"Man sieht aber an diesem Buch, fuhr Goethe fort, wie viele Mährchen uns von seinem egyptischen Feld¬ zuge erzählet worden. Manches bestätiget sich zwar, allein Vieles gar nicht, und das Meiste ist anders."
"Daß er die achthundert türkischen Gefangenen hat erschießen lassen, ist wahr; aber es erscheint als reifer Be¬ schluß eines langen Kriegsrathes, indem, nach Erwägung aller Umstände, kein Mittel gewesen ist, sie zu retten."
"Daß er in die Pyramiden soll hinabgestiegen seyn, ist ein Mährchen. Er ist hübsch außerhalb stehen ge¬ blieben und hat sich von den Andern erzählen lassen was sie unten gesehen."
"So auch verhält sich die Sage, daß er orientali¬ sches Costüm angelegt, ein wenig anders. Er hat bloß ein einziges Mal im Hause diese Maskerade gespielt, und ist so unter den Seinigen erschienen, zu sehen wie es ihn kleide. Aber der Turban hat ihm nicht gestan¬ den, wie er denn allen länglichen Köpfen nicht steht, und so hat er dieses Costüm nie wieder angelegt."
"Die Pestkranken aber hat er wirklich besucht, und zwar um ein Beyspiel zu geben, daß man die Pest überwinden könne, wenn man die Furcht zu überwinden fähig sey. Und er hat Recht! -- Ich kann aus mei¬ nem eigenen Leben ein Factum erzählen, wo ich bey einem Faulfieber der Ansteckung unvermeidlich ausgesetzt war, und wo ich bloß durch einen entschiedenen Willen die Krankheit von mir abwehrte. Es ist unglaublich,
„Man ſieht aber an dieſem Buch, fuhr Goethe fort, wie viele Maͤhrchen uns von ſeinem egyptiſchen Feld¬ zuge erzaͤhlet worden. Manches beſtaͤtiget ſich zwar, allein Vieles gar nicht, und das Meiſte iſt anders.“
„Daß er die achthundert tuͤrkiſchen Gefangenen hat erſchießen laſſen, iſt wahr; aber es erſcheint als reifer Be¬ ſchluß eines langen Kriegsrathes, indem, nach Erwaͤgung aller Umſtaͤnde, kein Mittel geweſen iſt, ſie zu retten.“
„Daß er in die Pyramiden ſoll hinabgeſtiegen ſeyn, iſt ein Maͤhrchen. Er iſt huͤbſch außerhalb ſtehen ge¬ blieben und hat ſich von den Andern erzaͤhlen laſſen was ſie unten geſehen.“
„So auch verhaͤlt ſich die Sage, daß er orientali¬ ſches Coſtuͤm angelegt, ein wenig anders. Er hat bloß ein einziges Mal im Hauſe dieſe Maskerade geſpielt, und iſt ſo unter den Seinigen erſchienen, zu ſehen wie es ihn kleide. Aber der Turban hat ihm nicht geſtan¬ den, wie er denn allen laͤnglichen Koͤpfen nicht ſteht, und ſo hat er dieſes Coſtuͤm nie wieder angelegt.“
„Die Peſtkranken aber hat er wirklich beſucht, und zwar um ein Beyſpiel zu geben, daß man die Peſt uͤberwinden koͤnne, wenn man die Furcht zu uͤberwinden faͤhig ſey. Und er hat Recht! — Ich kann aus mei¬ nem eigenen Leben ein Factum erzaͤhlen, wo ich bey einem Faulfieber der Anſteckung unvermeidlich ausgeſetzt war, und wo ich bloß durch einen entſchiedenen Willen die Krankheit von mir abwehrte. Es iſt unglaublich,
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0124"n="114"/><p>„Man ſieht aber an dieſem Buch, fuhr Goethe fort,<lb/>
wie viele Maͤhrchen uns von ſeinem egyptiſchen Feld¬<lb/>
zuge erzaͤhlet worden. Manches beſtaͤtiget ſich zwar,<lb/>
allein Vieles gar nicht, und das Meiſte iſt anders.“</p><lb/><p>„Daß er die achthundert tuͤrkiſchen Gefangenen hat<lb/>
erſchießen laſſen, iſt wahr; aber es erſcheint als reifer Be¬<lb/>ſchluß eines langen Kriegsrathes, indem, nach Erwaͤgung<lb/>
aller Umſtaͤnde, kein Mittel geweſen iſt, ſie zu retten.“</p><lb/><p>„Daß er in die Pyramiden ſoll hinabgeſtiegen ſeyn,<lb/>
iſt ein Maͤhrchen. Er iſt huͤbſch außerhalb ſtehen ge¬<lb/>
blieben und hat ſich von den Andern erzaͤhlen laſſen<lb/>
was ſie unten geſehen.“</p><lb/><p>„So auch verhaͤlt ſich die Sage, daß er orientali¬<lb/>ſches Coſtuͤm angelegt, ein wenig anders. Er hat bloß<lb/>
ein einziges Mal im Hauſe dieſe Maskerade geſpielt,<lb/>
und iſt ſo unter den Seinigen erſchienen, zu ſehen wie<lb/>
es ihn kleide. Aber der Turban hat ihm nicht geſtan¬<lb/>
den, wie er denn allen laͤnglichen Koͤpfen nicht ſteht,<lb/>
und ſo hat er dieſes Coſtuͤm nie wieder angelegt.“</p><lb/><p>„Die Peſtkranken aber hat er wirklich beſucht, und<lb/>
zwar um ein Beyſpiel zu geben, daß man die Peſt<lb/>
uͤberwinden koͤnne, wenn man die Furcht zu uͤberwinden<lb/>
faͤhig ſey. Und er hat Recht! — Ich kann aus mei¬<lb/>
nem eigenen Leben ein Factum erzaͤhlen, wo ich bey<lb/>
einem Faulfieber der Anſteckung unvermeidlich ausgeſetzt<lb/>
war, und wo ich bloß durch einen entſchiedenen Willen<lb/>
die Krankheit von mir abwehrte. Es iſt unglaublich,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[114/0124]
„Man ſieht aber an dieſem Buch, fuhr Goethe fort,
wie viele Maͤhrchen uns von ſeinem egyptiſchen Feld¬
zuge erzaͤhlet worden. Manches beſtaͤtiget ſich zwar,
allein Vieles gar nicht, und das Meiſte iſt anders.“
„Daß er die achthundert tuͤrkiſchen Gefangenen hat
erſchießen laſſen, iſt wahr; aber es erſcheint als reifer Be¬
ſchluß eines langen Kriegsrathes, indem, nach Erwaͤgung
aller Umſtaͤnde, kein Mittel geweſen iſt, ſie zu retten.“
„Daß er in die Pyramiden ſoll hinabgeſtiegen ſeyn,
iſt ein Maͤhrchen. Er iſt huͤbſch außerhalb ſtehen ge¬
blieben und hat ſich von den Andern erzaͤhlen laſſen
was ſie unten geſehen.“
„So auch verhaͤlt ſich die Sage, daß er orientali¬
ſches Coſtuͤm angelegt, ein wenig anders. Er hat bloß
ein einziges Mal im Hauſe dieſe Maskerade geſpielt,
und iſt ſo unter den Seinigen erſchienen, zu ſehen wie
es ihn kleide. Aber der Turban hat ihm nicht geſtan¬
den, wie er denn allen laͤnglichen Koͤpfen nicht ſteht,
und ſo hat er dieſes Coſtuͤm nie wieder angelegt.“
„Die Peſtkranken aber hat er wirklich beſucht, und
zwar um ein Beyſpiel zu geben, daß man die Peſt
uͤberwinden koͤnne, wenn man die Furcht zu uͤberwinden
faͤhig ſey. Und er hat Recht! — Ich kann aus mei¬
nem eigenen Leben ein Factum erzaͤhlen, wo ich bey
einem Faulfieber der Anſteckung unvermeidlich ausgeſetzt
war, und wo ich bloß durch einen entſchiedenen Willen
die Krankheit von mir abwehrte. Es iſt unglaublich,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/124>, abgerufen am 28.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.