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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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peinlichen Gegenstandes so lange leben konnte, um das
Stück zu machen.

"Dergleichen war ganz Byrons Element, sagte
Goethe; er war ein ewiger Selbstquäler, solche Gegen¬
stände waren daher seine Lieblings-Themata, wie Sie
aus allen seinen Sachen sehen, unter denen fast nicht
ein einziges heiteres Süjet ist. Aber nicht wahr? Die
Darstellung ist auch bey den Foscari zu loben."

Sie ist vortrefflich, sagte ich; jedes Wort ist stark,
bedeutend und zum Ziele führend, so wie ich überhaupt
bis jetzt in Byron noch keine matte Zeile gefunden habe.
Es ist mir immer, als sähe ich ihn aus den Meeres¬
wellen kommen, frisch und durchdrungen von schöpferi¬
schen Urkräften. "Sie haben ganz Recht, sagte Goethe,
es ist so." -- Jemehr ich ihn lese, fuhr ich fort, jemehr
bewundere ich die Größe seines Talents und Sie haben
ganz recht gethan ihm in der Helena das unsterbliche
Denkmal der Liebe zu setzen.

"Ich konnte als Repräsentanten der neuesten poeti¬
schen Zeit, sagte Goethe, niemanden gebrauchen als ihn,
der ohne Frage als das größte Talent des Jahrhunderts
anzusehen ist. Und dann, Byron ist nicht antik und
ist nicht romantisch, sondern er ist wie der gegenwärtige
Tag selbst. Einen solchen mußte ich haben. Auch paßte
er übrigens ganz wegen seines unbefriedigten Naturells
und seiner kriegerischen Tendenz, woran er in Misso¬
lunghi zu Grunde ging. Eine Abhandlung über Byron

peinlichen Gegenſtandes ſo lange leben konnte, um das
Stuͤck zu machen.

„Dergleichen war ganz Byrons Element, ſagte
Goethe; er war ein ewiger Selbſtquaͤler, ſolche Gegen¬
ſtaͤnde waren daher ſeine Lieblings-Themata, wie Sie
aus allen ſeinen Sachen ſehen, unter denen faſt nicht
ein einziges heiteres Suͤjet iſt. Aber nicht wahr? Die
Darſtellung iſt auch bey den Foscari zu loben.“

Sie iſt vortrefflich, ſagte ich; jedes Wort iſt ſtark,
bedeutend und zum Ziele fuͤhrend, ſo wie ich uͤberhaupt
bis jetzt in Byron noch keine matte Zeile gefunden habe.
Es iſt mir immer, als ſaͤhe ich ihn aus den Meeres¬
wellen kommen, friſch und durchdrungen von ſchoͤpferi¬
ſchen Urkraͤften. „Sie haben ganz Recht, ſagte Goethe,
es iſt ſo.“ — Jemehr ich ihn leſe, fuhr ich fort, jemehr
bewundere ich die Groͤße ſeines Talents und Sie haben
ganz recht gethan ihm in der Helena das unſterbliche
Denkmal der Liebe zu ſetzen.

„Ich konnte als Repraͤſentanten der neueſten poeti¬
ſchen Zeit, ſagte Goethe, niemanden gebrauchen als ihn,
der ohne Frage als das groͤßte Talent des Jahrhunderts
anzuſehen iſt. Und dann, Byron iſt nicht antik und
iſt nicht romantiſch, ſondern er iſt wie der gegenwaͤrtige
Tag ſelbſt. Einen ſolchen mußte ich haben. Auch paßte
er uͤbrigens ganz wegen ſeines unbefriedigten Naturells
und ſeiner kriegeriſchen Tendenz, woran er in Miſſo¬
lunghi zu Grunde ging. Eine Abhandlung uͤber Byron

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[364/0384] peinlichen Gegenſtandes ſo lange leben konnte, um das Stuͤck zu machen. „Dergleichen war ganz Byrons Element, ſagte Goethe; er war ein ewiger Selbſtquaͤler, ſolche Gegen¬ ſtaͤnde waren daher ſeine Lieblings-Themata, wie Sie aus allen ſeinen Sachen ſehen, unter denen faſt nicht ein einziges heiteres Suͤjet iſt. Aber nicht wahr? Die Darſtellung iſt auch bey den Foscari zu loben.“ Sie iſt vortrefflich, ſagte ich; jedes Wort iſt ſtark, bedeutend und zum Ziele fuͤhrend, ſo wie ich uͤberhaupt bis jetzt in Byron noch keine matte Zeile gefunden habe. Es iſt mir immer, als ſaͤhe ich ihn aus den Meeres¬ wellen kommen, friſch und durchdrungen von ſchoͤpferi¬ ſchen Urkraͤften. „Sie haben ganz Recht, ſagte Goethe, es iſt ſo.“ — Jemehr ich ihn leſe, fuhr ich fort, jemehr bewundere ich die Groͤße ſeines Talents und Sie haben ganz recht gethan ihm in der Helena das unſterbliche Denkmal der Liebe zu ſetzen. „Ich konnte als Repraͤſentanten der neueſten poeti¬ ſchen Zeit, ſagte Goethe, niemanden gebrauchen als ihn, der ohne Frage als das groͤßte Talent des Jahrhunderts anzuſehen iſt. Und dann, Byron iſt nicht antik und iſt nicht romantiſch, ſondern er iſt wie der gegenwaͤrtige Tag ſelbſt. Einen ſolchen mußte ich haben. Auch paßte er uͤbrigens ganz wegen ſeines unbefriedigten Naturells und ſeiner kriegeriſchen Tendenz, woran er in Miſſo¬ lunghi zu Grunde ging. Eine Abhandlung uͤber Byron

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/384>, abgerufen am 29.04.2024.