Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

gerade, weil ich nicht verstand, die Enden zu biegen.
Nachdem ich aber gelernt, damit umzugehen, mache ich
die Enden geschweift, und ich finde, daß der Bogen
dadurch nicht allein ein schöneres Ansehen, sondern
auch eine größere Gewalt erlangt.

"Nicht wahr, sagte Goethe, man bewirkt die Krüm¬
mung durch Hitze?"

Durch feuchte Hitze, erwiederte ich. Wenn der
Bogen soweit fertig, daß die Spannkraft gleichmäßig
vertheilt und er nirgendwo mehr schwächer oder stärker
ist, als er seyn soll, so stelle ich ihn mit dem einen
Ende in kochendes Wasser, etwa sechs bis acht Zoll
tief, und lasse ihn eine Stunde kochen. Dieses er¬
weichte Ende schraube ich dann in voller Hitze zwischen
zwei kleine Klötze, deren innere Linie die Form der
Biegung hat, die ich dem Bogen zu geben wünsche.
In solcher Klemme lasse ich ihn sodann wenigstens
einen ganzen Tag und eine Nacht stehen, damit er völlig
austrockene, und verfahre darauf mit dem anderen Ende
auf gleiche Weise. So behandelte Spitzen stehen sodann
unverwüstlich, als wären sie in solcher Krümmung ge¬
wachsen.

"Wissen Sie was? versetzte Goethe, mit einem
geheimnißvollen Lächeln. Ich glaube, ich habe etwas
für Sie, das Ihnen nicht unlieb wäre. Was dächten
Sie, wenn wir zusammen hinuntergingen und ich Ihnen
einen ächten Baschkirenbogen in die Hände legte!"

gerade, weil ich nicht verſtand, die Enden zu biegen.
Nachdem ich aber gelernt, damit umzugehen, mache ich
die Enden geſchweift, und ich finde, daß der Bogen
dadurch nicht allein ein ſchöneres Anſehen, ſondern
auch eine größere Gewalt erlangt.

„Nicht wahr, ſagte Goethe, man bewirkt die Krüm¬
mung durch Hitze?“

Durch feuchte Hitze, erwiederte ich. Wenn der
Bogen ſoweit fertig, daß die Spannkraft gleichmäßig
vertheilt und er nirgendwo mehr ſchwächer oder ſtärker
iſt, als er ſeyn ſoll, ſo ſtelle ich ihn mit dem einen
Ende in kochendes Waſſer, etwa ſechs bis acht Zoll
tief, und laſſe ihn eine Stunde kochen. Dieſes er¬
weichte Ende ſchraube ich dann in voller Hitze zwiſchen
zwei kleine Klötze, deren innere Linie die Form der
Biegung hat, die ich dem Bogen zu geben wünſche.
In ſolcher Klemme laſſe ich ihn ſodann wenigſtens
einen ganzen Tag und eine Nacht ſtehen, damit er völlig
austrockene, und verfahre darauf mit dem anderen Ende
auf gleiche Weiſe. So behandelte Spitzen ſtehen ſodann
unverwüſtlich, als wären ſie in ſolcher Krümmung ge¬
wachſen.

„Wiſſen Sie was? verſetzte Goethe, mit einem
geheimnißvollen Lächeln. Ich glaube, ich habe etwas
für Sie, das Ihnen nicht unlieb wäre. Was dächten
Sie, wenn wir zuſammen hinuntergingen und ich Ihnen
einen ächten Baſchkirenbogen in die Hände legte!“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0128" n="106"/>
gerade, weil ich nicht ver&#x017F;tand, die Enden zu biegen.<lb/>
Nachdem ich aber gelernt, damit umzugehen, mache ich<lb/>
die Enden ge&#x017F;chweift, und ich finde, daß der Bogen<lb/>
dadurch nicht allein ein &#x017F;chöneres An&#x017F;ehen, &#x017F;ondern<lb/>
auch eine größere Gewalt erlangt.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Nicht wahr, &#x017F;agte Goethe, man bewirkt die Krüm¬<lb/>
mung durch Hitze?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Durch feuchte Hitze, erwiederte ich. Wenn der<lb/>
Bogen &#x017F;oweit fertig, daß die Spannkraft gleichmäßig<lb/>
vertheilt und er nirgendwo mehr &#x017F;chwächer oder &#x017F;tärker<lb/>
i&#x017F;t, als er &#x017F;eyn &#x017F;oll, &#x017F;o &#x017F;telle ich ihn mit dem einen<lb/>
Ende in kochendes Wa&#x017F;&#x017F;er, etwa &#x017F;echs bis acht Zoll<lb/>
tief, und la&#x017F;&#x017F;e ihn eine Stunde kochen. Die&#x017F;es er¬<lb/>
weichte Ende &#x017F;chraube ich dann in voller Hitze zwi&#x017F;chen<lb/>
zwei kleine Klötze, deren innere Linie die Form der<lb/>
Biegung hat, die ich dem Bogen zu geben wün&#x017F;che.<lb/>
In &#x017F;olcher Klemme la&#x017F;&#x017F;e ich ihn &#x017F;odann wenig&#x017F;tens<lb/>
einen ganzen Tag und eine Nacht &#x017F;tehen, damit er völlig<lb/>
austrockene, und verfahre darauf mit dem anderen Ende<lb/>
auf gleiche Wei&#x017F;e. So behandelte Spitzen &#x017F;tehen &#x017F;odann<lb/>
unverwü&#x017F;tlich, als wären &#x017F;ie in &#x017F;olcher Krümmung ge¬<lb/>
wach&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wi&#x017F;&#x017F;en Sie was? ver&#x017F;etzte Goethe, mit einem<lb/>
geheimnißvollen Lächeln. Ich glaube, ich habe etwas<lb/>
für Sie, das Ihnen nicht unlieb wäre. Was dächten<lb/>
Sie, wenn wir zu&#x017F;ammen hinuntergingen und ich Ihnen<lb/>
einen ächten Ba&#x017F;chkirenbogen in die Hände legte!&#x201C;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0128] gerade, weil ich nicht verſtand, die Enden zu biegen. Nachdem ich aber gelernt, damit umzugehen, mache ich die Enden geſchweift, und ich finde, daß der Bogen dadurch nicht allein ein ſchöneres Anſehen, ſondern auch eine größere Gewalt erlangt. „Nicht wahr, ſagte Goethe, man bewirkt die Krüm¬ mung durch Hitze?“ Durch feuchte Hitze, erwiederte ich. Wenn der Bogen ſoweit fertig, daß die Spannkraft gleichmäßig vertheilt und er nirgendwo mehr ſchwächer oder ſtärker iſt, als er ſeyn ſoll, ſo ſtelle ich ihn mit dem einen Ende in kochendes Waſſer, etwa ſechs bis acht Zoll tief, und laſſe ihn eine Stunde kochen. Dieſes er¬ weichte Ende ſchraube ich dann in voller Hitze zwiſchen zwei kleine Klötze, deren innere Linie die Form der Biegung hat, die ich dem Bogen zu geben wünſche. In ſolcher Klemme laſſe ich ihn ſodann wenigſtens einen ganzen Tag und eine Nacht ſtehen, damit er völlig austrockene, und verfahre darauf mit dem anderen Ende auf gleiche Weiſe. So behandelte Spitzen ſtehen ſodann unverwüſtlich, als wären ſie in ſolcher Krümmung ge¬ wachſen. „Wiſſen Sie was? verſetzte Goethe, mit einem geheimnißvollen Lächeln. Ich glaube, ich habe etwas für Sie, das Ihnen nicht unlieb wäre. Was dächten Sie, wenn wir zuſammen hinuntergingen und ich Ihnen einen ächten Baſchkirenbogen in die Hände legte!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/128
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/128>, abgerufen am 14.05.2024.