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Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890.

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Periodische Erscheinungen
kann es geschehen, dass der Reisende an einem heissen
Abend in einem blattlosen Walde sein Lager aufschlägt,
und, wenn es in der Nacht geregnet hat, anderen Tages
durch einen Wald zieht, der, wie durch ein Wunder zum
Leben gebracht, ein zartes grünes Gewand von kleinen
und herrlich duftenden Blättern angelegt hat." Die
Früchte, weniger fleischig und oft dafür um so holziger,
pflegen erst nach dem Laubfall grösstenteils zu reifen;
aber so sehr hängt die Belaubung von der Bewässerung
ab, dass ganz dieselbe Waldformation auch gelegentlich
immergrün soll bleiben können. Das besondere Art-
gemisch, die schärfere Periodizität, die harzigen Säfte, Be-
haarungen, Milchsäfte und andere bis jetzt nur sehr unvoll-
kommen als Trockenschutz-Einrichtungen erkannte Eigen-
tümlichkeiten, die niedrigen Dimensionen der Gesamtphysio-
gnomie würden auch in diesem Falle diese Gruppe von Wald-
formationen von den eigentlichen Regenwäldern abheben.

Für die organische Periodizität, welche durch Registrierung
der Phänologie zugleich mit meteorologischen Beobachtungen in
Europa so vielseitig zu erforschen in Angriff genommen ist, liegen
aus den Tropen nur Fragmente vor, welche ein hohes Interesse
dieses Gegenstandes verraten und auf das Verhalten der Bäume
gegenüber Wasserdampfschwankungen als erklärende Ursache hin-
weisen. Das gründlichste mir bekannt gewordene Fragment hat
Ernst aus der Vegetation Venezuelas geliefert (Botan. Zeitung
1876, S. 38): Viele Holzgewächse verlieren dort in der trockenen
Jahreszeit ihre ganze Belaubung, selbst wenn man durch reich-
liches Begiessen dies zu verhindern sucht; derartige Bäume sind
ausser den Bombaceen, vielen Leguminosen, mehreren grossblätterigen
Ficus, auch Amyrideen, Euphorbia caracasana, Jatropha Curcas
und gossypifolia, öfters auch Cedrela und Swietenia. Die neue
Belaubung tritt bei diesen gewöhnlich beim Beginn der Regenzeit
ein; wenn sich aber dieselbe verzögert, so findet man viele Bäume
mit schwellenden Knospen und mehr oder weniger entfalteten
Blättern selbst auf dürrem, hartem Felsboden zu einer Zeit, wo
die tropische Hitze ihr Jahresmaximum erreicht und die Trocken-
heit der Atmosphäre ganz ausserordentlich ist. Mit Recht bemerkt
Ernst, dass diese periodische Erscheinung viel befremdlicher wirke
und physiologisch schwieriger zu erklären sei, als der entsprechende
Vorgang im nordischen Klima bei verzögertem Eintritt der warmen
Frühlingszeit. -- Das Abwerfen der Blätter bringt Ernst in direkten
Zusammenhang mit dem mangelnden Verdunstungsschutz der
meistens zusammengesetzten und weichen Blätter dieser Bäume,
welche alsbald in heisser trockener Luft ein Uebermaß von Feuchtig-

Periodische Erscheinungen
kann es geschehen, dass der Reisende an einem heissen
Abend in einem blattlosen Walde sein Lager aufschlägt,
und, wenn es in der Nacht geregnet hat, anderen Tages
durch einen Wald zieht, der, wie durch ein Wunder zum
Leben gebracht, ein zartes grünes Gewand von kleinen
und herrlich duftenden Blättern angelegt hat.“ Die
Früchte, weniger fleischig und oft dafür um so holziger,
pflegen erst nach dem Laubfall grösstenteils zu reifen;
aber so sehr hängt die Belaubung von der Bewässerung
ab, dass ganz dieselbe Waldformation auch gelegentlich
immergrün soll bleiben können. Das besondere Art-
gemisch, die schärfere Periodizität, die harzigen Säfte, Be-
haarungen, Milchsäfte und andere bis jetzt nur sehr unvoll-
kommen als Trockenschutz-Einrichtungen erkannte Eigen-
tümlichkeiten, die niedrigen Dimensionen der Gesamtphysio-
gnomie würden auch in diesem Falle diese Gruppe von Wald-
formationen von den eigentlichen Regenwäldern abheben.

Für die organische Periodizität, welche durch Registrierung
der Phänologie zugleich mit meteorologischen Beobachtungen in
Europa so vielseitig zu erforschen in Angriff genommen ist, liegen
aus den Tropen nur Fragmente vor, welche ein hohes Interesse
dieses Gegenstandes verraten und auf das Verhalten der Bäume
gegenüber Wasserdampfschwankungen als erklärende Ursache hin-
weisen. Das gründlichste mir bekannt gewordene Fragment hat
Ernst aus der Vegetation Venezuelas geliefert (Botan. Zeitung
1876, S. 38): Viele Holzgewächse verlieren dort in der trockenen
Jahreszeit ihre ganze Belaubung, selbst wenn man durch reich-
liches Begiessen dies zu verhindern sucht; derartige Bäume sind
ausser den Bombaceen, vielen Leguminosen, mehreren grossblätterigen
Ficus, auch Amyrideen, Euphorbia caracasana, Jatropha Curcas
und gossypifolia, öfters auch Cedrela und Swietenia. Die neue
Belaubung tritt bei diesen gewöhnlich beim Beginn der Regenzeit
ein; wenn sich aber dieselbe verzögert, so findet man viele Bäume
mit schwellenden Knospen und mehr oder weniger entfalteten
Blättern selbst auf dürrem, hartem Felsboden zu einer Zeit, wo
die tropische Hitze ihr Jahresmaximum erreicht und die Trocken-
heit der Atmosphäre ganz ausserordentlich ist. Mit Recht bemerkt
Ernst, dass diese periodische Erscheinung viel befremdlicher wirke
und physiologisch schwieriger zu erklären sei, als der entsprechende
Vorgang im nordischen Klima bei verzögertem Eintritt der warmen
Frühlingszeit. — Das Abwerfen der Blätter bringt Ernst in direkten
Zusammenhang mit dem mangelnden Verdunstungsschutz der
meistens zusammengesetzten und weichen Blätter dieser Bäume,
welche alsbald in heisser trockener Luft ein Uebermaß von Feuchtig-

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[258/0288] Periodische Erscheinungen kann es geschehen, dass der Reisende an einem heissen Abend in einem blattlosen Walde sein Lager aufschlägt, und, wenn es in der Nacht geregnet hat, anderen Tages durch einen Wald zieht, der, wie durch ein Wunder zum Leben gebracht, ein zartes grünes Gewand von kleinen und herrlich duftenden Blättern angelegt hat.“ Die Früchte, weniger fleischig und oft dafür um so holziger, pflegen erst nach dem Laubfall grösstenteils zu reifen; aber so sehr hängt die Belaubung von der Bewässerung ab, dass ganz dieselbe Waldformation auch gelegentlich immergrün soll bleiben können. Das besondere Art- gemisch, die schärfere Periodizität, die harzigen Säfte, Be- haarungen, Milchsäfte und andere bis jetzt nur sehr unvoll- kommen als Trockenschutz-Einrichtungen erkannte Eigen- tümlichkeiten, die niedrigen Dimensionen der Gesamtphysio- gnomie würden auch in diesem Falle diese Gruppe von Wald- formationen von den eigentlichen Regenwäldern abheben. Für die organische Periodizität, welche durch Registrierung der Phänologie zugleich mit meteorologischen Beobachtungen in Europa so vielseitig zu erforschen in Angriff genommen ist, liegen aus den Tropen nur Fragmente vor, welche ein hohes Interesse dieses Gegenstandes verraten und auf das Verhalten der Bäume gegenüber Wasserdampfschwankungen als erklärende Ursache hin- weisen. Das gründlichste mir bekannt gewordene Fragment hat Ernst aus der Vegetation Venezuelas geliefert (Botan. Zeitung 1876, S. 38): Viele Holzgewächse verlieren dort in der trockenen Jahreszeit ihre ganze Belaubung, selbst wenn man durch reich- liches Begiessen dies zu verhindern sucht; derartige Bäume sind ausser den Bombaceen, vielen Leguminosen, mehreren grossblätterigen Ficus, auch Amyrideen, Euphorbia caracasana, Jatropha Curcas und gossypifolia, öfters auch Cedrela und Swietenia. Die neue Belaubung tritt bei diesen gewöhnlich beim Beginn der Regenzeit ein; wenn sich aber dieselbe verzögert, so findet man viele Bäume mit schwellenden Knospen und mehr oder weniger entfalteten Blättern selbst auf dürrem, hartem Felsboden zu einer Zeit, wo die tropische Hitze ihr Jahresmaximum erreicht und die Trocken- heit der Atmosphäre ganz ausserordentlich ist. Mit Recht bemerkt Ernst, dass diese periodische Erscheinung viel befremdlicher wirke und physiologisch schwieriger zu erklären sei, als der entsprechende Vorgang im nordischen Klima bei verzögertem Eintritt der warmen Frühlingszeit. — Das Abwerfen der Blätter bringt Ernst in direkten Zusammenhang mit dem mangelnden Verdunstungsschutz der meistens zusammengesetzten und weichen Blätter dieser Bäume, welche alsbald in heisser trockener Luft ein Uebermaß von Feuchtig-

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Zitationshilfe: Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/288>, abgerufen am 12.05.2024.