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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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und genugsamer äußeren Bildung, wie sie aus dem
Umgange mit vollendeten Menschen der höheren und
höchsten Stände hervorgeht, wird den Tasso nicht schwer
finden."

Das Gespräch lenkte sich auf den Egmont, und
Goethe sagte darüber Folgendes: "Ich schrieb den Eg¬
mont im Jahre 1775, also vor funfzig Jahren. Ich
hielt mich sehr treu an die Geschichte und strebte nach
möglichster Wahrheit. Als ich darauf zehn Jahre später
in Rom war, las ich in den Zeitungen, daß die ge¬
schilderten revolutionären Scenen in den Niederlanden
sich buchstäblich wiederholten. Ich sah daraus, daß die
Welt immer dieselbige bleibt und daß meine Darstellung
einiges Leben haben mußte."

Unter diesen und ähnlichen Gesprächen war die Zeit
des Theaters herangekommen und wir standen auf und
wurden von Goethe freundlich entlassen.

Im Nachhausegehen fragte ich Herrn H., wie ihm
Goethe gefallen. Ich habe nie einen Mann gesehen,
antwortete dieser, der bey aller liebevollen Milde so viel
angeborene Würde besäße. Er ist immer groß, er mag
sich stellen und sich herablassen wie er wolle.


und genugſamer aͤußeren Bildung, wie ſie aus dem
Umgange mit vollendeten Menſchen der hoͤheren und
hoͤchſten Staͤnde hervorgeht, wird den Taſſo nicht ſchwer
finden.“

Das Geſpraͤch lenkte ſich auf den Egmont, und
Goethe ſagte daruͤber Folgendes: „Ich ſchrieb den Eg¬
mont im Jahre 1775, alſo vor funfzig Jahren. Ich
hielt mich ſehr treu an die Geſchichte und ſtrebte nach
moͤglichſter Wahrheit. Als ich darauf zehn Jahre ſpaͤter
in Rom war, las ich in den Zeitungen, daß die ge¬
ſchilderten revolutionaͤren Scenen in den Niederlanden
ſich buchſtaͤblich wiederholten. Ich ſah daraus, daß die
Welt immer dieſelbige bleibt und daß meine Darſtellung
einiges Leben haben mußte.“

Unter dieſen und aͤhnlichen Geſpraͤchen war die Zeit
des Theaters herangekommen und wir ſtanden auf und
wurden von Goethe freundlich entlaſſen.

Im Nachhauſegehen fragte ich Herrn H., wie ihm
Goethe gefallen. Ich habe nie einen Mann geſehen,
antwortete dieſer, der bey aller liebevollen Milde ſo viel
angeborene Wuͤrde beſaͤße. Er iſt immer groß, er mag
ſich ſtellen und ſich herablaſſen wie er wolle.


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[184/0204] und genugſamer aͤußeren Bildung, wie ſie aus dem Umgange mit vollendeten Menſchen der hoͤheren und hoͤchſten Staͤnde hervorgeht, wird den Taſſo nicht ſchwer finden.“ Das Geſpraͤch lenkte ſich auf den Egmont, und Goethe ſagte daruͤber Folgendes: „Ich ſchrieb den Eg¬ mont im Jahre 1775, alſo vor funfzig Jahren. Ich hielt mich ſehr treu an die Geſchichte und ſtrebte nach moͤglichſter Wahrheit. Als ich darauf zehn Jahre ſpaͤter in Rom war, las ich in den Zeitungen, daß die ge¬ ſchilderten revolutionaͤren Scenen in den Niederlanden ſich buchſtaͤblich wiederholten. Ich ſah daraus, daß die Welt immer dieſelbige bleibt und daß meine Darſtellung einiges Leben haben mußte.“ Unter dieſen und aͤhnlichen Geſpraͤchen war die Zeit des Theaters herangekommen und wir ſtanden auf und wurden von Goethe freundlich entlaſſen. Im Nachhauſegehen fragte ich Herrn H., wie ihm Goethe gefallen. Ich habe nie einen Mann geſehen, antwortete dieſer, der bey aller liebevollen Milde ſo viel angeborene Wuͤrde beſaͤße. Er iſt immer groß, er mag ſich ſtellen und ſich herablaſſen wie er wolle.

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/204>, abgerufen am 28.04.2024.