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Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890.

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I. Immergrüne tropische Regenwälder.
Flechten und Pilze den Boden mit kürzerer Oberflächen-
schicht bedecken. Daher können auch verschiedene Ve-
getationsformen und Arten, die frei vom Walde zu selb-
ständigen Formationen zusammentreten, den im Walde
gebotenen Raum als Nebenbestände ausfüllen.

I. Den höchsten Grad der Mannigfaltigkeit und hoch-
gradigen Differenzierung erreichen die Wälder in den
Formationen der (immergrünen) tropischen Regen-
wälder
, welchen Namen Pechuel-Lösche für die feuchten
Urwälder der tropischen Vegetationszone vorgeschlagen
hat. Dieselben sind typisch stark gemischt, aus sehr
vielen verschiedenen Arten gleichzeitig zusammengesetzt,
von denen die Mehrzahl immergrünes Laub trägt, mehr-
schichtig, so dass oft die höchsten Baumkronen über
einen Wald aus niederen Arten emporragen, welche ihrer-
seits vielleicht noch viel niedrigere Baumfarne, oder zier-
liche und kaum Stämme bildende Zwergpalmen beschatten;
der Boden ist in diesen Fällen häufig kahl, aber die
Nebenbestände sind stets als hoch und weithin schlingende
Lianen und als auf den Aesten hoch in der luftigen Krone
angesiedelte Epiphyten in einer den subtropischen und
temperierten Klimaten fehlenden Mannigfaltigkeit ent-
wickelt. Weder Frost noch Dürre stören die Entwicke-
lung, obwohl periodische Schwankungen auch hier zur
Regel erhoben sind.

Lianen. Das Bild jeder echten tropischen Waldvegetation
zeigt die Lianen als herabhängende, gebogene oder korkzieher-
artig gewundene, runde oder abgeflachte, ja sogar breit bandartige
dünne oder armsdicke Holzseile zwischen dem Gezweig, von Stamm
zu Stamm Verbindungsdrähte ziehend, oben in den Kronen mit
ihrem Blätterwerk zwischen dem der Stütze voll entwickelt. Die
Art ihres Wachstums wird von Wallace in seinem, durch eigene
Anschauung der Tropen zweier Weltteile so ausgezeichnet origi-
nellen Werke "Tropical Nature" (1878) beredt geschildert. Er
gibt an, dass man selten ermitteln kann, wo irgend eine Liane
wurzelt; denn ihr Längswachstum ist fast unbegrenzt, und wenn
sie in dem Wipfel des sie stützenden Baumes volle Entwickelung
gefunden hat, stürzt sie vielleicht mit eben dieser Stütze in nächster
Zeit wieder zu Boden und hat nun, unter neuer Bildung rasch
aufschiessender Seitenzweige, irgend einen neuen Stamm aufzu-
suchen, um an diesem neu in die Höhe zu ranken. Fast nie blühen
die Lianen, oder bringen auch nur Laub hervor, im Schatten; in

I. Immergrüne tropische Regenwälder.
Flechten und Pilze den Boden mit kürzerer Oberflächen-
schicht bedecken. Daher können auch verschiedene Ve-
getationsformen und Arten, die frei vom Walde zu selb-
ständigen Formationen zusammentreten, den im Walde
gebotenen Raum als Nebenbestände ausfüllen.

I. Den höchsten Grad der Mannigfaltigkeit und hoch-
gradigen Differenzierung erreichen die Wälder in den
Formationen der (immergrünen) tropischen Regen-
wälder
, welchen Namen Pechuël-Lösche für die feuchten
Urwälder der tropischen Vegetationszone vorgeschlagen
hat. Dieselben sind typisch stark gemischt, aus sehr
vielen verschiedenen Arten gleichzeitig zusammengesetzt,
von denen die Mehrzahl immergrünes Laub trägt, mehr-
schichtig, so dass oft die höchsten Baumkronen über
einen Wald aus niederen Arten emporragen, welche ihrer-
seits vielleicht noch viel niedrigere Baumfarne, oder zier-
liche und kaum Stämme bildende Zwergpalmen beschatten;
der Boden ist in diesen Fällen häufig kahl, aber die
Nebenbestände sind stets als hoch und weithin schlingende
Lianen und als auf den Aesten hoch in der luftigen Krone
angesiedelte Epiphyten in einer den subtropischen und
temperierten Klimaten fehlenden Mannigfaltigkeit ent-
wickelt. Weder Frost noch Dürre stören die Entwicke-
lung, obwohl periodische Schwankungen auch hier zur
Regel erhoben sind.

Lianen. Das Bild jeder echten tropischen Waldvegetation
zeigt die Lianen als herabhängende, gebogene oder korkzieher-
artig gewundene, runde oder abgeflachte, ja sogar breit bandartige
dünne oder armsdicke Holzseile zwischen dem Gezweig, von Stamm
zu Stamm Verbindungsdrähte ziehend, oben in den Kronen mit
ihrem Blätterwerk zwischen dem der Stütze voll entwickelt. Die
Art ihres Wachstums wird von Wallace in seinem, durch eigene
Anschauung der Tropen zweier Weltteile so ausgezeichnet origi-
nellen Werke „Tropical Nature“ (1878) beredt geschildert. Er
gibt an, dass man selten ermitteln kann, wo irgend eine Liane
wurzelt; denn ihr Längswachstum ist fast unbegrenzt, und wenn
sie in dem Wipfel des sie stützenden Baumes volle Entwickelung
gefunden hat, stürzt sie vielleicht mit eben dieser Stütze in nächster
Zeit wieder zu Boden und hat nun, unter neuer Bildung rasch
aufschiessender Seitenzweige, irgend einen neuen Stamm aufzu-
suchen, um an diesem neu in die Höhe zu ranken. Fast nie blühen
die Lianen, oder bringen auch nur Laub hervor, im Schatten; in

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[232/0262] I. Immergrüne tropische Regenwälder. Flechten und Pilze den Boden mit kürzerer Oberflächen- schicht bedecken. Daher können auch verschiedene Ve- getationsformen und Arten, die frei vom Walde zu selb- ständigen Formationen zusammentreten, den im Walde gebotenen Raum als Nebenbestände ausfüllen. I. Den höchsten Grad der Mannigfaltigkeit und hoch- gradigen Differenzierung erreichen die Wälder in den Formationen der (immergrünen) tropischen Regen- wälder, welchen Namen Pechuël-Lösche für die feuchten Urwälder der tropischen Vegetationszone vorgeschlagen hat. Dieselben sind typisch stark gemischt, aus sehr vielen verschiedenen Arten gleichzeitig zusammengesetzt, von denen die Mehrzahl immergrünes Laub trägt, mehr- schichtig, so dass oft die höchsten Baumkronen über einen Wald aus niederen Arten emporragen, welche ihrer- seits vielleicht noch viel niedrigere Baumfarne, oder zier- liche und kaum Stämme bildende Zwergpalmen beschatten; der Boden ist in diesen Fällen häufig kahl, aber die Nebenbestände sind stets als hoch und weithin schlingende Lianen und als auf den Aesten hoch in der luftigen Krone angesiedelte Epiphyten in einer den subtropischen und temperierten Klimaten fehlenden Mannigfaltigkeit ent- wickelt. Weder Frost noch Dürre stören die Entwicke- lung, obwohl periodische Schwankungen auch hier zur Regel erhoben sind. Lianen. Das Bild jeder echten tropischen Waldvegetation zeigt die Lianen als herabhängende, gebogene oder korkzieher- artig gewundene, runde oder abgeflachte, ja sogar breit bandartige dünne oder armsdicke Holzseile zwischen dem Gezweig, von Stamm zu Stamm Verbindungsdrähte ziehend, oben in den Kronen mit ihrem Blätterwerk zwischen dem der Stütze voll entwickelt. Die Art ihres Wachstums wird von Wallace in seinem, durch eigene Anschauung der Tropen zweier Weltteile so ausgezeichnet origi- nellen Werke „Tropical Nature“ (1878) beredt geschildert. Er gibt an, dass man selten ermitteln kann, wo irgend eine Liane wurzelt; denn ihr Längswachstum ist fast unbegrenzt, und wenn sie in dem Wipfel des sie stützenden Baumes volle Entwickelung gefunden hat, stürzt sie vielleicht mit eben dieser Stütze in nächster Zeit wieder zu Boden und hat nun, unter neuer Bildung rasch aufschiessender Seitenzweige, irgend einen neuen Stamm aufzu- suchen, um an diesem neu in die Höhe zu ranken. Fast nie blühen die Lianen, oder bringen auch nur Laub hervor, im Schatten; in

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Zitationshilfe: Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/262>, abgerufen am 29.04.2024.