Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

das mangelnde Liebesgefühl der Jugend mag ersetzt
haben."

Wir gedachten sodann der merkwürdigen Stelle, wo
Goethe über den Zustand seiner Schwester redet. "Die¬
ses Capitel, sagte er, wird von gebildeten Frauen mit
Interesse gelesen werden, denn es werden viele seyn,
die meiner Schwester darin gleichen, daß sie, bey vor¬
züglichen geistigen und sittlichen Eigenschaften, nicht zu¬
gleich das Glück eines schönen Körpers empfinden."

Daß sie, sagte ich, bey bevorstehenden Festlichkeiten
und Bällen gewöhnlich von einem Ausschlag im Gesicht
heimgesucht wurde, ist etwas so Wunderliches, daß man
es der Einwirkung von etwas Dämonischem zuschreiben
möchte.

"Sie war ein merkwürdiges Wesen, sagte Goethe,
sie stand sittlich sehr hoch und hatte nicht die Spur
von etwas Sinnlichem. Der Gedanke, sich einem Manne
hinzugeben, war ihr widerwärtig, und man mag denken,
daß aus dieser Eigenheit in der Ehe manche unange¬
nehme Stunde hervorging. Frauen, die eine gleiche
Abneigung haben, oder ihre Männer nicht lieben, wer¬
den empfinden, was dieses sagen will. Ich konnte
daher meine Schwester auch nie als verheirathet denken,
vielmehr wäre sie als Äbtissin in einem Kloster recht
eigentlich an ihrem Platze gewesen."

"Und da sie nun, obgleich mit einem der bravsten
Männer verheirathet, in der Ehe nicht glücklich war,

das mangelnde Liebesgefuͤhl der Jugend mag erſetzt
haben.“

Wir gedachten ſodann der merkwuͤrdigen Stelle, wo
Goethe uͤber den Zuſtand ſeiner Schweſter redet. „Die¬
ſes Capitel, ſagte er, wird von gebildeten Frauen mit
Intereſſe geleſen werden, denn es werden viele ſeyn,
die meiner Schweſter darin gleichen, daß ſie, bey vor¬
zuͤglichen geiſtigen und ſittlichen Eigenſchaften, nicht zu¬
gleich das Gluͤck eines ſchoͤnen Koͤrpers empfinden.“

Daß ſie, ſagte ich, bey bevorſtehenden Feſtlichkeiten
und Baͤllen gewoͤhnlich von einem Ausſchlag im Geſicht
heimgeſucht wurde, iſt etwas ſo Wunderliches, daß man
es der Einwirkung von etwas Daͤmoniſchem zuſchreiben
moͤchte.

„Sie war ein merkwuͤrdiges Weſen, ſagte Goethe,
ſie ſtand ſittlich ſehr hoch und hatte nicht die Spur
von etwas Sinnlichem. Der Gedanke, ſich einem Manne
hinzugeben, war ihr widerwaͤrtig, und man mag denken,
daß aus dieſer Eigenheit in der Ehe manche unange¬
nehme Stunde hervorging. Frauen, die eine gleiche
Abneigung haben, oder ihre Maͤnner nicht lieben, wer¬
den empfinden, was dieſes ſagen will. Ich konnte
daher meine Schweſter auch nie als verheirathet denken,
vielmehr waͤre ſie als Äbtiſſin in einem Kloſter recht
eigentlich an ihrem Platze geweſen.“

„Und da ſie nun, obgleich mit einem der bravſten
Maͤnner verheirathet, in der Ehe nicht gluͤcklich war,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0341" n="331"/>
das mangelnde Liebesgefu&#x0364;hl der Jugend mag er&#x017F;etzt<lb/>
haben.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wir gedachten &#x017F;odann der merkwu&#x0364;rdigen Stelle, wo<lb/>
Goethe u&#x0364;ber den Zu&#x017F;tand &#x017F;einer Schwe&#x017F;ter redet. &#x201E;Die¬<lb/>
&#x017F;es Capitel, &#x017F;agte er, wird von gebildeten Frauen mit<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;e gele&#x017F;en werden, denn es werden viele &#x017F;eyn,<lb/>
die meiner Schwe&#x017F;ter darin gleichen, daß &#x017F;ie, bey vor¬<lb/>
zu&#x0364;glichen gei&#x017F;tigen und &#x017F;ittlichen Eigen&#x017F;chaften, nicht zu¬<lb/>
gleich das Glu&#x0364;ck eines &#x017F;cho&#x0364;nen Ko&#x0364;rpers empfinden.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Daß &#x017F;ie, &#x017F;agte ich, bey bevor&#x017F;tehenden Fe&#x017F;tlichkeiten<lb/>
und Ba&#x0364;llen gewo&#x0364;hnlich von einem Aus&#x017F;chlag im Ge&#x017F;icht<lb/>
heimge&#x017F;ucht wurde, i&#x017F;t etwas &#x017F;o Wunderliches, daß man<lb/>
es der Einwirkung von etwas Da&#x0364;moni&#x017F;chem zu&#x017F;chreiben<lb/>
mo&#x0364;chte.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sie war ein merkwu&#x0364;rdiges We&#x017F;en, &#x017F;agte Goethe,<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;tand &#x017F;ittlich &#x017F;ehr hoch und hatte nicht die Spur<lb/>
von etwas Sinnlichem. Der Gedanke, &#x017F;ich einem Manne<lb/>
hinzugeben, war ihr widerwa&#x0364;rtig, und man mag denken,<lb/>
daß aus die&#x017F;er Eigenheit in der Ehe manche unange¬<lb/>
nehme Stunde hervorging. Frauen, die eine gleiche<lb/>
Abneigung haben, oder ihre Ma&#x0364;nner nicht lieben, wer¬<lb/>
den empfinden, was die&#x017F;es &#x017F;agen will. Ich konnte<lb/>
daher meine Schwe&#x017F;ter auch nie als verheirathet denken,<lb/>
vielmehr wa&#x0364;re &#x017F;ie als Äbti&#x017F;&#x017F;in in einem Klo&#x017F;ter recht<lb/>
eigentlich an ihrem Platze gewe&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Und da &#x017F;ie nun, obgleich mit einem der brav&#x017F;ten<lb/>
Ma&#x0364;nner verheirathet, in der Ehe nicht glu&#x0364;cklich war,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[331/0341] das mangelnde Liebesgefuͤhl der Jugend mag erſetzt haben.“ Wir gedachten ſodann der merkwuͤrdigen Stelle, wo Goethe uͤber den Zuſtand ſeiner Schweſter redet. „Die¬ ſes Capitel, ſagte er, wird von gebildeten Frauen mit Intereſſe geleſen werden, denn es werden viele ſeyn, die meiner Schweſter darin gleichen, daß ſie, bey vor¬ zuͤglichen geiſtigen und ſittlichen Eigenſchaften, nicht zu¬ gleich das Gluͤck eines ſchoͤnen Koͤrpers empfinden.“ Daß ſie, ſagte ich, bey bevorſtehenden Feſtlichkeiten und Baͤllen gewoͤhnlich von einem Ausſchlag im Geſicht heimgeſucht wurde, iſt etwas ſo Wunderliches, daß man es der Einwirkung von etwas Daͤmoniſchem zuſchreiben moͤchte. „Sie war ein merkwuͤrdiges Weſen, ſagte Goethe, ſie ſtand ſittlich ſehr hoch und hatte nicht die Spur von etwas Sinnlichem. Der Gedanke, ſich einem Manne hinzugeben, war ihr widerwaͤrtig, und man mag denken, daß aus dieſer Eigenheit in der Ehe manche unange¬ nehme Stunde hervorging. Frauen, die eine gleiche Abneigung haben, oder ihre Maͤnner nicht lieben, wer¬ den empfinden, was dieſes ſagen will. Ich konnte daher meine Schweſter auch nie als verheirathet denken, vielmehr waͤre ſie als Äbtiſſin in einem Kloſter recht eigentlich an ihrem Platze geweſen.“ „Und da ſie nun, obgleich mit einem der bravſten Maͤnner verheirathet, in der Ehe nicht gluͤcklich war,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/341
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/341>, abgerufen am 28.04.2024.