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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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macht, kann sich vor Meister und Gesellen sehen
lassen."

Wir sprachen sodann über die classische Walpurgis¬
nacht, und daß er dabey auf Dinge komme, die ihn sel¬
ber überraschen. Auch gehe der Gegenstand mehr aus¬
einander als er gedacht.

"Ich habe jetzt etwas über die Hälfte, sagte er, aber
ich will mich dazu halten und hoffe bis Ostern fertig
zu seyn. Sie sollen früher nichts weiter davon sehen,
aber sobald es fertig ist, gebe ich es Ihnen mit nach
Hause, damit Sie es in der Stille prüfen. Wenn Sie
nun den 38sten und 39sten Band zusammenstellten, so
daß wir Ostern die letzte Lieferung absenden könnten,
so wäre es hübsch und wir hätten den Sommer zu et¬
was Großem frey. Ich würde im Faust bleiben und
den vierten Act zu überwinden suchen." Ich freute mich
dazu und versprach ihm meinerseits jeden Beystand.

Goethe schickte darauf seinen Bedienten, um sich
nach der Großherzogin Mutter zu erkundigen, die
sehr krank geworden und deren Zustand ihm bedenklich
schien.

"Sie hätte den Maskenzug nicht sehen sollen, sagte
er; aber fürstliche Personen sind gewohnt ihren Willen
zu haben, und so ist denn alles Protestiren des Hofes
und der Ärzte vergeblich gewesen. Dieselbige Willens¬
kraft, mit der sie Napoleon widerstand, setzt sie auch
ihrer körperlichen Schwäche entgegen; und so sehe ich

macht, kann ſich vor Meiſter und Geſellen ſehen
laſſen.“

Wir ſprachen ſodann uͤber die claſſiſche Walpurgis¬
nacht, und daß er dabey auf Dinge komme, die ihn ſel¬
ber uͤberraſchen. Auch gehe der Gegenſtand mehr aus¬
einander als er gedacht.

„Ich habe jetzt etwas uͤber die Haͤlfte, ſagte er, aber
ich will mich dazu halten und hoffe bis Oſtern fertig
zu ſeyn. Sie ſollen fruͤher nichts weiter davon ſehen,
aber ſobald es fertig iſt, gebe ich es Ihnen mit nach
Hauſe, damit Sie es in der Stille pruͤfen. Wenn Sie
nun den 38ſten und 39ſten Band zuſammenſtellten, ſo
daß wir Oſtern die letzte Lieferung abſenden koͤnnten,
ſo waͤre es huͤbſch und wir haͤtten den Sommer zu et¬
was Großem frey. Ich wuͤrde im Fauſt bleiben und
den vierten Act zu uͤberwinden ſuchen.“ Ich freute mich
dazu und verſprach ihm meinerſeits jeden Beyſtand.

Goethe ſchickte darauf ſeinen Bedienten, um ſich
nach der Großherzogin Mutter zu erkundigen, die
ſehr krank geworden und deren Zuſtand ihm bedenklich
ſchien.

„Sie haͤtte den Maskenzug nicht ſehen ſollen, ſagte
er; aber fuͤrſtliche Perſonen ſind gewohnt ihren Willen
zu haben, und ſo iſt denn alles Proteſtiren des Hofes
und der Ärzte vergeblich geweſen. Dieſelbige Willens¬
kraft, mit der ſie Napoleon widerſtand, ſetzt ſie auch
ihrer koͤrperlichen Schwaͤche entgegen; und ſo ſehe ich

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[182/0192] macht, kann ſich vor Meiſter und Geſellen ſehen laſſen.“ Wir ſprachen ſodann uͤber die claſſiſche Walpurgis¬ nacht, und daß er dabey auf Dinge komme, die ihn ſel¬ ber uͤberraſchen. Auch gehe der Gegenſtand mehr aus¬ einander als er gedacht. „Ich habe jetzt etwas uͤber die Haͤlfte, ſagte er, aber ich will mich dazu halten und hoffe bis Oſtern fertig zu ſeyn. Sie ſollen fruͤher nichts weiter davon ſehen, aber ſobald es fertig iſt, gebe ich es Ihnen mit nach Hauſe, damit Sie es in der Stille pruͤfen. Wenn Sie nun den 38ſten und 39ſten Band zuſammenſtellten, ſo daß wir Oſtern die letzte Lieferung abſenden koͤnnten, ſo waͤre es huͤbſch und wir haͤtten den Sommer zu et¬ was Großem frey. Ich wuͤrde im Fauſt bleiben und den vierten Act zu uͤberwinden ſuchen.“ Ich freute mich dazu und verſprach ihm meinerſeits jeden Beyſtand. Goethe ſchickte darauf ſeinen Bedienten, um ſich nach der Großherzogin Mutter zu erkundigen, die ſehr krank geworden und deren Zuſtand ihm bedenklich ſchien. „Sie haͤtte den Maskenzug nicht ſehen ſollen, ſagte er; aber fuͤrſtliche Perſonen ſind gewohnt ihren Willen zu haben, und ſo iſt denn alles Proteſtiren des Hofes und der Ärzte vergeblich geweſen. Dieſelbige Willens¬ kraft, mit der ſie Napoleon widerſtand, ſetzt ſie auch ihrer koͤrperlichen Schwaͤche entgegen; und ſo ſehe ich

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/192>, abgerufen am 27.04.2024.