seiner Biographie, wobey es mir war, wie bey einer fremden Sprache, wo wir, nach gemachten Fortschritten, ein Buch wieder lesen, das wir früher zu verstehen glaubten, das aber erst jetzt in seinen kleinsten Theilen und Nüancen uns entgegentritt.
Ihre Biographie ist ein Buch, sagte ich, wodurch wir in unserer Cultur uns auf die entschiedenste Weise gefördert sehen.
"Es sind lauter Resultate meines Lebens, sagte Goethe, und die erzählten einzelnen Facta dienen bloß, um eine allgemeine Beobachtung, eine höhere Wahrheit, zu bestätigen."
Was Sie unter andern von Basedow erwähnen, sagte ich, wie er nämlich zu Erreichung höherer Zwecke die Menschen nöthig hat und ihre Gunst erwerben möchte, aber nicht bedenkt, daß er es mit allen verderben muß, wenn er so ohne alle Rücksicht seine abstoßenden reli¬ giösen Ansichten äußert, und den Menschen dasjenige, woran sie mit Liebe hängen, verdächtig macht, solche und ähnliche Züge erscheinen mir von großer Bedeutung.
"Ich dächte, sagte Goethe, es steckten darin einige Symbole des Menschenlebens. Ich nannte das Buch Wahrheit und Dichtung, weil es sich durch höhere Tendenzen aus der Region einer niedern Realität erhebt. Jean Paul hat nun, aus Geist des Widerspruchs, Wahrheit aus seinem Leben geschrieben! -- Als ob die Wahrheit aus dem Leben eines solchen Mannes et¬
ſeiner Biographie, wobey es mir war, wie bey einer fremden Sprache, wo wir, nach gemachten Fortſchritten, ein Buch wieder leſen, das wir fruͤher zu verſtehen glaubten, das aber erſt jetzt in ſeinen kleinſten Theilen und Nuͤançen uns entgegentritt.
Ihre Biographie iſt ein Buch, ſagte ich, wodurch wir in unſerer Cultur uns auf die entſchiedenſte Weiſe gefoͤrdert ſehen.
„Es ſind lauter Reſultate meines Lebens, ſagte Goethe, und die erzaͤhlten einzelnen Facta dienen bloß, um eine allgemeine Beobachtung, eine hoͤhere Wahrheit, zu beſtaͤtigen.“
Was Sie unter andern von Baſedow erwaͤhnen, ſagte ich, wie er naͤmlich zu Erreichung hoͤherer Zwecke die Menſchen noͤthig hat und ihre Gunſt erwerben moͤchte, aber nicht bedenkt, daß er es mit allen verderben muß, wenn er ſo ohne alle Ruͤckſicht ſeine abſtoßenden reli¬ gioͤſen Anſichten aͤußert, und den Menſchen dasjenige, woran ſie mit Liebe haͤngen, verdaͤchtig macht, ſolche und aͤhnliche Zuͤge erſcheinen mir von großer Bedeutung.
„Ich daͤchte, ſagte Goethe, es ſteckten darin einige Symbole des Menſchenlebens. Ich nannte das Buch Wahrheit und Dichtung, weil es ſich durch hoͤhere Tendenzen aus der Region einer niedern Realitaͤt erhebt. Jean Paul hat nun, aus Geiſt des Widerſpruchs, Wahrheit aus ſeinem Leben geſchrieben! — Als ob die Wahrheit aus dem Leben eines ſolchen Mannes et¬
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ſeiner Biographie, wobey es mir war, wie bey einer
fremden Sprache, wo wir, nach gemachten Fortſchritten,
ein Buch wieder leſen, das wir fruͤher zu verſtehen
glaubten, das aber erſt jetzt in ſeinen kleinſten Theilen
und Nuͤançen uns entgegentritt.
Ihre Biographie iſt ein Buch, ſagte ich, wodurch
wir in unſerer Cultur uns auf die entſchiedenſte Weiſe
gefoͤrdert ſehen.
„Es ſind lauter Reſultate meines Lebens, ſagte
Goethe, und die erzaͤhlten einzelnen Facta dienen bloß,
um eine allgemeine Beobachtung, eine hoͤhere Wahrheit,
zu beſtaͤtigen.“
Was Sie unter andern von Baſedow erwaͤhnen,
ſagte ich, wie er naͤmlich zu Erreichung hoͤherer Zwecke
die Menſchen noͤthig hat und ihre Gunſt erwerben moͤchte,
aber nicht bedenkt, daß er es mit allen verderben muß,
wenn er ſo ohne alle Ruͤckſicht ſeine abſtoßenden reli¬
gioͤſen Anſichten aͤußert, und den Menſchen dasjenige,
woran ſie mit Liebe haͤngen, verdaͤchtig macht, ſolche
und aͤhnliche Zuͤge erſcheinen mir von großer Bedeutung.
„Ich daͤchte, ſagte Goethe, es ſteckten darin einige
Symbole des Menſchenlebens. Ich nannte das Buch
Wahrheit und Dichtung, weil es ſich durch hoͤhere
Tendenzen aus der Region einer niedern Realitaͤt erhebt.
Jean Paul hat nun, aus Geiſt des Widerſpruchs,
Wahrheit aus ſeinem Leben geſchrieben! — Als ob
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/344>, abgerufen am 04.05.2024.
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