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Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890.

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Sibirische, Beringsmeer-, kanadische Tundra.
cum. -- Während die ganze Tschuktschen-Halbinsel waldlos zu
sein scheint, reicht die Waldgrenze in Alaska ein gutes Stück über
den Beringssund hinaus und schon etliche Kilometer landeinwärts
vom Kap Prince of Wales trifft man ellenhohe Gebüsche; hier also
sind die arktischen Formationen eingeschränkter. Doch macht
das ganze Land vom Nortonsunde bis zum Point Barrow nach
Seemanns in der Heraldexpedition gemachten Wahrnehmungen
den Eindruck eines wüsten Moorlandes, mit Lagunen und Sümpfen,
in denen Eriophorum capitatum einzelne Rasen bildet, die Haupt-
formationen wiederum aus Flechten und Moosen bestehen. Bis
zum Polarkreise gehen (mit der Picea alba) reichliche Gebüsche
von Salix speciosa und Alnus viridis, noch weiter nach Norden
(bis Kap Lisburne) gehen Salix Richardsoni, villosa. Die Matten-
formation an Abhängen hat wiederum die reizendsten Blütenflecke;
"Kap Lisburne gleicht einem Garten"; hier sind die Charakter-
stauden Sieversia glacialis, Claytonia sarmentosa, Myosotis alpina,
18 Arten von Saxifraga und 4 Anemonen, Artemisia borealis, A.
androsacea und glomerata. Die Wurzelstöcke von Polygonum
Bistorta und Rumex domesticus dienen den Eingeborenen zur
Nahrung.

3. Die kanadische Tundraregion unterscheidet
sich nach den noch immer als Quelle dienenden Auf-
zeichnungen Richardsons von der sibirischen Tundra in
dem Ersatz der Moosformation durch zusammenhängende
Flechtenbestände.

Diese Lichenentundra besteht aus aufrecht wachsenden, das
Erdreich zusammenhängend bedeckenden Arten, besonders Cetraria
islandica und cucullata, Cornicularia tristis, divergens, ochroleuca
und pubescens, und mischen sich stellenweise mit den Ericaceen-
Halbsträuchern, welche das Lichenengezweig kaum überragen
(Rhododendron lapponicum, Ledum, Kalmia!, Arctostaphylos, Cas-
siope tetragona: alle immergrün, Vaccinium uliginosum sommer-
grün, Weiden). Grasfluren werden von Riedgräsern, Dünenfluren
wiederum vom Elymus mollis an der Seeküste gebildet; die Matten-
formation entwickelt an den feuchteren Hügelgehängen ihren be-
kannten Blumenreichtum, in welchem die Primel Dodecatheon
charakteristisch ist; an den Flussufern bildet Salix speciosa hohe
Gebüschformationen. Viel dürftiger sind die hocharktischen For-
mationen auf den Parryinseln; hier stellte R. Brown für die Mel-
villeinsel unter 67 Blütenpflanzen das Verhältnis von Monokotylen
zu Dikotylen als 2 : 5 (durch Vorwiegen der Gräser) als charakte-
ristisch für die höchsten Breiten fest.

4. Der grönländische Bezirk ist der am vielseitig-
sten untersuchte. Es ist zweckmässig, die hier und an
den benachbarten Küsten ausgebreiteten Fjeldregionen
in hoch- und niederarktische einzuteilen, von denen natur-

Sibirische, Beringsmeer-, kanadische Tundra.
cum. — Während die ganze Tschuktschen-Halbinsel waldlos zu
sein scheint, reicht die Waldgrenze in Alaska ein gutes Stück über
den Beringssund hinaus und schon etliche Kilometer landeinwärts
vom Kap Prince of Wales trifft man ellenhohe Gebüsche; hier also
sind die arktischen Formationen eingeschränkter. Doch macht
das ganze Land vom Nortonsunde bis zum Point Barrow nach
Seemanns in der Heraldexpedition gemachten Wahrnehmungen
den Eindruck eines wüsten Moorlandes, mit Lagunen und Sümpfen,
in denen Eriophorum capitatum einzelne Rasen bildet, die Haupt-
formationen wiederum aus Flechten und Moosen bestehen. Bis
zum Polarkreise gehen (mit der Picea alba) reichliche Gebüsche
von Salix speciosa und Alnus viridis, noch weiter nach Norden
(bis Kap Lisburne) gehen Salix Richardsoni, villosa. Die Matten-
formation an Abhängen hat wiederum die reizendsten Blütenflecke;
„Kap Lisburne gleicht einem Garten“; hier sind die Charakter-
stauden Sieversia glacialis, Claytonia sarmentosa, Myosotis alpina,
18 Arten von Saxifraga und 4 Anemonen, Artemisia borealis, A.
androsacea und glomerata. Die Wurzelstöcke von Polygonum
Bistorta und Rumex domesticus dienen den Eingeborenen zur
Nahrung.

3. Die kanadische Tundraregion unterscheidet
sich nach den noch immer als Quelle dienenden Auf-
zeichnungen Richardsons von der sibirischen Tundra in
dem Ersatz der Moosformation durch zusammenhängende
Flechtenbestände.

Diese Lichenentundra besteht aus aufrecht wachsenden, das
Erdreich zusammenhängend bedeckenden Arten, besonders Cetraria
islandica und cucullata, Cornicularia tristis, divergens, ochroleuca
und pubescens, und mischen sich stellenweise mit den Ericaceen-
Halbsträuchern, welche das Lichenengezweig kaum überragen
(Rhododendron lapponicum, Ledum, Kalmia!, Arctostaphylos, Cas-
siope tetragona: alle immergrün, Vaccinium uliginosum sommer-
grün, Weiden). Grasfluren werden von Riedgräsern, Dünenfluren
wiederum vom Elymus mollis an der Seeküste gebildet; die Matten-
formation entwickelt an den feuchteren Hügelgehängen ihren be-
kannten Blumenreichtum, in welchem die Primel Dodecatheon
charakteristisch ist; an den Flussufern bildet Salix speciosa hohe
Gebüschformationen. Viel dürftiger sind die hocharktischen For-
mationen auf den Parryinseln; hier stellte R. Brown für die Mel-
villeinsel unter 67 Blütenpflanzen das Verhältnis von Monokotylen
zu Dikotylen als 2 : 5 (durch Vorwiegen der Gräser) als charakte-
ristisch für die höchsten Breiten fest.

4. Der grönländische Bezirk ist der am vielseitig-
sten untersuchte. Es ist zweckmässig, die hier und an
den benachbarten Küsten ausgebreiteten Fjeldregionen
in hoch- und niederarktische einzuteilen, von denen natur-

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[357/0387] Sibirische, Beringsmeer-, kanadische Tundra. cum. — Während die ganze Tschuktschen-Halbinsel waldlos zu sein scheint, reicht die Waldgrenze in Alaska ein gutes Stück über den Beringssund hinaus und schon etliche Kilometer landeinwärts vom Kap Prince of Wales trifft man ellenhohe Gebüsche; hier also sind die arktischen Formationen eingeschränkter. Doch macht das ganze Land vom Nortonsunde bis zum Point Barrow nach Seemanns in der Heraldexpedition gemachten Wahrnehmungen den Eindruck eines wüsten Moorlandes, mit Lagunen und Sümpfen, in denen Eriophorum capitatum einzelne Rasen bildet, die Haupt- formationen wiederum aus Flechten und Moosen bestehen. Bis zum Polarkreise gehen (mit der Picea alba) reichliche Gebüsche von Salix speciosa und Alnus viridis, noch weiter nach Norden (bis Kap Lisburne) gehen Salix Richardsoni, villosa. Die Matten- formation an Abhängen hat wiederum die reizendsten Blütenflecke; „Kap Lisburne gleicht einem Garten“; hier sind die Charakter- stauden Sieversia glacialis, Claytonia sarmentosa, Myosotis alpina, 18 Arten von Saxifraga und 4 Anemonen, Artemisia borealis, A. androsacea und glomerata. Die Wurzelstöcke von Polygonum Bistorta und Rumex domesticus dienen den Eingeborenen zur Nahrung. 3. Die kanadische Tundraregion unterscheidet sich nach den noch immer als Quelle dienenden Auf- zeichnungen Richardsons von der sibirischen Tundra in dem Ersatz der Moosformation durch zusammenhängende Flechtenbestände. Diese Lichenentundra besteht aus aufrecht wachsenden, das Erdreich zusammenhängend bedeckenden Arten, besonders Cetraria islandica und cucullata, Cornicularia tristis, divergens, ochroleuca und pubescens, und mischen sich stellenweise mit den Ericaceen- Halbsträuchern, welche das Lichenengezweig kaum überragen (Rhododendron lapponicum, Ledum, Kalmia!, Arctostaphylos, Cas- siope tetragona: alle immergrün, Vaccinium uliginosum sommer- grün, Weiden). Grasfluren werden von Riedgräsern, Dünenfluren wiederum vom Elymus mollis an der Seeküste gebildet; die Matten- formation entwickelt an den feuchteren Hügelgehängen ihren be- kannten Blumenreichtum, in welchem die Primel Dodecatheon charakteristisch ist; an den Flussufern bildet Salix speciosa hohe Gebüschformationen. Viel dürftiger sind die hocharktischen For- mationen auf den Parryinseln; hier stellte R. Brown für die Mel- villeinsel unter 67 Blütenpflanzen das Verhältnis von Monokotylen zu Dikotylen als 2 : 5 (durch Vorwiegen der Gräser) als charakte- ristisch für die höchsten Breiten fest. 4. Der grönländische Bezirk ist der am vielseitig- sten untersuchte. Es ist zweckmässig, die hier und an den benachbarten Küsten ausgebreiteten Fjeldregionen in hoch- und niederarktische einzuteilen, von denen natur-

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Zitationshilfe: Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/387>, abgerufen am 26.04.2024.