Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Goethe, ist sehr selten, und man thut daher im gewöhn¬
lichen Leben immer wohl, solche Dinge für sich zu be¬
halten, und davon nur so viel hervorzukehren, als nöthig
ist, um gegen die Andern in einiger Avantage zu seyn."

Wir berühren sodann den Punct, daß viele Men¬
schen, besonders Critiker und Poeten, das eigentlich
Große ganz ignoriren, und dagegen auf das Mittlere
einen außerordentlichen Werth legen.

"Der Mensch, sagte Goethe, erkennet nur das an
und preiset nur das, was er selber zu machen fähig ist;
und da nun gewisse Leute in dem Mittleren ihre eigent¬
liche Existenz haben, so gebrauchen sie den Pfiff, daß
sie das wirklich Tadelnswürdige in der Literatur, was
jedoch immer einiges Gute haben mag, durchaus schel¬
ten und ganz tief herabsetzen, damit das Mittlere, was
sie anpreisen, auf einer desto größeren Höhe erscheine."

Ich merkte mir dieses, damit ich wissen möchte, was
ich von dergleichen Verfahren künftig zu denken.

Wir sprachen sodann von der Farbenlehre, und
daß gewisse deutsche Professoren noch immer fortfahren,
ihre Schüler davor, als vor einem großen Irrthum, zu
warnen.

"Es thut mir nur um manchen guten Schüler leid,
sagte Goethe; mir selbst aber kann es völlig einerley
seyn, denn meine Farbenlehre ist so alt wie die Welt,
und wird auf die Länge nicht zu verläugnen und bey
Seite zu bringen seyn."

Goethe, iſt ſehr ſelten, und man thut daher im gewoͤhn¬
lichen Leben immer wohl, ſolche Dinge fuͤr ſich zu be¬
halten, und davon nur ſo viel hervorzukehren, als noͤthig
iſt, um gegen die Andern in einiger Avantage zu ſeyn.“

Wir beruͤhren ſodann den Punct, daß viele Men¬
ſchen, beſonders Critiker und Poeten, das eigentlich
Große ganz ignoriren, und dagegen auf das Mittlere
einen außerordentlichen Werth legen.

„Der Menſch, ſagte Goethe, erkennet nur das an
und preiſet nur das, was er ſelber zu machen faͤhig iſt;
und da nun gewiſſe Leute in dem Mittleren ihre eigent¬
liche Exiſtenz haben, ſo gebrauchen ſie den Pfiff, daß
ſie das wirklich Tadelnswuͤrdige in der Literatur, was
jedoch immer einiges Gute haben mag, durchaus ſchel¬
ten und ganz tief herabſetzen, damit das Mittlere, was
ſie anpreiſen, auf einer deſto groͤßeren Hoͤhe erſcheine.“

Ich merkte mir dieſes, damit ich wiſſen moͤchte, was
ich von dergleichen Verfahren kuͤnftig zu denken.

Wir ſprachen ſodann von der Farbenlehre, und
daß gewiſſe deutſche Profeſſoren noch immer fortfahren,
ihre Schuͤler davor, als vor einem großen Irrthum, zu
warnen.

„Es thut mir nur um manchen guten Schuͤler leid,
ſagte Goethe; mir ſelbſt aber kann es voͤllig einerley
ſeyn, denn meine Farbenlehre iſt ſo alt wie die Welt,
und wird auf die Laͤnge nicht zu verlaͤugnen und bey
Seite zu bringen ſeyn.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0326" n="316"/>
Goethe, i&#x017F;t &#x017F;ehr &#x017F;elten, und man thut daher im gewo&#x0364;hn¬<lb/>
lichen Leben immer wohl, &#x017F;olche Dinge fu&#x0364;r &#x017F;ich zu be¬<lb/>
halten, und davon nur &#x017F;o viel hervorzukehren, als no&#x0364;thig<lb/>
i&#x017F;t, um gegen die Andern in einiger Avantage zu &#x017F;eyn.&#x201C;<lb/></p>
          <p>Wir beru&#x0364;hren &#x017F;odann den Punct, daß viele Men¬<lb/>
&#x017F;chen, be&#x017F;onders Critiker und Poeten, das eigentlich<lb/>
Große ganz ignoriren, und dagegen auf das Mittlere<lb/>
einen außerordentlichen Werth legen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Der Men&#x017F;ch, &#x017F;agte Goethe, erkennet nur das an<lb/>
und prei&#x017F;et nur das, was er &#x017F;elber zu machen fa&#x0364;hig i&#x017F;t;<lb/>
und da nun gewi&#x017F;&#x017F;e Leute in dem Mittleren ihre eigent¬<lb/>
liche Exi&#x017F;tenz haben, &#x017F;o gebrauchen &#x017F;ie den Pfiff, daß<lb/>
&#x017F;ie das wirklich Tadelnswu&#x0364;rdige in der Literatur, was<lb/>
jedoch immer einiges Gute haben mag, durchaus &#x017F;chel¬<lb/>
ten und ganz tief herab&#x017F;etzen, damit das Mittlere, was<lb/>
&#x017F;ie anprei&#x017F;en, auf einer de&#x017F;to gro&#x0364;ßeren Ho&#x0364;he er&#x017F;cheine.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich merkte mir die&#x017F;es, damit ich wi&#x017F;&#x017F;en mo&#x0364;chte, was<lb/>
ich von dergleichen Verfahren ku&#x0364;nftig zu denken.</p><lb/>
          <p>Wir &#x017F;prachen &#x017F;odann von der <hi rendition="#g">Farbenlehre</hi>, und<lb/>
daß gewi&#x017F;&#x017F;e deut&#x017F;che Profe&#x017F;&#x017F;oren noch immer fortfahren,<lb/>
ihre Schu&#x0364;ler davor, als vor einem großen Irrthum, zu<lb/>
warnen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Es thut mir nur um manchen guten Schu&#x0364;ler leid,<lb/>
&#x017F;agte Goethe; mir &#x017F;elb&#x017F;t aber kann es vo&#x0364;llig einerley<lb/>
&#x017F;eyn, denn meine Farbenlehre i&#x017F;t &#x017F;o alt wie die Welt,<lb/>
und wird auf die La&#x0364;nge nicht zu verla&#x0364;ugnen und bey<lb/>
Seite zu bringen &#x017F;eyn.&#x201C;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[316/0326] Goethe, iſt ſehr ſelten, und man thut daher im gewoͤhn¬ lichen Leben immer wohl, ſolche Dinge fuͤr ſich zu be¬ halten, und davon nur ſo viel hervorzukehren, als noͤthig iſt, um gegen die Andern in einiger Avantage zu ſeyn.“ Wir beruͤhren ſodann den Punct, daß viele Men¬ ſchen, beſonders Critiker und Poeten, das eigentlich Große ganz ignoriren, und dagegen auf das Mittlere einen außerordentlichen Werth legen. „Der Menſch, ſagte Goethe, erkennet nur das an und preiſet nur das, was er ſelber zu machen faͤhig iſt; und da nun gewiſſe Leute in dem Mittleren ihre eigent¬ liche Exiſtenz haben, ſo gebrauchen ſie den Pfiff, daß ſie das wirklich Tadelnswuͤrdige in der Literatur, was jedoch immer einiges Gute haben mag, durchaus ſchel¬ ten und ganz tief herabſetzen, damit das Mittlere, was ſie anpreiſen, auf einer deſto groͤßeren Hoͤhe erſcheine.“ Ich merkte mir dieſes, damit ich wiſſen moͤchte, was ich von dergleichen Verfahren kuͤnftig zu denken. Wir ſprachen ſodann von der Farbenlehre, und daß gewiſſe deutſche Profeſſoren noch immer fortfahren, ihre Schuͤler davor, als vor einem großen Irrthum, zu warnen. „Es thut mir nur um manchen guten Schuͤler leid, ſagte Goethe; mir ſelbſt aber kann es voͤllig einerley ſeyn, denn meine Farbenlehre iſt ſo alt wie die Welt, und wird auf die Laͤnge nicht zu verlaͤugnen und bey Seite zu bringen ſeyn.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/326
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/326>, abgerufen am 29.04.2024.