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Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915.

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"Herr Dietz, wir können es ihm nicht verhalten; das Kind ist tot; und will er seine Frau beim Leben erhalten, so muß er Herrn Dorn, der die Frucht rausnimbt, lassen holen." Ich ward sehr erschrocken und wußte nicht, was zu thun? Doch resolvierte ich mich und sagte: "Wann es denn nicht anders sein soll und kann, was Dorn kann, kann ich auch."

Die Weiber fielen mir umb den Hals und baten sehr: ich sollte bald machen, es wäre fast umb die Frau geschehen.

Ich legte die Hand an und versuchte, wie die Frucht stünde. So stund es mit der linken Achsel und Arm verkehret in. Und war wegen der Dunst, welche allzeit bei toten Kindern ist, weder zu wenden noch zu regen. Sie hatten ihm bereitest fast den Arm abgerissen. Ich fassete ein dazu geschicktes, spitziges Messerlein in meine rechte Hand, unter den Zeiger, so vorhero mit warmen Ölen und Bier glatt gemacht, zwang mich damit zwischen die Frucht ein und eröffnete dem Kinde Brust und Leib". Da gingen die Winde weg; und war die Frucht, zusammengefallen, leicht herauszubringen.

Da lag nun mein erster Sohn, im Mutterleib geopfert, und ich hatte meine Hände in seinem Blut gewaschen. - O, großer GOtt, Du weißt es, wie mir zu Gemüth war!

Doch waren sie alle froh, daß die Frau erhalten, welche ich durch fleißiges Schmieren und Heilen und Wachen ganz gesund machte. Mir aber von ihr nachgehends überaus böse vergolten ward. Doch hatte ich mein Gewissen gerettet.

Gleich nach diesem actus kamen ihre Schwestern und Freunde (die solches hatten zugericht), sonderlich die seelige Frau Hans-Jochim, welche statt des Trostes grobe Reprochen gab. Ich bedachte mich aber kurz und kriegete sie beim Arm zu packen, führete sie mit Gewalt, sie wollte oder wollte nicht, zur Stube und Hause hinaus.

„Herr Dietz, wir können es ihm nicht verhalten; das Kind ist tot; und will er seine Frau beim Leben erhalten, so muß er Herrn Dorn, der die Frucht rausnimbt, lassen holen.“ Ich ward sehr erschrocken und wußte nicht, was zu thun? Doch resolvierte ich mich und sagte: „Wann es denn nicht anders sein soll und kann, was Dorn kann, kann ich auch.“

Die Weiber fielen mir umb den Hals und baten sehr: ich sollte bald machen, es wäre fast umb die Frau geschehen.

Ich legte die Hand an und versuchte, wie die Frucht stünde. So stund es mit der linken Achsel und Arm verkehret in. Und war wegen der Dunst, welche allzeit bei toten Kindern ist, weder zu wenden noch zu regen. Sie hatten ihm bereitest fast den Arm abgerissen. Ich fassete ein dazu geschicktes, spitziges Messerlein in meine rechte Hand, unter den Zeiger, so vorhero mit warmen Ölen und Bier glatt gemacht, zwang mich damit zwischen die Frucht ein und eröffnete dem Kinde Brust und Leib„. Da gingen die Winde weg; und war die Frucht, zusammengefallen, leicht herauszubringen.

Da lag nun mein erster Sohn, im Mutterleib geopfert, und ich hatte meine Hände in seinem Blut gewaschen. – O, großer GOtt, Du weißt es, wie mir zu Gemüth war!

Doch waren sie alle froh, daß die Frau erhalten, welche ich durch fleißiges Schmieren und Heilen und Wachen ganz gesund machte. Mir aber von ihr nachgehends überaus böse vergolten ward. Doch hatte ich mein Gewissen gerettet.

Gleich nach diesem actus kamen ihre Schwestern und Freunde (die solches hatten zugericht), sonderlich die seelige Frau Hans-Jochim, welche statt des Trostes grobe Reprochen gab. Ich bedachte mich aber kurz und kriegete sie beim Arm zu packen, führete sie mit Gewalt, sie wollte oder wollte nicht, zur Stube und Hause hinaus.

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[0239] „Herr Dietz, wir können es ihm nicht verhalten; das Kind ist tot; und will er seine Frau beim Leben erhalten, so muß er Herrn Dorn, der die Frucht rausnimbt, lassen holen.“ Ich ward sehr erschrocken und wußte nicht, was zu thun? Doch resolvierte ich mich und sagte: „Wann es denn nicht anders sein soll und kann, was Dorn kann, kann ich auch.“ Die Weiber fielen mir umb den Hals und baten sehr: ich sollte bald machen, es wäre fast umb die Frau geschehen. Ich legte die Hand an und versuchte, wie die Frucht stünde. So stund es mit der linken Achsel und Arm verkehret in. Und war wegen der Dunst, welche allzeit bei toten Kindern ist, weder zu wenden noch zu regen. Sie hatten ihm bereitest fast den Arm abgerissen. Ich fassete ein dazu geschicktes, spitziges Messerlein in meine rechte Hand, unter den Zeiger, so vorhero mit warmen Ölen und Bier glatt gemacht, zwang mich damit zwischen die Frucht ein und eröffnete dem Kinde Brust und Leib„. Da gingen die Winde weg; und war die Frucht, zusammengefallen, leicht herauszubringen. Da lag nun mein erster Sohn, im Mutterleib geopfert, und ich hatte meine Hände in seinem Blut gewaschen. – O, großer GOtt, Du weißt es, wie mir zu Gemüth war! Doch waren sie alle froh, daß die Frau erhalten, welche ich durch fleißiges Schmieren und Heilen und Wachen ganz gesund machte. Mir aber von ihr nachgehends überaus böse vergolten ward. Doch hatte ich mein Gewissen gerettet. Gleich nach diesem actus kamen ihre Schwestern und Freunde (die solches hatten zugericht), sonderlich die seelige Frau Hans-Jochim, welche statt des Trostes grobe Reprochen gab. Ich bedachte mich aber kurz und kriegete sie beim Arm zu packen, führete sie mit Gewalt, sie wollte oder wollte nicht, zur Stube und Hause hinaus.

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Zitationshilfe: Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/239>, abgerufen am 26.04.2024.