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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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Weh ihm, der lebt in des Vergangnen Schau,
Um bleiche Bilder wirbt, verschwommne Töne!
Nicht was gebrochen, macht das Haar ihm grau,
Was Tod geknickt in seiner süßen Schöne;
Doch sie, die Monumente ohne Todten,
Die wandernden Gebilde ohne Blut,
Sie, seine Tempel ohne Opferglut,
Und seine Haine ohne Frühlingsboten!
'S gibt eine Sage aus dem Orient
Von Weisen, todter Masse Formen gebend,
Geliebte Formen, die die Sehnsucht kennt,
Und mit dem Zauberworte sie belebend;
Der Golem wandelt mit bekanntem Schritte,
Er spricht, er lächelt mit bekanntem Hauch,
Allein es ist kein Strahl in seinem Aug',
Es schlägt kein Herz in seines Busens Mitte.
Und wie sich alte Lieb' ihm unterjocht,
Er haucht sie an mit der Verwesung Schrecken,
Wie angstvoll die Erinnrung ruft und pocht,
Es ist in ihm kein Schlafender zu wecken.
Und tief gebrochen sieht die Treue schwinden,
Was sie so lang und heilig hat bewahrt,
Was nicht des Lebens, nicht des Todes Art,
Nicht hier und nicht im Himmel ist zu finden.
Weh ihm, der lebt in des Vergangnen Schau,
Um bleiche Bilder wirbt, verſchwommne Töne!
Nicht was gebrochen, macht das Haar ihm grau,
Was Tod geknickt in ſeiner ſüßen Schöne;
Doch ſie, die Monumente ohne Todten,
Die wandernden Gebilde ohne Blut,
Sie, ſeine Tempel ohne Opferglut,
Und ſeine Haine ohne Frühlingsboten!
’S gibt eine Sage aus dem Orient
Von Weiſen, todter Maſſe Formen gebend,
Geliebte Formen, die die Sehnſucht kennt,
Und mit dem Zauberworte ſie belebend;
Der Golem wandelt mit bekanntem Schritte,
Er ſpricht, er lächelt mit bekanntem Hauch,
Allein es iſt kein Strahl in ſeinem Aug’,
Es ſchlägt kein Herz in ſeines Buſens Mitte.
Und wie ſich alte Lieb’ ihm unterjocht,
Er haucht ſie an mit der Verweſung Schrecken,
Wie angſtvoll die Erinnrung ruft und pocht,
Es iſt in ihm kein Schlafender zu wecken.
Und tief gebrochen ſieht die Treue ſchwinden,
Was ſie ſo lang und heilig hat bewahrt,
Was nicht des Lebens, nicht des Todes Art,
Nicht hier und nicht im Himmel iſt zu finden.
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[23/0039] Weh ihm, der lebt in des Vergangnen Schau, Um bleiche Bilder wirbt, verſchwommne Töne! Nicht was gebrochen, macht das Haar ihm grau, Was Tod geknickt in ſeiner ſüßen Schöne; Doch ſie, die Monumente ohne Todten, Die wandernden Gebilde ohne Blut, Sie, ſeine Tempel ohne Opferglut, Und ſeine Haine ohne Frühlingsboten! ’S gibt eine Sage aus dem Orient Von Weiſen, todter Maſſe Formen gebend, Geliebte Formen, die die Sehnſucht kennt, Und mit dem Zauberworte ſie belebend; Der Golem wandelt mit bekanntem Schritte, Er ſpricht, er lächelt mit bekanntem Hauch, Allein es iſt kein Strahl in ſeinem Aug’, Es ſchlägt kein Herz in ſeines Buſens Mitte. Und wie ſich alte Lieb’ ihm unterjocht, Er haucht ſie an mit der Verweſung Schrecken, Wie angſtvoll die Erinnrung ruft und pocht, Es iſt in ihm kein Schlafender zu wecken. Und tief gebrochen ſieht die Treue ſchwinden, Was ſie ſo lang und heilig hat bewahrt, Was nicht des Lebens, nicht des Todes Art, Nicht hier und nicht im Himmel iſt zu finden.

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/39>, abgerufen am 28.04.2024.