Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Herr seines Stoffes seyn. Und das ist eben der Vortheil
bey kleinen Sachen, daß man nur solche Gegenstände zu
wählen braucht und wählen wird, die man kennet, von
denen man Herr ist. Bey einem großen dichterischen
Werk geht das aber nicht, da läßt sich nicht ausweichen,
alles was zur Verknüpfung des Ganzen gehört und in
den Plan hinein mit verflochten ist, muß dargestellt wer¬
den und zwar mit getroffener Wahrheit. Bey der Ju¬
gend aber ist die Kenntniß der Dinge noch einseitig;
ein großes Werk aber erfordert Vielseitigkeit, und daran
scheitert man."

Ich sagte Goethen, daß ich im Willen gehabt, ein
großes Gedicht über die Jahreszeiten zu machen und die
Beschäftigungen und Belustigungen aller Stände hinein
zu verflechten. "Hier ist derselbige Fall, sagte Goethe
darauf, es kann Ihnen Vieles daran gelingen, aber
Manches, was Sie vielleicht noch nicht gehörig durch¬
forscht haben und kennen, gelingt Ihnen nicht. Es
gelingt Ihnen vielleicht der Fischer, aber der Jäger viel¬
leicht nicht. Geräth aber am Ganzen etwas nicht, so
ist es als Ganzes mangelhaft, so gut einzelne Partien
auch seyn mögen, und Sie haben nichts Vollendetes
geleistet. Stellen Sie aber bloß die einzelnen Partien
für sich, selbstständig dar, denen Sie gewachsen sind,
so machen Sie sicher etwas Gutes."

"Besonders warne ich vor eigenen großen Erfin¬
dungen; denn da will man eine Ansicht der Dinge geben

Herr ſeines Stoffes ſeyn. Und das iſt eben der Vortheil
bey kleinen Sachen, daß man nur ſolche Gegenſtaͤnde zu
waͤhlen braucht und waͤhlen wird, die man kennet, von
denen man Herr iſt. Bey einem großen dichteriſchen
Werk geht das aber nicht, da laͤßt ſich nicht ausweichen,
alles was zur Verknuͤpfung des Ganzen gehoͤrt und in
den Plan hinein mit verflochten iſt, muß dargeſtellt wer¬
den und zwar mit getroffener Wahrheit. Bey der Ju¬
gend aber iſt die Kenntniß der Dinge noch einſeitig;
ein großes Werk aber erfordert Vielſeitigkeit, und daran
ſcheitert man.“

Ich ſagte Goethen, daß ich im Willen gehabt, ein
großes Gedicht uͤber die Jahreszeiten zu machen und die
Beſchaͤftigungen und Beluſtigungen aller Staͤnde hinein
zu verflechten. „Hier iſt derſelbige Fall, ſagte Goethe
darauf, es kann Ihnen Vieles daran gelingen, aber
Manches, was Sie vielleicht noch nicht gehoͤrig durch¬
forſcht haben und kennen, gelingt Ihnen nicht. Es
gelingt Ihnen vielleicht der Fiſcher, aber der Jaͤger viel¬
leicht nicht. Geraͤth aber am Ganzen etwas nicht, ſo
iſt es als Ganzes mangelhaft, ſo gut einzelne Partien
auch ſeyn moͤgen, und Sie haben nichts Vollendetes
geleiſtet. Stellen Sie aber bloß die einzelnen Partien
fuͤr ſich, ſelbſtſtaͤndig dar, denen Sie gewachſen ſind,
ſo machen Sie ſicher etwas Gutes.“

„Beſonders warne ich vor eigenen großen Erfin¬
dungen; denn da will man eine Anſicht der Dinge geben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0075" n="55"/>
Herr &#x017F;eines Stoffes &#x017F;eyn. Und das i&#x017F;t eben der Vortheil<lb/>
bey kleinen Sachen, daß man nur &#x017F;olche Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde zu<lb/>
wa&#x0364;hlen braucht und wa&#x0364;hlen wird, die man kennet, von<lb/>
denen man Herr i&#x017F;t. Bey einem großen dichteri&#x017F;chen<lb/>
Werk geht das aber nicht, da la&#x0364;ßt &#x017F;ich nicht ausweichen,<lb/>
alles was zur Verknu&#x0364;pfung des Ganzen geho&#x0364;rt und in<lb/>
den Plan hinein mit verflochten i&#x017F;t, muß darge&#x017F;tellt wer¬<lb/>
den und zwar mit getroffener Wahrheit. Bey der Ju¬<lb/>
gend aber i&#x017F;t die Kenntniß der Dinge noch ein&#x017F;eitig;<lb/>
ein großes Werk aber erfordert Viel&#x017F;eitigkeit, und daran<lb/>
&#x017F;cheitert man.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich &#x017F;agte Goethen, daß ich im Willen gehabt, ein<lb/>
großes Gedicht u&#x0364;ber die Jahreszeiten zu machen und die<lb/>
Be&#x017F;cha&#x0364;ftigungen und Belu&#x017F;tigungen aller Sta&#x0364;nde hinein<lb/>
zu verflechten. &#x201E;Hier i&#x017F;t der&#x017F;elbige Fall, &#x017F;agte Goethe<lb/>
darauf, es kann Ihnen Vieles daran gelingen, aber<lb/>
Manches, was Sie vielleicht noch nicht geho&#x0364;rig durch¬<lb/>
for&#x017F;cht haben und kennen, gelingt Ihnen nicht. Es<lb/>
gelingt Ihnen vielleicht der Fi&#x017F;cher, aber der Ja&#x0364;ger viel¬<lb/>
leicht nicht. Gera&#x0364;th aber am Ganzen etwas nicht, &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t es als Ganzes mangelhaft, &#x017F;o gut einzelne Partien<lb/>
auch &#x017F;eyn mo&#x0364;gen, und Sie haben nichts Vollendetes<lb/>
gelei&#x017F;tet. Stellen Sie aber bloß die einzelnen Partien<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich, &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndig dar, denen Sie gewach&#x017F;en &#x017F;ind,<lb/>
&#x017F;o machen Sie &#x017F;icher etwas Gutes.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Be&#x017F;onders warne ich vor <hi rendition="#g">eigenen</hi> großen Erfin¬<lb/>
dungen; denn da will man eine An&#x017F;icht der Dinge geben<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0075] Herr ſeines Stoffes ſeyn. Und das iſt eben der Vortheil bey kleinen Sachen, daß man nur ſolche Gegenſtaͤnde zu waͤhlen braucht und waͤhlen wird, die man kennet, von denen man Herr iſt. Bey einem großen dichteriſchen Werk geht das aber nicht, da laͤßt ſich nicht ausweichen, alles was zur Verknuͤpfung des Ganzen gehoͤrt und in den Plan hinein mit verflochten iſt, muß dargeſtellt wer¬ den und zwar mit getroffener Wahrheit. Bey der Ju¬ gend aber iſt die Kenntniß der Dinge noch einſeitig; ein großes Werk aber erfordert Vielſeitigkeit, und daran ſcheitert man.“ Ich ſagte Goethen, daß ich im Willen gehabt, ein großes Gedicht uͤber die Jahreszeiten zu machen und die Beſchaͤftigungen und Beluſtigungen aller Staͤnde hinein zu verflechten. „Hier iſt derſelbige Fall, ſagte Goethe darauf, es kann Ihnen Vieles daran gelingen, aber Manches, was Sie vielleicht noch nicht gehoͤrig durch¬ forſcht haben und kennen, gelingt Ihnen nicht. Es gelingt Ihnen vielleicht der Fiſcher, aber der Jaͤger viel¬ leicht nicht. Geraͤth aber am Ganzen etwas nicht, ſo iſt es als Ganzes mangelhaft, ſo gut einzelne Partien auch ſeyn moͤgen, und Sie haben nichts Vollendetes geleiſtet. Stellen Sie aber bloß die einzelnen Partien fuͤr ſich, ſelbſtſtaͤndig dar, denen Sie gewachſen ſind, ſo machen Sie ſicher etwas Gutes.“ „Beſonders warne ich vor eigenen großen Erfin¬ dungen; denn da will man eine Anſicht der Dinge geben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/75
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/75>, abgerufen am 05.05.2024.