröpfchen der Abkochung am Kopfe einer kleinen Stecknadel, und
in wenig Minuten waren die Tentakeln eingebogen. Da sich die Flüssig-
keit als so kräftig herausstellte, wurde ein Theil mit drei Theilen Wasser
verdünnt, und hiervon Tropfen auf die Scheiben von fünf Blättern ge-
bracht; die Wirkung auf dieselben war am nächsten Morgen so stark, dasz
ihre Scheiben vollständig übereinander gefaltet waren. Wir sehen hieraus,
dasz eine Abkochung von Kohlblättern nahezu oder völlig so wirksam ist,
wie ein Aufgusz von rohem Fleisch.

Ungefähr die gleiche Quantität klein geschnittener Kohlblätter und
destillirten Wassers wie im letzt erwähnten Experiment wurden 20 Stun-
den lang in einem sehr warmen Raum gehalten, aber nicht bis nahe an
den Siedepunkt erhitzt. Tropfen dieses Aufgusses wurden auf vier Blätter
gebracht. Eines derselben war nach 23 Stunden stark eingebogen, ein
zweites unbedeutend; bei einem dritten waren nur die dem Rande näher
stehenden Tentakeln eingebogen, und das vierte war durchaus gar nicht
afficirt. Die Kraft dieses Aufgusses ist daher sehr viel geringer als die
der Abkochung, und es ist ganz klar, dasz das Eintauchen der Kohlblätter
für eine Stunde in Wasser auf der Temperatur des Siedepunkts viel wirk-
samer ist, die Substanz, welche Drosera reizt, auszuziehen, als eine viele
Stunden lang dauernde Eintauchung in warmes Wasser. Vielleicht wird
der Zelleninhalt (wie Schiff in Bezug auf das Legumin bemerkt) dadurch
geschützt, dasz die Wände aus Cellulose bestehn und dasz, bis diese durch
kochendes Wasser zum Bersten gebracht sind, nur wenig von der einge-
schlossenen eiweiszartigen Substanz aufgelöst wird. Aus dem starken
Geruch gekochter Kohlblätter erkennen wir, dasz kochendes Wasser eine
chemische Veränderung in ihnen hervorbringt und dasz sie dadurch bei
weitem verdaulicher und nahrhafter für den Menschen gemacht werden.
Es ist daher eine interessante Thatsache, dasz Wasser auf dieser Tem-
peratur eine Substanz aus ihnen auszieht, welche Drosera in einem auszer-
ordentlichen Grade reizt.

Gräser enthalten bei weitem weniger stickstoffhaltige Substanz als
Erbsen oder Kohlsorten. Die Blätter und Stengel dreier gemeiner Arten
wurden klein geschnitten und eine Zeit lang in destillirtem Wasser ge-
kocht. Nachdem diese Abkochung 24 Stunden stehen gelassen worden
war, wurden Tropfen davon auf sechs Blätter gebracht; sie wirkten in
einer ziemlich eigenthümlichen Art und Weise, von welcher im siebenten
Capitol bei Besprechung der Ammoniaksalze noch weitere Beispiele ange-
führt werden. Nach 2 Stunden und 30 Minuten waren bei vier von den
sechs Blättern die Scheiben bedeutend eingebogen, aber nicht die äuszeren
Tentakeln; nach 24 Stunden war dasselbe bei allen sechs Blättern der
Fall. Zwei Tage später waren die Blattscheiben ebenso wie die wenigen
dem Rande näher stehenden Tentakeln, welche eingebogen worden waren,
sämmtlich wieder ausgebreitet; auch war um diese Zeit ein groszer Theil
der Flüssigkeit auf ihren Scheiben absorbirt. Augenscheinlich reizt daher
die Abkochung die Drüsen auf der Scheibe stark und verursacht eine
schnelle und bedeutende Einbiegung der Scheibe; aber verschieden von
dem, was gewöhnlich eintritt, verbreitet sich der Reiz gar nicht oder nur
in einem schwachen Grade auf die äuszeren Tentakeln.

Ich will hier noch hinzufügen, dasz ein Theil Belladonna-Extract

Drosera rotundifolia. Cap. 5.
kleinen Tröpfchen der Abkochung am Kopfe einer kleinen Stecknadel, und
in wenig Minuten waren die Tentakeln eingebogen. Da sich die Flüssig-
keit als so kräftig herausstellte, wurde ein Theil mit drei Theilen Wasser
verdünnt, und hiervon Tropfen auf die Scheiben von fünf Blättern ge-
bracht; die Wirkung auf dieselben war am nächsten Morgen so stark, dasz
ihre Scheiben vollständig übereinander gefaltet waren. Wir sehen hieraus,
dasz eine Abkochung von Kohlblättern nahezu oder völlig so wirksam ist,
wie ein Aufgusz von rohem Fleisch.

Ungefähr die gleiche Quantität klein geschnittener Kohlblätter und
destillirten Wassers wie im letzt erwähnten Experiment wurden 20 Stun-
den lang in einem sehr warmen Raum gehalten, aber nicht bis nahe an
den Siedepunkt erhitzt. Tropfen dieses Aufgusses wurden auf vier Blätter
gebracht. Eines derselben war nach 23 Stunden stark eingebogen, ein
zweites unbedeutend; bei einem dritten waren nur die dem Rande näher
stehenden Tentakeln eingebogen, und das vierte war durchaus gar nicht
afficirt. Die Kraft dieses Aufgusses ist daher sehr viel geringer als die
der Abkochung, und es ist ganz klar, dasz das Eintauchen der Kohlblätter
für eine Stunde in Wasser auf der Temperatur des Siedepunkts viel wirk-
samer ist, die Substanz, welche Drosera reizt, auszuziehen, als eine viele
Stunden lang dauernde Eintauchung in warmes Wasser. Vielleicht wird
der Zelleninhalt (wie Schiff in Bezug auf das Legumin bemerkt) dadurch
geschützt, dasz die Wände aus Cellulose bestehn und dasz, bis diese durch
kochendes Wasser zum Bersten gebracht sind, nur wenig von der einge-
schlossenen eiweiszartigen Substanz aufgelöst wird. Aus dem starken
Geruch gekochter Kohlblätter erkennen wir, dasz kochendes Wasser eine
chemische Veränderung in ihnen hervorbringt und dasz sie dadurch bei
weitem verdaulicher und nahrhafter für den Menschen gemacht werden.
Es ist daher eine interessante Thatsache, dasz Wasser auf dieser Tem-
peratur eine Substanz aus ihnen auszieht, welche Drosera in einem auszer-
ordentlichen Grade reizt.

Gräser enthalten bei weitem weniger stickstoffhaltige Substanz als
Erbsen oder Kohlsorten. Die Blätter und Stengel dreier gemeiner Arten
wurden klein geschnitten und eine Zeit lang in destillirtem Wasser ge-
kocht. Nachdem diese Abkochung 24 Stunden stehen gelassen worden
war, wurden Tropfen davon auf sechs Blätter gebracht; sie wirkten in
einer ziemlich eigenthümlichen Art und Weise, von welcher im siebenten
Capitol bei Besprechung der Ammoniaksalze noch weitere Beispiele ange-
führt werden. Nach 2 Stunden und 30 Minuten waren bei vier von den
sechs Blättern die Scheiben bedeutend eingebogen, aber nicht die äuszeren
Tentakeln; nach 24 Stunden war dasselbe bei allen sechs Blättern der
Fall. Zwei Tage später waren die Blattscheiben ebenso wie die wenigen
dem Rande näher stehenden Tentakeln, welche eingebogen worden waren,
sämmtlich wieder ausgebreitet; auch war um diese Zeit ein groszer Theil
der Flüssigkeit auf ihren Scheiben absorbirt. Augenscheinlich reizt daher
die Abkochung die Drüsen auf der Scheibe stark und verursacht eine
schnelle und bedeutende Einbiegung der Scheibe; aber verschieden von
dem, was gewöhnlich eintritt, verbreitet sich der Reiz gar nicht oder nur
in einem schwachen Grade auf die äuszeren Tentakeln.

Ich will hier noch hinzufügen, dasz ein Theil Belladonna-Extract

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[74/0088] Drosera rotundifolia. Cap. 5. kleinen Tröpfchen der Abkochung am Kopfe einer kleinen Stecknadel, und in wenig Minuten waren die Tentakeln eingebogen. Da sich die Flüssig- keit als so kräftig herausstellte, wurde ein Theil mit drei Theilen Wasser verdünnt, und hiervon Tropfen auf die Scheiben von fünf Blättern ge- bracht; die Wirkung auf dieselben war am nächsten Morgen so stark, dasz ihre Scheiben vollständig übereinander gefaltet waren. Wir sehen hieraus, dasz eine Abkochung von Kohlblättern nahezu oder völlig so wirksam ist, wie ein Aufgusz von rohem Fleisch. Ungefähr die gleiche Quantität klein geschnittener Kohlblätter und destillirten Wassers wie im letzt erwähnten Experiment wurden 20 Stun- den lang in einem sehr warmen Raum gehalten, aber nicht bis nahe an den Siedepunkt erhitzt. Tropfen dieses Aufgusses wurden auf vier Blätter gebracht. Eines derselben war nach 23 Stunden stark eingebogen, ein zweites unbedeutend; bei einem dritten waren nur die dem Rande näher stehenden Tentakeln eingebogen, und das vierte war durchaus gar nicht afficirt. Die Kraft dieses Aufgusses ist daher sehr viel geringer als die der Abkochung, und es ist ganz klar, dasz das Eintauchen der Kohlblätter für eine Stunde in Wasser auf der Temperatur des Siedepunkts viel wirk- samer ist, die Substanz, welche Drosera reizt, auszuziehen, als eine viele Stunden lang dauernde Eintauchung in warmes Wasser. Vielleicht wird der Zelleninhalt (wie Schiff in Bezug auf das Legumin bemerkt) dadurch geschützt, dasz die Wände aus Cellulose bestehn und dasz, bis diese durch kochendes Wasser zum Bersten gebracht sind, nur wenig von der einge- schlossenen eiweiszartigen Substanz aufgelöst wird. Aus dem starken Geruch gekochter Kohlblätter erkennen wir, dasz kochendes Wasser eine chemische Veränderung in ihnen hervorbringt und dasz sie dadurch bei weitem verdaulicher und nahrhafter für den Menschen gemacht werden. Es ist daher eine interessante Thatsache, dasz Wasser auf dieser Tem- peratur eine Substanz aus ihnen auszieht, welche Drosera in einem auszer- ordentlichen Grade reizt. Gräser enthalten bei weitem weniger stickstoffhaltige Substanz als Erbsen oder Kohlsorten. Die Blätter und Stengel dreier gemeiner Arten wurden klein geschnitten und eine Zeit lang in destillirtem Wasser ge- kocht. Nachdem diese Abkochung 24 Stunden stehen gelassen worden war, wurden Tropfen davon auf sechs Blätter gebracht; sie wirkten in einer ziemlich eigenthümlichen Art und Weise, von welcher im siebenten Capitol bei Besprechung der Ammoniaksalze noch weitere Beispiele ange- führt werden. Nach 2 Stunden und 30 Minuten waren bei vier von den sechs Blättern die Scheiben bedeutend eingebogen, aber nicht die äuszeren Tentakeln; nach 24 Stunden war dasselbe bei allen sechs Blättern der Fall. Zwei Tage später waren die Blattscheiben ebenso wie die wenigen dem Rande näher stehenden Tentakeln, welche eingebogen worden waren, sämmtlich wieder ausgebreitet; auch war um diese Zeit ein groszer Theil der Flüssigkeit auf ihren Scheiben absorbirt. Augenscheinlich reizt daher die Abkochung die Drüsen auf der Scheibe stark und verursacht eine schnelle und bedeutende Einbiegung der Scheibe; aber verschieden von dem, was gewöhnlich eintritt, verbreitet sich der Reiz gar nicht oder nur in einem schwachen Grade auf die äuszeren Tentakeln. Ich will hier noch hinzufügen, dasz ein Theil Belladonna-Extract

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Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/88>, abgerufen am 29.04.2024.