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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846.

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Die Rechtsfrage.
Sie nur das Uebel verkleinern, indem Sie seiner Wirkung
engere Grenzen setzen. Suchen Sie die Voraussetzung
der Polizei: das Verbrechen, und die Voraussetzung des
Verbrechens: die Ungleichheit der Erziehung und äußeren
Verhältnisse in Ihrer unebenen Gesellschaft, mit Einem
Wort heben Sie die Armuth auf, und Sie brauchen
keine Willkühr der Polizei länger zu fürchten. -- Ueber¬
haupt verstehe ich die Ausdrücke Gesetz und Strafe
nicht. Beide setzen Unordnung und Unnatur in der Ge¬
sellschaft voraus; in einem harmonisch organisirten Ganzen
sind Gesetz und Strafe überflüssig." --

Hier wurde die Unterhaltung durch den Eintritt eines
Neuankommenden unterbrochen. Es war der Oberarzt
der Klinik. Als er Platz genommen hatte und die Haus¬
frau ihm Vorwürfe über die Verzögerung seines Kom¬
mens machte, sagte er:

"Ich bitte um Verzeihung, allein ich mußte mich
nothwendig noch nach der Klinik begeben, um nach dem
Schneidergesellen zu sehen, den der Gensd'arme verwundet
hatte. Es ist des Zeugnisses wegen." --

"Und wie haben Sie ihn gefunden? -- Wir spra¬
chen soeben davon," sagte die Dame.

Die Rechtsfrage.
Sie nur das Uebel verkleinern, indem Sie ſeiner Wirkung
engere Grenzen ſetzen. Suchen Sie die Vorausſetzung
der Polizei: das Verbrechen, und die Vorausſetzung des
Verbrechens: die Ungleichheit der Erziehung und aͤußeren
Verhaͤltniſſe in Ihrer unebenen Geſellſchaft, mit Einem
Wort heben Sie die Armuth auf, und Sie brauchen
keine Willkuͤhr der Polizei laͤnger zu fuͤrchten. — Ueber¬
haupt verſtehe ich die Ausdruͤcke Geſetz und Strafe
nicht. Beide ſetzen Unordnung und Unnatur in der Ge¬
ſellſchaft voraus; in einem harmoniſch organiſirten Ganzen
ſind Geſetz und Strafe uͤberfluͤſſig.“ —

Hier wurde die Unterhaltung durch den Eintritt eines
Neuankommenden unterbrochen. Es war der Oberarzt
der Klinik. Als er Platz genommen hatte und die Haus¬
frau ihm Vorwuͤrfe uͤber die Verzoͤgerung ſeines Kom¬
mens machte, ſagte er:

„Ich bitte um Verzeihung, allein ich mußte mich
nothwendig noch nach der Klinik begeben, um nach dem
Schneidergeſellen zu ſehen, den der Gensd'arme verwundet
hatte. Es iſt des Zeugniſſes wegen.“ —

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chen ſoeben davon,“ ſagte die Dame.

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[114/0128] Die Rechtsfrage. Sie nur das Uebel verkleinern, indem Sie ſeiner Wirkung engere Grenzen ſetzen. Suchen Sie die Vorausſetzung der Polizei: das Verbrechen, und die Vorausſetzung des Verbrechens: die Ungleichheit der Erziehung und aͤußeren Verhaͤltniſſe in Ihrer unebenen Geſellſchaft, mit Einem Wort heben Sie die Armuth auf, und Sie brauchen keine Willkuͤhr der Polizei laͤnger zu fuͤrchten. — Ueber¬ haupt verſtehe ich die Ausdruͤcke Geſetz und Strafe nicht. Beide ſetzen Unordnung und Unnatur in der Ge¬ ſellſchaft voraus; in einem harmoniſch organiſirten Ganzen ſind Geſetz und Strafe uͤberfluͤſſig.“ — Hier wurde die Unterhaltung durch den Eintritt eines Neuankommenden unterbrochen. Es war der Oberarzt der Klinik. Als er Platz genommen hatte und die Haus¬ frau ihm Vorwuͤrfe uͤber die Verzoͤgerung ſeines Kom¬ mens machte, ſagte er: „Ich bitte um Verzeihung, allein ich mußte mich nothwendig noch nach der Klinik begeben, um nach dem Schneidergeſellen zu ſehen, den der Gensd'arme verwundet hatte. Es iſt des Zeugniſſes wegen.“ — „Und wie haben Sie ihn gefunden? — Wir ſpra¬ chen ſoeben davon,“ ſagte die Dame.

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Zitationshilfe: Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/128>, abgerufen am 29.04.2024.