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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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ein großes Sittenverderbnis auf dem Fuße folgte? Sein
Werk blieb bis heut unwiderlegt. Wozu also die unmo-
tivierte Anklage auf Friedensstörung? Die verspäteten
Proteste gelten nicht der Sache, sie gelten der Person,
die Unrecht gethan haben soll, weil man es so haben will,
nach einem bekannten russischen Sprüchworte. Auslän-
dische Historiker und Staatsmänner sind in ihrer Beur-
teilung der Reformation viel unparteiischer. Die Eng-
länder Lecky, Macaulay und Carlyle, die Franzosen Taine,
Schmidt und Guizot stimmen ganz mit des Papstes Ur-
teil überein.

Der aus Anlaß der Canisiusfeier entfachte Streit
wird sicherlich gerade so endigen, wie der Kulturkampf.
Er wird die Überlegenheit der katholischen Kirche auch
auf dem historischen Felde erweisen. Als Mensch und
als Christ steht Canisius, der katholische Reformator, hun-
dertmal höher da, als Luther. Wiewohl von den Gegnern,
selbst von Melauchthon, verleumdet und beschimpft, hat
er nie mit gleicher Münze bezahlt. Dem Rate zu Köln
schreibt er:

"Unserem besten Heilande danke ich besonders dafür,
daß er mich der Angriffe und der Bisse der Sektierer
für würdig erachtet hat. Jhre wilden Ausbrüche gegen
mich und ihre schändlichen Verdammungen übergehe ich
mit tauben Ohren. Jch habe zur Feder gegriffen, nicht
um Gewinn, eines Vorteils oder des Ruhmes halber,
nicht aus Ab- oder Zuneigung gegen irgend Jemand,
sondern, was ich mit heiligem Eide versichern kann, aus
Eifer für die Religion und aus Liebe zur Wahrheit."

Das ist die Sprache eines christlichen Reformators!
Jndes, dieselben Prinzipien, dieselben Vorwände, Mo-

ein großes Sittenverderbnis auf dem Fuße folgte? Sein
Werk blieb bis heut unwiderlegt. Wozu alſo die unmo-
tivierte Anklage auf Friedensſtörung? Die verſpäteten
Proteſte gelten nicht der Sache, ſie gelten der Perſon,
die Unrecht gethan haben ſoll, weil man es ſo haben will,
nach einem bekannten ruſſiſchen Sprüchworte. Auslän-
diſche Hiſtoriker und Staatsmänner ſind in ihrer Beur-
teilung der Reformation viel unparteiiſcher. Die Eng-
länder Lecky, Macaulay und Carlyle, die Franzoſen Taine,
Schmidt und Guizot ſtimmen ganz mit des Papſtes Ur-
teil überein.

Der aus Anlaß der Caniſiusfeier entfachte Streit
wird ſicherlich gerade ſo endigen, wie der Kulturkampf.
Er wird die Überlegenheit der katholiſchen Kirche auch
auf dem hiſtoriſchen Felde erweiſen. Als Menſch und
als Chriſt ſteht Caniſius, der katholiſche Reformator, hun-
dertmal höher da, als Luther. Wiewohl von den Gegnern,
ſelbſt von Melauchthon, verleumdet und beſchimpft, hat
er nie mit gleicher Münze bezahlt. Dem Rate zu Köln
ſchreibt er:

„Unſerem beſten Heilande danke ich beſonders dafür,
daß er mich der Angriffe und der Biſſe der Sektierer
für würdig erachtet hat. Jhre wilden Ausbrüche gegen
mich und ihre ſchändlichen Verdammungen übergehe ich
mit tauben Ohren. Jch habe zur Feder gegriffen, nicht
um Gewinn, eines Vorteils oder des Ruhmes halber,
nicht aus Ab- oder Zuneigung gegen irgend Jemand,
ſondern, was ich mit heiligem Eide verſichern kann, aus
Eifer für die Religion und aus Liebe zur Wahrheit.‟

Das iſt die Sprache eines chriſtlichen Reformators!
Jndes, dieſelben Prinzipien, dieſelben Vorwände, Mo-

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[VI/0010] ein großes Sittenverderbnis auf dem Fuße folgte? Sein Werk blieb bis heut unwiderlegt. Wozu alſo die unmo- tivierte Anklage auf Friedensſtörung? Die verſpäteten Proteſte gelten nicht der Sache, ſie gelten der Perſon, die Unrecht gethan haben ſoll, weil man es ſo haben will, nach einem bekannten ruſſiſchen Sprüchworte. Auslän- diſche Hiſtoriker und Staatsmänner ſind in ihrer Beur- teilung der Reformation viel unparteiiſcher. Die Eng- länder Lecky, Macaulay und Carlyle, die Franzoſen Taine, Schmidt und Guizot ſtimmen ganz mit des Papſtes Ur- teil überein. Der aus Anlaß der Caniſiusfeier entfachte Streit wird ſicherlich gerade ſo endigen, wie der Kulturkampf. Er wird die Überlegenheit der katholiſchen Kirche auch auf dem hiſtoriſchen Felde erweiſen. Als Menſch und als Chriſt ſteht Caniſius, der katholiſche Reformator, hun- dertmal höher da, als Luther. Wiewohl von den Gegnern, ſelbſt von Melauchthon, verleumdet und beſchimpft, hat er nie mit gleicher Münze bezahlt. Dem Rate zu Köln ſchreibt er: „Unſerem beſten Heilande danke ich beſonders dafür, daß er mich der Angriffe und der Biſſe der Sektierer für würdig erachtet hat. Jhre wilden Ausbrüche gegen mich und ihre ſchändlichen Verdammungen übergehe ich mit tauben Ohren. Jch habe zur Feder gegriffen, nicht um Gewinn, eines Vorteils oder des Ruhmes halber, nicht aus Ab- oder Zuneigung gegen irgend Jemand, ſondern, was ich mit heiligem Eide verſichern kann, aus Eifer für die Religion und aus Liebe zur Wahrheit.‟ Das iſt die Sprache eines chriſtlichen Reformators! Jndes, dieſelben Prinzipien, dieſelben Vorwände, Mo-

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/10>, abgerufen am 27.04.2024.