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Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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eine Einheit zu erreichen, hleibe der Forschung der Zukunft
vorbehalten. Ebenso wenig wie diese Erörterungen vom
Standpunkte der Grundsprache leuchtet es mir ein, wenn
Curtius in der Verwickeltheit der neuen Anschauung einen
Gegengrund gegen dieselbe findet (S. 123). Dass die Ur-
sprache von ,einfacher' Construction gewesen sei, kann man
durch die an sich treffliche Maxime aplous o muthos tes
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meiner Meinung nach nicht wahrscheinlich
machen. Vielleicht war die Ursprache ausserordentlich ver-
wickelt. Sehen wir doch, dass die indogermanischen Spra-
chen -- man denke z. B. an das Englische -- im Laufe der
Zeit immer einfacher werden.

Wenn Curtius endlich S. 119 behauptet, die neuen An-
schauungen seien noch keineswegs durchgeführt, und es
blieben noch viele Schwierigkeiten übrig, so ist das freilich
zuzugeben. Aber die Schwierigkeiten auf dem Gebiet des
Lateinischen, welche Curtius S. 119 anführt, scheinen mir
keinen richtigen Beleg für diese Behauptung zu liefern.
Auch ich weiss nicht, was wir mit dem a von oskisch anter
und lateinisch quatuor machen sollen, aber ich sehe nicht
ein, wie das Vorhandensein dieses a eine Instanz gegen den
indogermanischen Charakter des e bilden soll, denn dieses a
steht der Annahme, dass das e in den genannten Worten
italisch, wie der dass es europäisch, wie der dass es indo-
germanisch sei, gleich feindlich gegenüber. Dieses a be-
reitet dem Streben, feste Lautgesetze zu gewinnen, ein
Hemmniss, aber für die vorliegende Frage, wo es sich um
das Indogermanenthum des e handelt, scheint es mir ohne
Interesse.

Nach allem diesen kann ich meinerseits nur bei der
früher ausgesprochenen Meinung bleiben, dass mit Sicherheit
ein indogermanisches e, mit Wahrscheinlichkeit ein gleiches
o anzunehmen sei. Dabei bitte ich den Ausdruck Sicher-

eine Einheit zu erreichen, hleibe der Forschung der Zukunft
vorbehalten. Ebenso wenig wie diese Erörterungen vom
Standpunkte der Grundsprache leuchtet es mir ein, wenn
Curtius in der Verwickeltheit der neuen Anschauung einen
Gegengrund gegen dieselbe findet (S. 123). Dass die Ur-
sprache von ‚einfacher‘ Construction gewesen sei, kann man
durch die an sich treffliche Maxime ἁπλοῦς ὁ μῦϑος τῆς
ἀληϑείας ἕφυ
meiner Meinung nach nicht wahrscheinlich
machen. Vielleicht war die Ursprache ausserordentlich ver-
wickelt. Sehen wir doch, dass die indogermanischen Spra-
chen — man denke z. B. an das Englische — im Laufe der
Zeit immer einfacher werden.

Wenn Curtius endlich S. 119 behauptet, die neuen An-
schauungen seien noch keineswegs durchgeführt, und es
blieben noch viele Schwierigkeiten übrig, so ist das freilich
zuzugeben. Aber die Schwierigkeiten auf dem Gebiet des
Lateinischen, welche Curtius S. 119 anführt, scheinen mir
keinen richtigen Beleg für diese Behauptung zu liefern.
Auch ich weiss nicht, was wir mit dem a von oskisch anter
und lateinisch quatuor machen sollen, aber ich sehe nicht
ein, wie das Vorhandensein dieses a eine Instanz gegen den
indogermanischen Charakter des e bilden soll, denn dieses a
steht der Annahme, dass das e in den genannten Worten
italisch, wie der dass es europäisch, wie der dass es indo-
germanisch sei, gleich feindlich gegenüber. Dieses a be-
reitet dem Streben, feste Lautgesetze zu gewinnen, ein
Hemmniss, aber für die vorliegende Frage, wo es sich um
das Indogermanenthum des e handelt, scheint es mir ohne
Interesse.

Nach allem diesen kann ich meinerseits nur bei der
früher ausgesprochenen Meinung bleiben, dass mit Sicherheit
ein indogermanisches e, mit Wahrscheinlichkeit ein gleiches
ο anzunehmen sei. Dabei bitte ich den Ausdruck Sicher-

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[42/0047] eine Einheit zu erreichen, hleibe der Forschung der Zukunft vorbehalten. Ebenso wenig wie diese Erörterungen vom Standpunkte der Grundsprache leuchtet es mir ein, wenn Curtius in der Verwickeltheit der neuen Anschauung einen Gegengrund gegen dieselbe findet (S. 123). Dass die Ur- sprache von ‚einfacher‘ Construction gewesen sei, kann man durch die an sich treffliche Maxime ἁπλοῦς ὁ μῦϑος τῆς ἀληϑείας ἕφυ meiner Meinung nach nicht wahrscheinlich machen. Vielleicht war die Ursprache ausserordentlich ver- wickelt. Sehen wir doch, dass die indogermanischen Spra- chen — man denke z. B. an das Englische — im Laufe der Zeit immer einfacher werden. Wenn Curtius endlich S. 119 behauptet, die neuen An- schauungen seien noch keineswegs durchgeführt, und es blieben noch viele Schwierigkeiten übrig, so ist das freilich zuzugeben. Aber die Schwierigkeiten auf dem Gebiet des Lateinischen, welche Curtius S. 119 anführt, scheinen mir keinen richtigen Beleg für diese Behauptung zu liefern. Auch ich weiss nicht, was wir mit dem a von oskisch anter und lateinisch quatuor machen sollen, aber ich sehe nicht ein, wie das Vorhandensein dieses a eine Instanz gegen den indogermanischen Charakter des e bilden soll, denn dieses a steht der Annahme, dass das e in den genannten Worten italisch, wie der dass es europäisch, wie der dass es indo- germanisch sei, gleich feindlich gegenüber. Dieses a be- reitet dem Streben, feste Lautgesetze zu gewinnen, ein Hemmniss, aber für die vorliegende Frage, wo es sich um das Indogermanenthum des e handelt, scheint es mir ohne Interesse. Nach allem diesen kann ich meinerseits nur bei der früher ausgesprochenen Meinung bleiben, dass mit Sicherheit ein indogermanisches e, mit Wahrscheinlichkeit ein gleiches ο anzunehmen sei. Dabei bitte ich den Ausdruck Sicher-

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Zitationshilfe: Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/delbrueck_sprachforschung_1885/47>, abgerufen am 26.04.2024.