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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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soll oder könnte. Diese Unfähigkeit hat sich in der ganzen
Existenzzeit des Lyceums nie verleugnet, und wenn man sich
das Tuttifrutti ansieht, welches aus der Anstalt im Laufe des
Jahrzehnts von 1875-85 geworden ist, so ergiebt sich, dass die
Charakteristik ihm nur dann gerecht wird, wenn sie die ver-
fehlten Züge immer stärker markirt. Einerseits ist das Lyceum,
soweit es in erster Linie eigentliche Vorlesungsanstalt für Damen
sein soll, nur immer tiefer in die universitären Rückständigkeiten
gerathen und den Verkehrtheiten von Universitätsprofessoren an-
heimgefallen, die daran dociren oder ihre Proteges dort dociren
lassen. Andererseits aber, soweit es sich um eine Gattung schul-
artiger Curse handelt, ist das Lyceum zu einer Fortsetzung so-
genannter höherer Töchterschulen versimpelt. Hiebei hat sich die
aufgenöthigte Schülerhaftigkeit der Manieren bis zu einer förm-
lichen Reglementirungsvelleität und bis zur obligatorischen Vor-
schrift des Ankaufs der empfohlenen Bücher erstreckt. Was
aber die universitätsartigen Vorlesungen anbetrifft, so verbinden
sie alle Schäden des Universitären noch obenein mit lächerlichen
Zeitmaassen. Ein Curschen der Chemie von einem halben Dutzend
Vorlesungen, deren jede anderthalb Stunden währt, sage also
fünfhundertundvierzig Minuten der Chemie gewidmet, - das ist,
zumal in der Universitätsmanier, eine komische Dosis; aber an
solchen Musterstückchen von Kunstbethätigung der Berliner Uni-
versitätsprofessoren für das Lyceum hat es nicht gefehlt. Doch
lassen wir die Chemie als Feuerwerk in sechs Vorstellungen auf
sich beruhen; denn das ganze Treiben auf dem sogenannten
Lyceum ist ja überhaupt Spielerei und Schein.

Auch ist dies nicht zu verwundern, da die für die Einrich-
tung maassgebenden gelehrten Elemente selbst Gegner aller ernst-
haften Frauenbildung, namentlich aber jeder höhern weiblichen
Berufsbildung sind und ein Institut wie das Lyceum nach dem-
selben socialpolitischen Grundsatz behandeln, wie in einer andern
Richtung die sogenannte Volksbildung. Es ist eine alte Maxime,
solche Bewegungen, die sich nicht unterdrücken lassen, wenigstens
in einer für die ihnen feindlichen Elemente bequemen und mög-
lichst fruchtlosen Richtung niederzuhalten. Behufs der Erzielung
solcher unschuldigen Scheindinge stellt man sich selbst organisi-
rend und fördernd an, während man in der That zu hemmen
und abzulenken sucht. Doch genug von diesem Zwischenreich
wissenschaftlich seinwollender Halbexistenz. Wirkliche Bildungs-

soll oder könnte. Diese Unfähigkeit hat sich in der ganzen
Existenzzeit des Lyceums nie verleugnet, und wenn man sich
das Tuttifrutti ansieht, welches aus der Anstalt im Laufe des
Jahrzehnts von 1875–85 geworden ist, so ergiebt sich, dass die
Charakteristik ihm nur dann gerecht wird, wenn sie die ver-
fehlten Züge immer stärker markirt. Einerseits ist das Lyceum,
soweit es in erster Linie eigentliche Vorlesungsanstalt für Damen
sein soll, nur immer tiefer in die universitären Rückständigkeiten
gerathen und den Verkehrtheiten von Universitätsprofessoren an-
heimgefallen, die daran dociren oder ihre Protégés dort dociren
lassen. Andererseits aber, soweit es sich um eine Gattung schul-
artiger Curse handelt, ist das Lyceum zu einer Fortsetzung so-
genannter höherer Töchterschulen versimpelt. Hiebei hat sich die
aufgenöthigte Schülerhaftigkeit der Manieren bis zu einer förm-
lichen Reglementirungsvelleität und bis zur obligatorischen Vor-
schrift des Ankaufs der empfohlenen Bücher erstreckt. Was
aber die universitätsartigen Vorlesungen anbetrifft, so verbinden
sie alle Schäden des Universitären noch obenein mit lächerlichen
Zeitmaassen. Ein Curschen der Chemie von einem halben Dutzend
Vorlesungen, deren jede anderthalb Stunden währt, sage also
fünfhundertundvierzig Minuten der Chemie gewidmet, – das ist,
zumal in der Universitätsmanier, eine komische Dosis; aber an
solchen Musterstückchen von Kunstbethätigung der Berliner Uni-
versitätsprofessoren für das Lyceum hat es nicht gefehlt. Doch
lassen wir die Chemie als Feuerwerk in sechs Vorstellungen auf
sich beruhen; denn das ganze Treiben auf dem sogenannten
Lyceum ist ja überhaupt Spielerei und Schein.

Auch ist dies nicht zu verwundern, da die für die Einrich-
tung maassgebenden gelehrten Elemente selbst Gegner aller ernst-
haften Frauenbildung, namentlich aber jeder höhern weiblichen
Berufsbildung sind und ein Institut wie das Lyceum nach dem-
selben socialpolitischen Grundsatz behandeln, wie in einer andern
Richtung die sogenannte Volksbildung. Es ist eine alte Maxime,
solche Bewegungen, die sich nicht unterdrücken lassen, wenigstens
in einer für die ihnen feindlichen Elemente bequemen und mög-
lichst fruchtlosen Richtung niederzuhalten. Behufs der Erzielung
solcher unschuldigen Scheindinge stellt man sich selbst organisi-
rend und fördernd an, während man in der That zu hemmen
und abzulenken sucht. Doch genug von diesem Zwischenreich
wissenschaftlich seinwollender Halbexistenz. Wirkliche Bildungs-

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[32/0041] soll oder könnte. Diese Unfähigkeit hat sich in der ganzen Existenzzeit des Lyceums nie verleugnet, und wenn man sich das Tuttifrutti ansieht, welches aus der Anstalt im Laufe des Jahrzehnts von 1875–85 geworden ist, so ergiebt sich, dass die Charakteristik ihm nur dann gerecht wird, wenn sie die ver- fehlten Züge immer stärker markirt. Einerseits ist das Lyceum, soweit es in erster Linie eigentliche Vorlesungsanstalt für Damen sein soll, nur immer tiefer in die universitären Rückständigkeiten gerathen und den Verkehrtheiten von Universitätsprofessoren an- heimgefallen, die daran dociren oder ihre Protégés dort dociren lassen. Andererseits aber, soweit es sich um eine Gattung schul- artiger Curse handelt, ist das Lyceum zu einer Fortsetzung so- genannter höherer Töchterschulen versimpelt. Hiebei hat sich die aufgenöthigte Schülerhaftigkeit der Manieren bis zu einer förm- lichen Reglementirungsvelleität und bis zur obligatorischen Vor- schrift des Ankaufs der empfohlenen Bücher erstreckt. Was aber die universitätsartigen Vorlesungen anbetrifft, so verbinden sie alle Schäden des Universitären noch obenein mit lächerlichen Zeitmaassen. Ein Curschen der Chemie von einem halben Dutzend Vorlesungen, deren jede anderthalb Stunden währt, sage also fünfhundertundvierzig Minuten der Chemie gewidmet, – das ist, zumal in der Universitätsmanier, eine komische Dosis; aber an solchen Musterstückchen von Kunstbethätigung der Berliner Uni- versitätsprofessoren für das Lyceum hat es nicht gefehlt. Doch lassen wir die Chemie als Feuerwerk in sechs Vorstellungen auf sich beruhen; denn das ganze Treiben auf dem sogenannten Lyceum ist ja überhaupt Spielerei und Schein. Auch ist dies nicht zu verwundern, da die für die Einrich- tung maassgebenden gelehrten Elemente selbst Gegner aller ernst- haften Frauenbildung, namentlich aber jeder höhern weiblichen Berufsbildung sind und ein Institut wie das Lyceum nach dem- selben socialpolitischen Grundsatz behandeln, wie in einer andern Richtung die sogenannte Volksbildung. Es ist eine alte Maxime, solche Bewegungen, die sich nicht unterdrücken lassen, wenigstens in einer für die ihnen feindlichen Elemente bequemen und mög- lichst fruchtlosen Richtung niederzuhalten. Behufs der Erzielung solcher unschuldigen Scheindinge stellt man sich selbst organisi- rend und fördernd an, während man in der That zu hemmen und abzulenken sucht. Doch genug von diesem Zwischenreich wissenschaftlich seinwollender Halbexistenz. Wirkliche Bildungs-

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/41>, abgerufen am 28.04.2024.