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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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Zum Nachtisch betrachteten wir einige Kupfer nach
neuesten Meistern, besonders im landschaftlichen Fach,
wobey mit Freuden bemerkt wurde, daß daran nichts
Falsches wahrzunehmen. "Es ist seit Jahrhunderten so
viel Gutes in der Welt, sagte Goethe, daß man sich
billig nicht wundern sollte wenn es wirkt und wieder
Gutes hervorruft." Es ist nur das Üble, sagte ich, daß
es so viele falsche Lehren giebt, und daß ein junges
Talent nicht weiß welchem Heiligen es sich widmen soll.
"Davon haben wir Proben, sagte Goethe; wir haben
ganze Generationen an falschen Maximen verloren gehen
und leiden sehen, und haben selber darunter gelitten.
Und nun in unsern Tagen die Leichtigkeit, jeden Irr¬
thum durch den Druck sogleich allgemein predigen zu
können! Mag ein solcher Kunstrichter nach einigen Jah¬
ren auch besser denken, und mag er auch seine bessere
Überzeugung öffentlich verbreiten, seine Irrlehre hat doch
unterdeß gewirkt und wird auch künftig, gleich einem
Schlingkraut, neben dem Guten immer fortwirken.
Mein Trost ist nur, daß ein wirklich großes Talent
nicht irre zu leiten und nicht zu verderben ist."

Wir betrachteten die Kupfer weiter. "Es sind wirk¬
lich gute Sachen, sagte Goethe; Sie sehen reine hübsche
Talente, die was gelernt und die sich Geschmack und
Kunst in bedeutendem Grade angeeignet haben. Allein
doch fehlet diesen Bildern allen etwas und zwar: das
Männliche. -- Merken Sie sich dieses Wort und

Zum Nachtiſch betrachteten wir einige Kupfer nach
neueſten Meiſtern, beſonders im landſchaftlichen Fach,
wobey mit Freuden bemerkt wurde, daß daran nichts
Falſches wahrzunehmen. „Es iſt ſeit Jahrhunderten ſo
viel Gutes in der Welt, ſagte Goethe, daß man ſich
billig nicht wundern ſollte wenn es wirkt und wieder
Gutes hervorruft.“ Es iſt nur das Üble, ſagte ich, daß
es ſo viele falſche Lehren giebt, und daß ein junges
Talent nicht weiß welchem Heiligen es ſich widmen ſoll.
„Davon haben wir Proben, ſagte Goethe; wir haben
ganze Generationen an falſchen Maximen verloren gehen
und leiden ſehen, und haben ſelber darunter gelitten.
Und nun in unſern Tagen die Leichtigkeit, jeden Irr¬
thum durch den Druck ſogleich allgemein predigen zu
koͤnnen! Mag ein ſolcher Kunſtrichter nach einigen Jah¬
ren auch beſſer denken, und mag er auch ſeine beſſere
Überzeugung oͤffentlich verbreiten, ſeine Irrlehre hat doch
unterdeß gewirkt und wird auch kuͤnftig, gleich einem
Schlingkraut, neben dem Guten immer fortwirken.
Mein Troſt iſt nur, daß ein wirklich großes Talent
nicht irre zu leiten und nicht zu verderben iſt.“

Wir betrachteten die Kupfer weiter. „Es ſind wirk¬
lich gute Sachen, ſagte Goethe; Sie ſehen reine huͤbſche
Talente, die was gelernt und die ſich Geſchmack und
Kunſt in bedeutendem Grade angeeignet haben. Allein
doch fehlet dieſen Bildern allen etwas und zwar: das
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[267/0277] Zum Nachtiſch betrachteten wir einige Kupfer nach neueſten Meiſtern, beſonders im landſchaftlichen Fach, wobey mit Freuden bemerkt wurde, daß daran nichts Falſches wahrzunehmen. „Es iſt ſeit Jahrhunderten ſo viel Gutes in der Welt, ſagte Goethe, daß man ſich billig nicht wundern ſollte wenn es wirkt und wieder Gutes hervorruft.“ Es iſt nur das Üble, ſagte ich, daß es ſo viele falſche Lehren giebt, und daß ein junges Talent nicht weiß welchem Heiligen es ſich widmen ſoll. „Davon haben wir Proben, ſagte Goethe; wir haben ganze Generationen an falſchen Maximen verloren gehen und leiden ſehen, und haben ſelber darunter gelitten. Und nun in unſern Tagen die Leichtigkeit, jeden Irr¬ thum durch den Druck ſogleich allgemein predigen zu koͤnnen! Mag ein ſolcher Kunſtrichter nach einigen Jah¬ ren auch beſſer denken, und mag er auch ſeine beſſere Überzeugung oͤffentlich verbreiten, ſeine Irrlehre hat doch unterdeß gewirkt und wird auch kuͤnftig, gleich einem Schlingkraut, neben dem Guten immer fortwirken. Mein Troſt iſt nur, daß ein wirklich großes Talent nicht irre zu leiten und nicht zu verderben iſt.“ Wir betrachteten die Kupfer weiter. „Es ſind wirk¬ lich gute Sachen, ſagte Goethe; Sie ſehen reine huͤbſche Talente, die was gelernt und die ſich Geſchmack und Kunſt in bedeutendem Grade angeeignet haben. Allein doch fehlet dieſen Bildern allen etwas und zwar: das Maͤnnliche. — Merken Sie ſich dieſes Wort und

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/277>, abgerufen am 29.04.2024.