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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846.

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Das Unvermeidliche.
Rekonvalescenz um Entlassung von seinem Amte nach¬
suchte, diente gerade dazu, diesen Gerüchten noch einen
besondern Halt zu leihen. Arthur war kurz nach dem
Vorfall abgereist, Niemand wußte wohin. Da er we¬
nige Bekannte besaß und sich auch von diesen Wenigen
in der letzten Zeit ferner gehalten hatte, so kümmerte
sich auch Keiner darum und bald war er vergessen.

Von seinen vier Kindern war dem Polizeidirektor
W. jetzt nur eines, seine Tochter Charlotte geblieben,
welche sich zur Zeit in einer rheinischen Pensionsanstalt
befand. Als er wieder so weit hergestellt und auch auf
sein wiederholtes Verlangen aus dem Staatsdienst ent¬
lassen worden war, reiste er zuerst dorthin.

Er traf sein letztes Kind wohlbehalten und zur reifen
blühenden Jungfrau entfaltet. Mit der ganzen heißen
Liebe seines verwundeten Vaterherzens umschloß er das
schlanke, schöne Mädchen, und während die Thränen des
freudigen Wiedersehens mit denen einer schmerzlichen Er¬
innerung sich mischten, rief er in seinem bangen Sinn:

"Nein! diesen einzigen, letzten Trost kann Er mir
nicht rauben wollen!" --

Er fühlte, wie er dies liebliche Wesen jetzt mehr
liebe, als er je geliebt, aber immer tauchte dazwischen

Das Unvermeidliche.
Rekonvalescenz um Entlaſſung von ſeinem Amte nach¬
ſuchte, diente gerade dazu, dieſen Geruͤchten noch einen
beſondern Halt zu leihen. Arthur war kurz nach dem
Vorfall abgereiſt, Niemand wußte wohin. Da er we¬
nige Bekannte beſaß und ſich auch von dieſen Wenigen
in der letzten Zeit ferner gehalten hatte, ſo kuͤmmerte
ſich auch Keiner darum und bald war er vergeſſen.

Von ſeinen vier Kindern war dem Polizeidirektor
W. jetzt nur eines, ſeine Tochter Charlotte geblieben,
welche ſich zur Zeit in einer rheiniſchen Penſionsanſtalt
befand. Als er wieder ſo weit hergeſtellt und auch auf
ſein wiederholtes Verlangen aus dem Staatsdienſt ent¬
laſſen worden war, reiſte er zuerſt dorthin.

Er traf ſein letztes Kind wohlbehalten und zur reifen
bluͤhenden Jungfrau entfaltet. Mit der ganzen heißen
Liebe ſeines verwundeten Vaterherzens umſchloß er das
ſchlanke, ſchoͤne Maͤdchen, und waͤhrend die Thraͤnen des
freudigen Wiederſehens mit denen einer ſchmerzlichen Er¬
innerung ſich miſchten, rief er in ſeinem bangen Sinn:

„Nein! dieſen einzigen, letzten Troſt kann Er mir
nicht rauben wollen!“ —

Er fuͤhlte, wie er dies liebliche Weſen jetzt mehr
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[187/0201] Das Unvermeidliche. Rekonvalescenz um Entlaſſung von ſeinem Amte nach¬ ſuchte, diente gerade dazu, dieſen Geruͤchten noch einen beſondern Halt zu leihen. Arthur war kurz nach dem Vorfall abgereiſt, Niemand wußte wohin. Da er we¬ nige Bekannte beſaß und ſich auch von dieſen Wenigen in der letzten Zeit ferner gehalten hatte, ſo kuͤmmerte ſich auch Keiner darum und bald war er vergeſſen. Von ſeinen vier Kindern war dem Polizeidirektor W. jetzt nur eines, ſeine Tochter Charlotte geblieben, welche ſich zur Zeit in einer rheiniſchen Penſionsanſtalt befand. Als er wieder ſo weit hergeſtellt und auch auf ſein wiederholtes Verlangen aus dem Staatsdienſt ent¬ laſſen worden war, reiſte er zuerſt dorthin. Er traf ſein letztes Kind wohlbehalten und zur reifen bluͤhenden Jungfrau entfaltet. Mit der ganzen heißen Liebe ſeines verwundeten Vaterherzens umſchloß er das ſchlanke, ſchoͤne Maͤdchen, und waͤhrend die Thraͤnen des freudigen Wiederſehens mit denen einer ſchmerzlichen Er¬ innerung ſich miſchten, rief er in ſeinem bangen Sinn: „Nein! dieſen einzigen, letzten Troſt kann Er mir nicht rauben wollen!“ — Er fuͤhlte, wie er dies liebliche Weſen jetzt mehr liebe, als er je geliebt, aber immer tauchte dazwiſchen

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Zitationshilfe: Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/201>, abgerufen am 02.05.2024.