Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

ligion und Philosophie der heidnischen Zeit und Welt, das
konnte nur er, der incarnirte, leidende, sterbende, aufer-
stehende Gott des Christenthums. Vorbereitet und heran-
gereift für diese Erscheinung mußte aber eben so gut das
Heidenthum, als das Judenthum, sein; mußte es um so
mehr, da die Stiftung Christi, die neue Religion und
Kirche zwar im Judenthume gegründet wurde, sich aber in
keiner Weise auf dasselbe beschränken konnte, sich der
Feindseligkeit wegen, womit sie von ihm behandelt wurde,
vielmehr in's Heidenthum ergießen und da ihr Reich er-
richten mußte.

Zu dieser Vorbereitung und Reife gehört denn auch
die Philosophie und Ethik der Stoiker, sofern sie sich der
christlichen Lehre und Denkart nähert, ja mit ihr zum Theil
selbst bis zur formellen Uebereinstimmung zusammenfällt.
Hiebei ist wohl zu merken, daß sich unter den Stoikern
und ihren Lehren selbst ein bedeutender Unterschied findet
und nicht Alles, was unter dem Namen der Stoa zusam-
mengefaßt wird, aus einem Geiste stammt und unter
denselben Gesichtspunkt fällt. Darum haben wir oben
auch nur die Namen Kleanthes, Epiktetes und
Marcus Aurelius Antoninus genannt. Was man
den Stoikern vorwirft, ist besonders "der Hochmuth, der
ihrem Systeme zu Grunde liege", in welcher Rücksicht
Döllinger *) eine Reihe von Citaten aus Seneca gibt.
Hören wir indessen, wie sich Tennemann, und wie sich
Döllinger selbst über Epiktet äußert. "Seine Leh-
ren", sagt der Erstere, "haben weit mehr Einfalt, als die
des Seneca; sie sind ganz der Abdruck seines Charakters

ten eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in wel-
chen Gerechtigkeit wohnet
"; und Offenb. Joh. 21, 6: "Und der
auf dem Throne saß, sprach: Siehe, ich mache Alles neu."
*) Heidenthum und Judenthum S. 874.

ligion und Philoſophie der heidniſchen Zeit und Welt, das
konnte nur er, der incarnirte, leidende, ſterbende, aufer-
ſtehende Gott des Chriſtenthums. Vorbereitet und heran-
gereift für dieſe Erſcheinung mußte aber eben ſo gut das
Heidenthum, als das Judenthum, ſein; mußte es um ſo
mehr, da die Stiftung Chriſti, die neue Religion und
Kirche zwar im Judenthume gegründet wurde, ſich aber in
keiner Weiſe auf daſſelbe beſchränken konnte, ſich der
Feindſeligkeit wegen, womit ſie von ihm behandelt wurde,
vielmehr in’s Heidenthum ergießen und da ihr Reich er-
richten mußte.

Zu dieſer Vorbereitung und Reife gehört denn auch
die Philoſophie und Ethik der Stoiker, ſofern ſie ſich der
chriſtlichen Lehre und Denkart nähert, ja mit ihr zum Theil
ſelbſt bis zur formellen Uebereinſtimmung zuſammenfällt.
Hiebei iſt wohl zu merken, daß ſich unter den Stoikern
und ihren Lehren ſelbſt ein bedeutender Unterſchied findet
und nicht Alles, was unter dem Namen der Stoa zuſam-
mengefaßt wird, aus einem Geiſte ſtammt und unter
denſelben Geſichtspunkt fällt. Darum haben wir oben
auch nur die Namen Kleanthes, Epiktetes und
Marcus Aurelius Antoninus genannt. Was man
den Stoikern vorwirft, iſt beſonders „der Hochmuth, der
ihrem Syſteme zu Grunde liege“, in welcher Rückſicht
Döllinger *) eine Reihe von Citaten aus Seneca gibt.
Hören wir indeſſen, wie ſich Tennemann, und wie ſich
Döllinger ſelbſt über Epiktet äußert. „Seine Leh-
ren“, ſagt der Erſtere, „haben weit mehr Einfalt, als die
des Seneca; ſie ſind ganz der Abdruck ſeines Charakters

ten eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in wel-
chen Gerechtigkeit wohnet
“; und Offenb. Joh. 21, 6: „Und der
auf dem Throne ſaß, ſprach: Siehe, ich mache Alles neu.“
*) Heidenthum und Judenthum S. 874.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0095" n="73"/>
ligion und Philo&#x017F;ophie der heidni&#x017F;chen Zeit und Welt, das<lb/>
konnte nur er, der incarnirte, leidende, &#x017F;terbende, aufer-<lb/>
&#x017F;tehende Gott des Chri&#x017F;tenthums. Vorbereitet und heran-<lb/>
gereift für die&#x017F;e Er&#x017F;cheinung mußte aber eben &#x017F;o gut das<lb/>
Heidenthum, als das Judenthum, &#x017F;ein; mußte es um &#x017F;o<lb/>
mehr, da die Stiftung Chri&#x017F;ti, die neue Religion und<lb/>
Kirche zwar im Judenthume gegründet wurde, &#x017F;ich aber in<lb/>
keiner Wei&#x017F;e auf da&#x017F;&#x017F;elbe be&#x017F;chränken konnte, &#x017F;ich der<lb/>
Feind&#x017F;eligkeit wegen, womit &#x017F;ie von ihm behandelt wurde,<lb/>
vielmehr in&#x2019;s Heidenthum ergießen und da ihr Reich er-<lb/>
richten mußte.</p><lb/>
          <p>Zu die&#x017F;er Vorbereitung und Reife gehört denn auch<lb/>
die Philo&#x017F;ophie und Ethik der Stoiker, &#x017F;ofern &#x017F;ie &#x017F;ich der<lb/>
chri&#x017F;tlichen Lehre und Denkart nähert, ja mit ihr zum Theil<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t bis zur formellen Ueberein&#x017F;timmung zu&#x017F;ammenfällt.<lb/>
Hiebei i&#x017F;t wohl zu merken, daß &#x017F;ich unter den Stoikern<lb/>
und ihren Lehren &#x017F;elb&#x017F;t ein bedeutender Unter&#x017F;chied findet<lb/>
und nicht Alles, was unter dem Namen der Stoa zu&#x017F;am-<lb/>
mengefaßt wird, aus <hi rendition="#g">einem</hi> Gei&#x017F;te &#x017F;tammt und unter<lb/><hi rendition="#g">den&#x017F;elben</hi> Ge&#x017F;ichtspunkt fällt. Darum haben wir oben<lb/>
auch nur die Namen <hi rendition="#g">Kleanthes, Epiktetes</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Marcus Aurelius Antoninus</hi> genannt. Was man<lb/>
den Stoikern vorwirft, i&#x017F;t be&#x017F;onders &#x201E;der Hochmuth, der<lb/>
ihrem Sy&#x017F;teme zu Grunde liege&#x201C;, in welcher Rück&#x017F;icht<lb/><hi rendition="#g">Döllinger</hi> <note place="foot" n="*)">Heidenthum und Judenthum S. 874.</note> eine Reihe von Citaten aus Seneca gibt.<lb/>
Hören wir inde&#x017F;&#x017F;en, wie &#x017F;ich <hi rendition="#g">Tennemann</hi>, und wie &#x017F;ich<lb/><hi rendition="#g">Döllinger</hi> &#x017F;elb&#x017F;t über <hi rendition="#g">Epiktet</hi> äußert. &#x201E;Seine Leh-<lb/>
ren&#x201C;, &#x017F;agt der Er&#x017F;tere, &#x201E;haben weit mehr Einfalt, als die<lb/>
des Seneca; &#x017F;ie &#x017F;ind ganz der Abdruck &#x017F;eines Charakters<lb/><note xml:id="note-0095" prev="#note-0094" place="foot" n="**)"><hi rendition="#g">ten eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in wel-<lb/>
chen Gerechtigkeit wohnet</hi>&#x201C;; und Offenb. Joh. 21, 6: &#x201E;Und der<lb/>
auf dem Throne &#x017F;aß, &#x017F;prach: <hi rendition="#g">Siehe, ich mache Alles neu</hi>.&#x201C;</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0095] ligion und Philoſophie der heidniſchen Zeit und Welt, das konnte nur er, der incarnirte, leidende, ſterbende, aufer- ſtehende Gott des Chriſtenthums. Vorbereitet und heran- gereift für dieſe Erſcheinung mußte aber eben ſo gut das Heidenthum, als das Judenthum, ſein; mußte es um ſo mehr, da die Stiftung Chriſti, die neue Religion und Kirche zwar im Judenthume gegründet wurde, ſich aber in keiner Weiſe auf daſſelbe beſchränken konnte, ſich der Feindſeligkeit wegen, womit ſie von ihm behandelt wurde, vielmehr in’s Heidenthum ergießen und da ihr Reich er- richten mußte. Zu dieſer Vorbereitung und Reife gehört denn auch die Philoſophie und Ethik der Stoiker, ſofern ſie ſich der chriſtlichen Lehre und Denkart nähert, ja mit ihr zum Theil ſelbſt bis zur formellen Uebereinſtimmung zuſammenfällt. Hiebei iſt wohl zu merken, daß ſich unter den Stoikern und ihren Lehren ſelbſt ein bedeutender Unterſchied findet und nicht Alles, was unter dem Namen der Stoa zuſam- mengefaßt wird, aus einem Geiſte ſtammt und unter denſelben Geſichtspunkt fällt. Darum haben wir oben auch nur die Namen Kleanthes, Epiktetes und Marcus Aurelius Antoninus genannt. Was man den Stoikern vorwirft, iſt beſonders „der Hochmuth, der ihrem Syſteme zu Grunde liege“, in welcher Rückſicht Döllinger *) eine Reihe von Citaten aus Seneca gibt. Hören wir indeſſen, wie ſich Tennemann, und wie ſich Döllinger ſelbſt über Epiktet äußert. „Seine Leh- ren“, ſagt der Erſtere, „haben weit mehr Einfalt, als die des Seneca; ſie ſind ganz der Abdruck ſeines Charakters **) *) Heidenthum und Judenthum S. 874. **) ten eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in wel- chen Gerechtigkeit wohnet“; und Offenb. Joh. 21, 6: „Und der auf dem Throne ſaß, ſprach: Siehe, ich mache Alles neu.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/95
Zitationshilfe: Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/95>, abgerufen am 29.04.2024.