Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

In dem Salon war wieder der gewöhnliche Kreis von
Hausfreunden versammelt. Der Kriminalrath saß auf
seinem alten Platz und wiegte sich in dem gemächlichen
Lehnsessel, der stets für ihn besonders hingerückt wurde.
Mehrmals schon hatte er sich in Erwartung der kom¬
menden Dinge forschend umgesehen; da es ihm indeß zu
lange zu wahren schien, nahm er jetzt wie in der Zer¬
streuung ein Stück Kuchen vom Tisch, und verzehrte es
mit gedankenvoller Miene. Die Hausfrau stand seit¬
wärts an einem Nebentisch und war eben mit Eingießen
des Thees beschäftigt, während die Mädchen die Tassen
herumreichten. Nur der junge Arzt fehlte.

"Es ist recht Schade, daß unser Doktor nun an
unsern kleinen Zusammenkünften keinen Theil mehr neh¬
men kann," sagte die Hausfrau zu den Gästen gewen¬
det. "Er war ein vielseitig gebildeter junger Mann, und
wußte der Unterhaltung durch seine eigenthümlichen, aber

In dem Salon war wieder der gewoͤhnliche Kreis von
Hausfreunden verſammelt. Der Kriminalrath ſaß auf
ſeinem alten Platz und wiegte ſich in dem gemaͤchlichen
Lehnſeſſel, der ſtets fuͤr ihn beſonders hingeruͤckt wurde.
Mehrmals ſchon hatte er ſich in Erwartung der kom¬
menden Dinge forſchend umgeſehen; da es ihm indeß zu
lange zu wahren ſchien, nahm er jetzt wie in der Zer¬
ſtreuung ein Stuͤck Kuchen vom Tiſch, und verzehrte es
mit gedankenvoller Miene. Die Hausfrau ſtand ſeit¬
waͤrts an einem Nebentiſch und war eben mit Eingießen
des Thees beſchaͤftigt, waͤhrend die Maͤdchen die Taſſen
herumreichten. Nur der junge Arzt fehlte.

„Es iſt recht Schade, daß unſer Doktor nun an
unſern kleinen Zuſammenkuͤnften keinen Theil mehr neh¬
men kann,“ ſagte die Hausfrau zu den Gaͤſten gewen¬
det. „Er war ein vielſeitig gebildeter junger Mann, und
wußte der Unterhaltung durch ſeine eigenthuͤmlichen, aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0133" n="[119]"/>
        <p><hi rendition="#in">I</hi>n dem Salon war wieder der gewo&#x0364;hnliche Kreis von<lb/>
Hausfreunden ver&#x017F;ammelt. Der Kriminalrath &#x017F;aß auf<lb/>
&#x017F;einem alten Platz und wiegte &#x017F;ich in dem gema&#x0364;chlichen<lb/>
Lehn&#x017F;e&#x017F;&#x017F;el, der &#x017F;tets fu&#x0364;r ihn be&#x017F;onders hingeru&#x0364;ckt wurde.<lb/>
Mehrmals &#x017F;chon hatte er &#x017F;ich in Erwartung der kom¬<lb/>
menden Dinge for&#x017F;chend umge&#x017F;ehen; da es ihm indeß zu<lb/>
lange zu wahren &#x017F;chien, nahm er jetzt wie in der Zer¬<lb/>
&#x017F;treuung ein Stu&#x0364;ck Kuchen vom Ti&#x017F;ch, und verzehrte es<lb/>
mit gedankenvoller Miene. Die Hausfrau &#x017F;tand &#x017F;eit¬<lb/>
wa&#x0364;rts an einem Nebenti&#x017F;ch und war eben mit Eingießen<lb/>
des Thees be&#x017F;cha&#x0364;ftigt, wa&#x0364;hrend die Ma&#x0364;dchen die Ta&#x017F;&#x017F;en<lb/>
herumreichten. Nur der junge Arzt fehlte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es i&#x017F;t recht Schade, daß un&#x017F;er Doktor nun an<lb/>
un&#x017F;ern kleinen Zu&#x017F;ammenku&#x0364;nften keinen Theil mehr neh¬<lb/>
men kann,&#x201C; &#x017F;agte die Hausfrau zu den Ga&#x0364;&#x017F;ten gewen¬<lb/>
det. &#x201E;Er war ein viel&#x017F;eitig gebildeter junger Mann, und<lb/>
wußte der Unterhaltung durch &#x017F;eine eigenthu&#x0364;mlichen, aber<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[119]/0133] In dem Salon war wieder der gewoͤhnliche Kreis von Hausfreunden verſammelt. Der Kriminalrath ſaß auf ſeinem alten Platz und wiegte ſich in dem gemaͤchlichen Lehnſeſſel, der ſtets fuͤr ihn beſonders hingeruͤckt wurde. Mehrmals ſchon hatte er ſich in Erwartung der kom¬ menden Dinge forſchend umgeſehen; da es ihm indeß zu lange zu wahren ſchien, nahm er jetzt wie in der Zer¬ ſtreuung ein Stuͤck Kuchen vom Tiſch, und verzehrte es mit gedankenvoller Miene. Die Hausfrau ſtand ſeit¬ waͤrts an einem Nebentiſch und war eben mit Eingießen des Thees beſchaͤftigt, waͤhrend die Maͤdchen die Taſſen herumreichten. Nur der junge Arzt fehlte. „Es iſt recht Schade, daß unſer Doktor nun an unſern kleinen Zuſammenkuͤnften keinen Theil mehr neh¬ men kann,“ ſagte die Hausfrau zu den Gaͤſten gewen¬ det. „Er war ein vielſeitig gebildeter junger Mann, und wußte der Unterhaltung durch ſeine eigenthuͤmlichen, aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/133
Zitationshilfe: Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. [119]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/133>, abgerufen am 29.04.2024.