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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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"O gewiß! Wie könnte Kambyses meine letzte Bitte
abschlagen?"

"Meine Kunst gehört Dir!"

"Jch danke Dir; aber ich habe noch eine Bitte."

"Fass' Dich kurz! Meine persischen Genossen deuten
mir an, daß ich Dir Schweigen auferlegen müsse."

"Kannst Du dieselben nicht auf einen Augenblick ent-
fernen?"

"Jch will es versuchen."

Nebenchari näherte sich den Magiern. Wenige Mi-
nuten sprach er mit denselben, dann verließen sie das
Zimmer. Er hatte vorgegeben, eine große Beschwörung,
der kein Dritter beiwohnen dürfe, vornehmen und ein neues
geheimes Gegengift anwenden zu wollen.

Als die Beiden allein waren, athmete Nitetis freudig
auf und sagte: "Gib mir Deinen Priestersegen zur langen
Reise in die Unterwelt und mach' mich fertig für die
Wanderung zum Osiris!"

Nebenchari kniete an ihrem Lager nieder und mur-
melte leise Gesänge, denen Nitetis mit andächtiger Stimme
antwortete. Der Arzt stellte Osiris, den Herrn der Unter-
welt, dar; Nitetis die Seele, welche sich vor demselben
rechtfertigt 19).

Nachdem diese Ceremonien beendet waren, hob sich
die Brust der Kranken in volleren Athemzügen. Nebenchari
sah nicht ohne Rührung auf die junge Selbstmörderin.
Er war sich bewußt, den Göttern seiner Heimat diese Seele
gerettet, einem guten Geschöpfe die letzten, schweren Stunden
erleichtert zu haben. Während dieser Augenblicke hatte er
in reinem Mitleid und wahrer Menschenliebe jedes bittere
Gefühl vergessen; als aber der Gedanke, Amasis habe das
Unglück auch dieses lieblichen Geschöpfes verschuldet, in

„O gewiß! Wie könnte Kambyſes meine letzte Bitte
abſchlagen?“

„Meine Kunſt gehört Dir!“

„Jch danke Dir; aber ich habe noch eine Bitte.“

„Faſſ’ Dich kurz! Meine perſiſchen Genoſſen deuten
mir an, daß ich Dir Schweigen auferlegen müſſe.“

„Kannſt Du dieſelben nicht auf einen Augenblick ent-
fernen?“

„Jch will es verſuchen.“

Nebenchari näherte ſich den Magiern. Wenige Mi-
nuten ſprach er mit denſelben, dann verließen ſie das
Zimmer. Er hatte vorgegeben, eine große Beſchwörung,
der kein Dritter beiwohnen dürfe, vornehmen und ein neues
geheimes Gegengift anwenden zu wollen.

Als die Beiden allein waren, athmete Nitetis freudig
auf und ſagte: „Gib mir Deinen Prieſterſegen zur langen
Reiſe in die Unterwelt und mach’ mich fertig für die
Wanderung zum Oſiris!“

Nebenchari kniete an ihrem Lager nieder und mur-
melte leiſe Geſänge, denen Nitetis mit andächtiger Stimme
antwortete. Der Arzt ſtellte Oſiris, den Herrn der Unter-
welt, dar; Nitetis die Seele, welche ſich vor demſelben
rechtfertigt 19).

Nachdem dieſe Ceremonien beendet waren, hob ſich
die Bruſt der Kranken in volleren Athemzügen. Nebenchari
ſah nicht ohne Rührung auf die junge Selbſtmörderin.
Er war ſich bewußt, den Göttern ſeiner Heimat dieſe Seele
gerettet, einem guten Geſchöpfe die letzten, ſchweren Stunden
erleichtert zu haben. Während dieſer Augenblicke hatte er
in reinem Mitleid und wahrer Menſchenliebe jedes bittere
Gefühl vergeſſen; als aber der Gedanke, Amaſis habe das
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[34/0044] „O gewiß! Wie könnte Kambyſes meine letzte Bitte abſchlagen?“ „Meine Kunſt gehört Dir!“ „Jch danke Dir; aber ich habe noch eine Bitte.“ „Faſſ’ Dich kurz! Meine perſiſchen Genoſſen deuten mir an, daß ich Dir Schweigen auferlegen müſſe.“ „Kannſt Du dieſelben nicht auf einen Augenblick ent- fernen?“ „Jch will es verſuchen.“ Nebenchari näherte ſich den Magiern. Wenige Mi- nuten ſprach er mit denſelben, dann verließen ſie das Zimmer. Er hatte vorgegeben, eine große Beſchwörung, der kein Dritter beiwohnen dürfe, vornehmen und ein neues geheimes Gegengift anwenden zu wollen. Als die Beiden allein waren, athmete Nitetis freudig auf und ſagte: „Gib mir Deinen Prieſterſegen zur langen Reiſe in die Unterwelt und mach’ mich fertig für die Wanderung zum Oſiris!“ Nebenchari kniete an ihrem Lager nieder und mur- melte leiſe Geſänge, denen Nitetis mit andächtiger Stimme antwortete. Der Arzt ſtellte Oſiris, den Herrn der Unter- welt, dar; Nitetis die Seele, welche ſich vor demſelben rechtfertigt 19). Nachdem dieſe Ceremonien beendet waren, hob ſich die Bruſt der Kranken in volleren Athemzügen. Nebenchari ſah nicht ohne Rührung auf die junge Selbſtmörderin. Er war ſich bewußt, den Göttern ſeiner Heimat dieſe Seele gerettet, einem guten Geſchöpfe die letzten, ſchweren Stunden erleichtert zu haben. Während dieſer Augenblicke hatte er in reinem Mitleid und wahrer Menſchenliebe jedes bittere Gefühl vergeſſen; als aber der Gedanke, Amaſis habe das Unglück auch dieſes lieblichen Geſchöpfes verſchuldet, in

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/44>, abgerufen am 28.04.2024.