Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

Heu, die Pferde, die nach Hause gehenden Feldarbeiter,
von welcher Seite sind sie beleuchtet?"

Sie haben das Licht, sagte ich, auf der uns zuge¬
kehrten Seite und werfen die Schatten in das Bild
hinein. Besonders die nach Hause gehenden Feldarbei¬
ter im Vordergrunde sind sehr im Hellen, welches einen
trefflichen Effect thut.

"Wodurch hat aber Rubens diese schöne Wirkung
hervorgebracht?"

Dadurch, antwortete ich, daß er diese hellen Figuren
auf einem dunkeln Grunde erscheinen läßt.

"Aber dieser dunkle Grund, erwiederte Goethe, wo¬
durch entsteht er?"

Es ist der mächtige Schatten, sagte ich, den die
Baumgruppe den Figuren entgegenwirft. -- Aber wie?
fuhr ich mit Ueberraschung fort, die Figuren werfen den
Schatten in das Bild hinein, die Baumgruppe dagegen
wirft den Schatten dem Beschauer entgegen? -- Da
haben wir ja das Licht von zwei entgegengesetzten Sei¬
ten, welches aber ja gegen alle Natur ist!

"Das ist eben der Punkt, erwiederte Goethe mit
einigem Lächeln. Das ist es, wodurch Rubens sich
groß erweiset und an den Tag legt, daß er mit freiem
Geiste über der Natur steht und sie seinen höheren
Zwecken gemäß tractirt. Das doppelte Licht ist aller¬
dings gewaltsam, und Sie können immerhin sagen, es
sey gegen die Natur. Allein, wenn es gegen die Natur

Heu, die Pferde, die nach Hauſe gehenden Feldarbeiter,
von welcher Seite ſind ſie beleuchtet?“

Sie haben das Licht, ſagte ich, auf der uns zuge¬
kehrten Seite und werfen die Schatten in das Bild
hinein. Beſonders die nach Hauſe gehenden Feldarbei¬
ter im Vordergrunde ſind ſehr im Hellen, welches einen
trefflichen Effect thut.

„Wodurch hat aber Rubens dieſe ſchöne Wirkung
hervorgebracht?“

Dadurch, antwortete ich, daß er dieſe hellen Figuren
auf einem dunkeln Grunde erſcheinen läßt.

„Aber dieſer dunkle Grund, erwiederte Goethe, wo¬
durch entſteht er?“

Es iſt der mächtige Schatten, ſagte ich, den die
Baumgruppe den Figuren entgegenwirft. — Aber wie?
fuhr ich mit Ueberraſchung fort, die Figuren werfen den
Schatten in das Bild hinein, die Baumgruppe dagegen
wirft den Schatten dem Beſchauer entgegen? — Da
haben wir ja das Licht von zwei entgegengeſetzten Sei¬
ten, welches aber ja gegen alle Natur iſt!

„Das iſt eben der Punkt, erwiederte Goethe mit
einigem Lächeln. Das iſt es, wodurch Rubens ſich
groß erweiſet und an den Tag legt, daß er mit freiem
Geiſte über der Natur ſteht und ſie ſeinen höheren
Zwecken gemäß tractirt. Das doppelte Licht iſt aller¬
dings gewaltſam, und Sie können immerhin ſagen, es
ſey gegen die Natur. Allein, wenn es gegen die Natur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0175" n="153"/>
Heu, die Pferde, die nach Hau&#x017F;e gehenden Feldarbeiter,<lb/>
von welcher Seite &#x017F;ind &#x017F;ie beleuchtet?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Sie haben das Licht, &#x017F;agte ich, auf der uns zuge¬<lb/>
kehrten Seite und werfen die Schatten in das Bild<lb/>
hinein. Be&#x017F;onders die nach Hau&#x017F;e gehenden Feldarbei¬<lb/>
ter im Vordergrunde &#x017F;ind &#x017F;ehr im Hellen, welches einen<lb/>
trefflichen Effect thut.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wodurch hat aber Rubens die&#x017F;e &#x017F;chöne Wirkung<lb/>
hervorgebracht?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Dadurch, antwortete ich, daß er die&#x017F;e hellen Figuren<lb/>
auf einem dunkeln Grunde er&#x017F;cheinen läßt.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Aber die&#x017F;er dunkle Grund, erwiederte Goethe, wo¬<lb/>
durch ent&#x017F;teht er?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t der mächtige Schatten, &#x017F;agte ich, den die<lb/>
Baumgruppe den Figuren entgegenwirft. &#x2014; Aber wie?<lb/>
fuhr ich mit Ueberra&#x017F;chung fort, die Figuren werfen den<lb/>
Schatten in das Bild hinein, die Baumgruppe dagegen<lb/>
wirft den Schatten dem Be&#x017F;chauer entgegen? &#x2014; Da<lb/>
haben wir ja das Licht von zwei entgegenge&#x017F;etzten Sei¬<lb/>
ten, welches aber ja gegen alle Natur i&#x017F;t!</p><lb/>
          <p>&#x201E;Das i&#x017F;t eben der Punkt, erwiederte Goethe mit<lb/>
einigem Lächeln. Das i&#x017F;t es, wodurch Rubens &#x017F;ich<lb/>
groß erwei&#x017F;et und an den Tag legt, daß er mit freiem<lb/>
Gei&#x017F;te <hi rendition="#g">über</hi> der Natur &#x017F;teht und &#x017F;ie &#x017F;einen höheren<lb/>
Zwecken gemäß tractirt. Das doppelte Licht i&#x017F;t aller¬<lb/>
dings gewalt&#x017F;am, und Sie können immerhin &#x017F;agen, es<lb/>
&#x017F;ey gegen die Natur. Allein, wenn es gegen die Natur<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0175] Heu, die Pferde, die nach Hauſe gehenden Feldarbeiter, von welcher Seite ſind ſie beleuchtet?“ Sie haben das Licht, ſagte ich, auf der uns zuge¬ kehrten Seite und werfen die Schatten in das Bild hinein. Beſonders die nach Hauſe gehenden Feldarbei¬ ter im Vordergrunde ſind ſehr im Hellen, welches einen trefflichen Effect thut. „Wodurch hat aber Rubens dieſe ſchöne Wirkung hervorgebracht?“ Dadurch, antwortete ich, daß er dieſe hellen Figuren auf einem dunkeln Grunde erſcheinen läßt. „Aber dieſer dunkle Grund, erwiederte Goethe, wo¬ durch entſteht er?“ Es iſt der mächtige Schatten, ſagte ich, den die Baumgruppe den Figuren entgegenwirft. — Aber wie? fuhr ich mit Ueberraſchung fort, die Figuren werfen den Schatten in das Bild hinein, die Baumgruppe dagegen wirft den Schatten dem Beſchauer entgegen? — Da haben wir ja das Licht von zwei entgegengeſetzten Sei¬ ten, welches aber ja gegen alle Natur iſt! „Das iſt eben der Punkt, erwiederte Goethe mit einigem Lächeln. Das iſt es, wodurch Rubens ſich groß erweiſet und an den Tag legt, daß er mit freiem Geiſte über der Natur ſteht und ſie ſeinen höheren Zwecken gemäß tractirt. Das doppelte Licht iſt aller¬ dings gewaltſam, und Sie können immerhin ſagen, es ſey gegen die Natur. Allein, wenn es gegen die Natur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/175
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/175>, abgerufen am 14.05.2024.