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Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 3. Hildesheim, 1747.

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Der Lehrreiche Kirchhoff.

Woraus die Fama thönend ruft:
Hier ruht der den die Welt betrogen:

Ein jeder sahe diesen Mann
Als einen GOtt auf Erden an:
Er glaubte immerfort zu leben,
Und muste doch den Geist aufgeben.

Hie ist ein Grab: wer liegt darin?
Ein Mensch den sonst die Welt zu enge,

Und sich abmaß nach seinen Sinn,
Und nicht nach seiner Leibes Länge:
Er war nur blos ein Erden-Gast,
Sein Wohnhaus war wie ein Pallast,
Und doch zu klein: Nun muß er liegen,
Und sich mit engen Sarg begnügen.
O Eitelkeit! wer ruhet da?
Ein Mensch der immer unzufrieden;

Wenn er in seinem Leben sah,
Daß GOtt dem andern mehr beschieden:
Die Unruh trieb ihm Tag und Nacht,
Der Gram hat ihn auch umgebracht;
Nun ist sein sehnend Herz gestillet,
Da er der Erden Bauch gefüllet.
Wer ist sein Nachbahr des Gebein,
Mit keinen Denkmal überdekket?
Was mag das vor ein Herze seyn,
Daß hier in diese Grufft verstekket?
Vermutlich ist es Gernegros,
Der ob er gleich sehr arm und blos,
Dennoch sich wünschte das Vergnügen
Bei einem reichen Mann zu liegen.
Denn

Der Lehrreiche Kirchhoff.

Woraus die Fama thoͤnend ruft:
Hier ruht der den die Welt betrogen:

Ein jeder ſahe dieſen Mann
Als einen GOtt auf Erden an:
Er glaubte immerfort zu leben,
Und muſte doch den Geiſt aufgeben.

Hie iſt ein Grab: wer liegt darin?
Ein Menſch den ſonſt die Welt zu enge,

Und ſich abmaß nach ſeinen Sinn,
Und nicht nach ſeiner Leibes Laͤnge:
Er war nur blos ein Erden-Gaſt,
Sein Wohnhaus war wie ein Pallaſt,
Und doch zu klein: Nun muß er liegen,
Und ſich mit engen Sarg begnuͤgen.
O Eitelkeit! wer ruhet da?
Ein Menſch der immer unzufrieden;

Wenn er in ſeinem Leben ſah,
Daß GOtt dem andern mehr beſchieden:
Die Unruh trieb ihm Tag und Nacht,
Der Gram hat ihn auch umgebracht;
Nun iſt ſein ſehnend Herz geſtillet,
Da er der Erden Bauch gefuͤllet.
Wer iſt ſein Nachbahr des Gebein,
Mit keinen Denkmal uͤberdekket?
Was mag das vor ein Herze ſeyn,
Daß hier in dieſe Grufft verſtekket?
Vermutlich iſt es Gernegros,
Der ob er gleich ſehr arm und blos,
Dennoch ſich wuͤnſchte das Vergnuͤgen
Bei einem reichen Mann zu liegen.
Denn
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[312/0324] Der Lehrreiche Kirchhoff. Woraus die Fama thoͤnend ruft: Hier ruht der den die Welt betrogen: Ein jeder ſahe dieſen Mann Als einen GOtt auf Erden an: Er glaubte immerfort zu leben, Und muſte doch den Geiſt aufgeben. Hie iſt ein Grab: wer liegt darin? Ein Menſch den ſonſt die Welt zu enge, Und ſich abmaß nach ſeinen Sinn, Und nicht nach ſeiner Leibes Laͤnge: Er war nur blos ein Erden-Gaſt, Sein Wohnhaus war wie ein Pallaſt, Und doch zu klein: Nun muß er liegen, Und ſich mit engen Sarg begnuͤgen. O Eitelkeit! wer ruhet da? Ein Menſch der immer unzufrieden; Wenn er in ſeinem Leben ſah, Daß GOtt dem andern mehr beſchieden: Die Unruh trieb ihm Tag und Nacht, Der Gram hat ihn auch umgebracht; Nun iſt ſein ſehnend Herz geſtillet, Da er der Erden Bauch gefuͤllet. Wer iſt ſein Nachbahr des Gebein, Mit keinen Denkmal uͤberdekket? Was mag das vor ein Herze ſeyn, Daß hier in dieſe Grufft verſtekket? Vermutlich iſt es Gernegros, Der ob er gleich ſehr arm und blos, Dennoch ſich wuͤnſchte das Vergnuͤgen Bei einem reichen Mann zu liegen. Denn

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Zitationshilfe: Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 3. Hildesheim, 1747, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebeling_betrachtungen03_1747/324>, abgerufen am 12.05.2024.