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Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868.

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§. 51.

Das Böse haftet an dem endlichen Geist, ist der Schatten seiner
dem Licht zugewandten Endlichkeit. Es gehört in die Oeconomie
der geschichtlichen Bewegung, aber "als das im Process der Dinge Ver-
schwindende und zum Untergang Bestimmte".

Den Dualismus von Gott und Teufel widerlegt die Geschichte.

§. 52.

Der Mensch nach seiner Gottähnlichkeit hat im Endlichen unend-
liches Subject, Totalität in sich, sich selber Zweck zu sein; aber
nicht wie Gott auch Ursprung seiner selbst, hat er zu werden, was er
sein soll.

Erst in den sittlichen Gemeinsamkeiten wird der Mensch; die sitt-
lichen Mächte formen ihn (§. 12). Sie leben in ihm und er in ihnen.

In die schon gewordene sittliche Welt -- das erste Kind schon
hatte Vater und Mutter -- hineingeboren, um bewusst, frei, verantwort-
lich zu sein, schafft sich der Mensch, jeder an seinem Theil, in und
aus sittlichen Gemeinsamkeiten seine kleine Welt, die Bienenzelle
seines Ich.

Jede bedingt und getragen durch die ihr nachbarlichen, sie bedin-
gend und tragend; alle zusammen ein rastlos wachsender Bau, getragen
und bedingt durch das Sein der kleinen und kleinsten Theile. "Eben
die Bahn, auf welcher das Menschengeschlecht zu seiner Vollkom-
menheit gelangt, muss jeder einzelne Mensch durchlaufen haben"
(Lessing).

§. 53.

In ihren Individuen bauend und formend, im Arbeiten werdend,
schafft die Menschheit den Kosmos der sittlichen Welt.

Ihr Werk würde wie ein Gebirge von Infusorienschaalen sein ohne
das rastlose Aufeinanderwirken ihrer sittlichen Gemeinsamkeiten, ohne
Geschichte.

Ihr Werk würde wie Dünensand unfruchtbar und ein Spiel der
Winde sein ohne das Bewusstsein der Continuität, ohne Geschichte.

Ihre Continuität würde eine nur sich wiederholende Kreisbewegung

§. 51.

Das Böse haftet an dem endlichen Geist, ist der Schatten seiner
dem Licht zugewandten Endlichkeit. Es gehört in die Oeconomie
der geschichtlichen Bewegung, aber „als das im Process der Dinge Ver-
schwindende und zum Untergang Bestimmte“.

Den Dualismus von Gott und Teufel widerlegt die Geschichte.

§. 52.

Der Mensch nach seiner Gottähnlichkeit hat im Endlichen unend-
liches Subject, Totalität in sich, sich selber Zweck zu sein; aber
nicht wie Gott auch Ursprung seiner selbst, hat er zu werden, was er
sein soll.

Erst in den sittlichen Gemeinsamkeiten wird der Mensch; die sitt-
lichen Mächte formen ihn (§. 12). Sie leben in ihm und er in ihnen.

In die schon gewordene sittliche Welt — das erste Kind schon
hatte Vater und Mutter — hineingeboren, um bewusst, frei, verantwort-
lich zu sein, schafft sich der Mensch, jeder an seinem Theil, in und
aus sittlichen Gemeinsamkeiten seine kleine Welt, die Bienenzelle
seines Ich.

Jede bedingt und getragen durch die ihr nachbarlichen, sie bedin-
gend und tragend; alle zusammen ein rastlos wachsender Bau, getragen
und bedingt durch das Sein der kleinen und kleinsten Theile. „Eben
die Bahn, auf welcher das Menschengeschlecht zu seiner Vollkom-
menheit gelangt, muss jeder einzelne Mensch durchlaufen haben“
(Lessing).

§. 53.

In ihren Individuen bauend und formend, im Arbeiten werdend,
schafft die Menschheit den Kosmos der sittlichen Welt.

Ihr Werk würde wie ein Gebirge von Infusorienschaalen sein ohne
das rastlose Aufeinanderwirken ihrer sittlichen Gemeinsamkeiten, ohne
Geschichte.

Ihr Werk würde wie Dünensand unfruchtbar und ein Spiel der
Winde sein ohne das Bewusstsein der Continuität, ohne Geschichte.

Ihre Continuität würde eine nur sich wiederholende Kreisbewegung

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[27/0036] §. 51. Das Böse haftet an dem endlichen Geist, ist der Schatten seiner dem Licht zugewandten Endlichkeit. Es gehört in die Oeconomie der geschichtlichen Bewegung, aber „als das im Process der Dinge Ver- schwindende und zum Untergang Bestimmte“. Den Dualismus von Gott und Teufel widerlegt die Geschichte. §. 52. Der Mensch nach seiner Gottähnlichkeit hat im Endlichen unend- liches Subject, Totalität in sich, sich selber Zweck zu sein; aber nicht wie Gott auch Ursprung seiner selbst, hat er zu werden, was er sein soll. Erst in den sittlichen Gemeinsamkeiten wird der Mensch; die sitt- lichen Mächte formen ihn (§. 12). Sie leben in ihm und er in ihnen. In die schon gewordene sittliche Welt — das erste Kind schon hatte Vater und Mutter — hineingeboren, um bewusst, frei, verantwort- lich zu sein, schafft sich der Mensch, jeder an seinem Theil, in und aus sittlichen Gemeinsamkeiten seine kleine Welt, die Bienenzelle seines Ich. Jede bedingt und getragen durch die ihr nachbarlichen, sie bedin- gend und tragend; alle zusammen ein rastlos wachsender Bau, getragen und bedingt durch das Sein der kleinen und kleinsten Theile. „Eben die Bahn, auf welcher das Menschengeschlecht zu seiner Vollkom- menheit gelangt, muss jeder einzelne Mensch durchlaufen haben“ (Lessing). §. 53. In ihren Individuen bauend und formend, im Arbeiten werdend, schafft die Menschheit den Kosmos der sittlichen Welt. Ihr Werk würde wie ein Gebirge von Infusorienschaalen sein ohne das rastlose Aufeinanderwirken ihrer sittlichen Gemeinsamkeiten, ohne Geschichte. Ihr Werk würde wie Dünensand unfruchtbar und ein Spiel der Winde sein ohne das Bewusstsein der Continuität, ohne Geschichte. Ihre Continuität würde eine nur sich wiederholende Kreisbewegung

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_historik_1868/36>, abgerufen am 28.03.2024.