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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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Der großen Meister wegen, und um etwas zu lernen,
scheinen sie nicht nach Rom gekommen zu seyn. Ra¬
phael
dünkt ihnen schwach, und Tizian bloß ein
guter Colorist.

"Niebuhr hat Recht gehabt, sagte Goethe, wenn
er eine barbarische Zeit kommen sah. Sie ist schon da,
wir sind schon mitten darinne; denn worin besteht die
Barbarey anders als darin, daß man das Vortreffliche
nicht anerkennt."

Der junge Freund erzählt sodann vom Carneval,
von der Wahl des neuen Pabstes, und der gleich hinter¬
drein ausbrechenden Revolution.

Wir sehen Horaz Vernet, welcher sich ritterlich
verschanzet; einige deutsche Künstler dagegen sich ruhig
zu Hause halten und ihre Bärte abschneiden, woraus
zu bemerken, daß sie sich bey den Römern durch ihr
Betragen nicht eben sehr beliebt mögen gemacht haben.

Es kommt zur Sprache, ob die Verirrung, wie sie
an einigen jungen deutschen Künstlern wahrzunehmen,
von einzelnen Personen ausgegangen sey, und sich als
eine geistige Ansteckung verbreitet habe, oder ob sie in
der ganzen Zeit ihren Ursprung gehabt.

"Sie ist von wenigen Einzelnen ausgegangen, sagte
Goethe, und wirkt nun schon seit vierzig Jahren fort.
Die Lehre war: der Künstler brauche vorzüglich Fröm¬
migkeit und Genie, um es den Besten gleich zu thun.
Eine solche Lehre war sehr einschmeichelnd und man

Der großen Meiſter wegen, und um etwas zu lernen,
ſcheinen ſie nicht nach Rom gekommen zu ſeyn. Ra¬
phael
duͤnkt ihnen ſchwach, und Tizian bloß ein
guter Coloriſt.

Niebuhr hat Recht gehabt, ſagte Goethe, wenn
er eine barbariſche Zeit kommen ſah. Sie iſt ſchon da,
wir ſind ſchon mitten darinne; denn worin beſteht die
Barbarey anders als darin, daß man das Vortreffliche
nicht anerkennt.“

Der junge Freund erzaͤhlt ſodann vom Carneval,
von der Wahl des neuen Pabſtes, und der gleich hinter¬
drein ausbrechenden Revolution.

Wir ſehen Horaz Vernet, welcher ſich ritterlich
verſchanzet; einige deutſche Kuͤnſtler dagegen ſich ruhig
zu Hauſe halten und ihre Baͤrte abſchneiden, woraus
zu bemerken, daß ſie ſich bey den Roͤmern durch ihr
Betragen nicht eben ſehr beliebt moͤgen gemacht haben.

Es kommt zur Sprache, ob die Verirrung, wie ſie
an einigen jungen deutſchen Kuͤnſtlern wahrzunehmen,
von einzelnen Perſonen ausgegangen ſey, und ſich als
eine geiſtige Anſteckung verbreitet habe, oder ob ſie in
der ganzen Zeit ihren Urſprung gehabt.

„Sie iſt von wenigen Einzelnen ausgegangen, ſagte
Goethe, und wirkt nun ſchon ſeit vierzig Jahren fort.
Die Lehre war: der Kuͤnſtler brauche vorzuͤglich Froͤm¬
migkeit und Genie, um es den Beſten gleich zu thun.
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[325/0335] Der großen Meiſter wegen, und um etwas zu lernen, ſcheinen ſie nicht nach Rom gekommen zu ſeyn. Ra¬ phael duͤnkt ihnen ſchwach, und Tizian bloß ein guter Coloriſt. „Niebuhr hat Recht gehabt, ſagte Goethe, wenn er eine barbariſche Zeit kommen ſah. Sie iſt ſchon da, wir ſind ſchon mitten darinne; denn worin beſteht die Barbarey anders als darin, daß man das Vortreffliche nicht anerkennt.“ Der junge Freund erzaͤhlt ſodann vom Carneval, von der Wahl des neuen Pabſtes, und der gleich hinter¬ drein ausbrechenden Revolution. Wir ſehen Horaz Vernet, welcher ſich ritterlich verſchanzet; einige deutſche Kuͤnſtler dagegen ſich ruhig zu Hauſe halten und ihre Baͤrte abſchneiden, woraus zu bemerken, daß ſie ſich bey den Roͤmern durch ihr Betragen nicht eben ſehr beliebt moͤgen gemacht haben. Es kommt zur Sprache, ob die Verirrung, wie ſie an einigen jungen deutſchen Kuͤnſtlern wahrzunehmen, von einzelnen Perſonen ausgegangen ſey, und ſich als eine geiſtige Anſteckung verbreitet habe, oder ob ſie in der ganzen Zeit ihren Urſprung gehabt. „Sie iſt von wenigen Einzelnen ausgegangen, ſagte Goethe, und wirkt nun ſchon ſeit vierzig Jahren fort. Die Lehre war: der Kuͤnſtler brauche vorzuͤglich Froͤm¬ migkeit und Genie, um es den Beſten gleich zu thun. Eine ſolche Lehre war ſehr einſchmeichelnd und man

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/335>, abgerufen am 27.04.2024.