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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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christlichen Religion. Man glaubt eine Weile treue
Schüler zu haben, und ehe man es sich versieht, wei¬
chen sie ab und bilden eine Sekte. Sie sind ein Ketzer
wie die anderen auch, denn Sie sind der erste nicht, der
von mir abgewichen ist. Mit den trefflichsten Menschen
bin ich wegen bestrittener Puncte in der Farbenlehre
auseinander gekommen. Mit *** wegen ..... und mit
*** wegen ...." Er nannte mir hier einige bedeu¬
tende Namen.

Wir hatten indeß abgespeist, das Gespräch stockte,
Goethe stand auf und stellte sich ans Fenster. Ich trat
zu ihm und drückte ihm die Hand, denn, wie er auch
schalt, ich liebte ihn, und dann hatte ich das Gefühl,
daß das Recht auf meiner Seite und daß er der lei¬
dende Theil sey.

Es währte auch nicht lange, so sprachen und scherz¬
ten wir wieder über gleichgültige Dinge; doch als ich
ging und ihm sagte, daß er meine Widersprüche zu
besserer Prüfung schriftlich haben solle, und daß bloß
die Ungeschicklichkeit meines mündlichen Vortrages Schuld
sey, warum er mir nicht Recht gebe, konnte er nicht
umhin, Einiges von Ketzern und Ketzerey mir noch in
der Thüre halb lachend halb spottend zuzuwerfen.


chriſtlichen Religion. Man glaubt eine Weile treue
Schuͤler zu haben, und ehe man es ſich verſieht, wei¬
chen ſie ab und bilden eine Sekte. Sie ſind ein Ketzer
wie die anderen auch, denn Sie ſind der erſte nicht, der
von mir abgewichen iſt. Mit den trefflichſten Menſchen
bin ich wegen beſtrittener Puncte in der Farbenlehre
auseinander gekommen. Mit *** wegen ..... und mit
*** wegen ....“ Er nannte mir hier einige bedeu¬
tende Namen.

Wir hatten indeß abgeſpeiſt, das Geſpraͤch ſtockte,
Goethe ſtand auf und ſtellte ſich ans Fenſter. Ich trat
zu ihm und druͤckte ihm die Hand, denn, wie er auch
ſchalt, ich liebte ihn, und dann hatte ich das Gefuͤhl,
daß das Recht auf meiner Seite und daß er der lei¬
dende Theil ſey.

Es waͤhrte auch nicht lange, ſo ſprachen und ſcherz¬
ten wir wieder uͤber gleichguͤltige Dinge; doch als ich
ging und ihm ſagte, daß er meine Widerſpruͤche zu
beſſerer Pruͤfung ſchriftlich haben ſolle, und daß bloß
die Ungeſchicklichkeit meines muͤndlichen Vortrages Schuld
ſey, warum er mir nicht Recht gebe, konnte er nicht
umhin, Einiges von Ketzern und Ketzerey mir noch in
der Thuͤre halb lachend halb ſpottend zuzuwerfen.


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[85/0095] chriſtlichen Religion. Man glaubt eine Weile treue Schuͤler zu haben, und ehe man es ſich verſieht, wei¬ chen ſie ab und bilden eine Sekte. Sie ſind ein Ketzer wie die anderen auch, denn Sie ſind der erſte nicht, der von mir abgewichen iſt. Mit den trefflichſten Menſchen bin ich wegen beſtrittener Puncte in der Farbenlehre auseinander gekommen. Mit *** wegen ..... und mit *** wegen ....“ Er nannte mir hier einige bedeu¬ tende Namen. Wir hatten indeß abgeſpeiſt, das Geſpraͤch ſtockte, Goethe ſtand auf und ſtellte ſich ans Fenſter. Ich trat zu ihm und druͤckte ihm die Hand, denn, wie er auch ſchalt, ich liebte ihn, und dann hatte ich das Gefuͤhl, daß das Recht auf meiner Seite und daß er der lei¬ dende Theil ſey. Es waͤhrte auch nicht lange, ſo ſprachen und ſcherz¬ ten wir wieder uͤber gleichguͤltige Dinge; doch als ich ging und ihm ſagte, daß er meine Widerſpruͤche zu beſſerer Pruͤfung ſchriftlich haben ſolle, und daß bloß die Ungeſchicklichkeit meines muͤndlichen Vortrages Schuld ſey, warum er mir nicht Recht gebe, konnte er nicht umhin, Einiges von Ketzern und Ketzerey mir noch in der Thuͤre halb lachend halb ſpottend zuzuwerfen.

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/95>, abgerufen am 03.05.2024.