Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

führte synthetische Behandlungsweise der Natur jetzt
nicht mehr rückgängig zu machen ist. Die Angelegen¬
heit ist durch die freien Discussionen in der Academie,
und zwar in Gegenwart eines großen Publicums, jetzt
öffentlich geworden, sie läßt sich nicht mehr an geheime
Ausschüsse verweisen und bei geschlossenen Thüren ab¬
thun und unterdrücken. Von nun an wird auch in
Frankreich bei der Naturforschung der Geist herrschen
und über die Materie Herr seyn. Man wird Blicke
in große Schöpfungsmaximen thun, in die geheimni߬
volle Werkstatt Gottes! -- Was ist auch im Grunde
aller Verkehr mit der Natur, wenn wir auf analytischem
Wege bloß mit einzelnen materiellen Theilen uns zu
schaffen machen, und wir nicht das Athmen des Geistes
empfinden, der jedem Theile die Richtung vorschreibt
und jede Ausschweifung durch ein inwohnendes Gesetz
bändigt oder sanctionirt!"

"Ich habe mich seit funfzig Jahren in dieser großen
Angelegenheit abgemüht; anfänglich einsam, dann unter¬
stützt, und zuletzt zu meiner großen Freude überragt
durch verwandte Geister. Als ich mein erstes Apercü
vom Zwischenknochen an Peter Camper schickte, ward
ich zu meiner innigsten Betrübniß völlig ignorirt. Mit
Blumenbach ging es mir nicht besser, obgleich er, nach
persönlichem Verkehr, auf meine Seite trat. Dann
aber gewann ich Gleichgesinnte an Sömmering, Oken,
Dalton, Carus und anderen gleich trefflichen Män¬

führte ſynthetiſche Behandlungsweiſe der Natur jetzt
nicht mehr rückgängig zu machen iſt. Die Angelegen¬
heit iſt durch die freien Discuſſionen in der Academie,
und zwar in Gegenwart eines großen Publicums, jetzt
öffentlich geworden, ſie läßt ſich nicht mehr an geheime
Ausſchüſſe verweiſen und bei geſchloſſenen Thüren ab¬
thun und unterdrücken. Von nun an wird auch in
Frankreich bei der Naturforſchung der Geiſt herrſchen
und über die Materie Herr ſeyn. Man wird Blicke
in große Schöpfungsmaximen thun, in die geheimni߬
volle Werkſtatt Gottes! — Was iſt auch im Grunde
aller Verkehr mit der Natur, wenn wir auf analytiſchem
Wege bloß mit einzelnen materiellen Theilen uns zu
ſchaffen machen, und wir nicht das Athmen des Geiſtes
empfinden, der jedem Theile die Richtung vorſchreibt
und jede Ausſchweifung durch ein inwohnendes Geſetz
bändigt oder ſanctionirt!“

„Ich habe mich ſeit funfzig Jahren in dieſer großen
Angelegenheit abgemüht; anfänglich einſam, dann unter¬
ſtützt, und zuletzt zu meiner großen Freude überragt
durch verwandte Geiſter. Als ich mein erſtes Aperçü
vom Zwiſchenknochen an Peter Camper ſchickte, ward
ich zu meiner innigſten Betrübniß völlig ignorirt. Mit
Blumenbach ging es mir nicht beſſer, obgleich er, nach
perſönlichem Verkehr, auf meine Seite trat. Dann
aber gewann ich Gleichgeſinnte an Sömmering, Oken,
Dalton, Carus und anderen gleich trefflichen Män¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0363" n="341"/>
führte &#x017F;yntheti&#x017F;che Behandlungswei&#x017F;e der Natur jetzt<lb/>
nicht mehr rückgängig zu machen i&#x017F;t. Die Angelegen¬<lb/>
heit i&#x017F;t durch die freien Discu&#x017F;&#x017F;ionen in der Academie,<lb/>
und zwar in Gegenwart eines großen Publicums, jetzt<lb/>
öffentlich geworden, &#x017F;ie läßt &#x017F;ich nicht mehr an geheime<lb/>
Aus&#x017F;chü&#x017F;&#x017F;e verwei&#x017F;en und bei ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Thüren ab¬<lb/>
thun und unterdrücken. Von nun an wird auch in<lb/>
Frankreich bei der Naturfor&#x017F;chung der Gei&#x017F;t herr&#x017F;chen<lb/>
und über die Materie Herr &#x017F;eyn. Man wird Blicke<lb/>
in große Schöpfungsmaximen thun, in die geheimni߬<lb/>
volle Werk&#x017F;tatt Gottes! &#x2014; Was i&#x017F;t auch im Grunde<lb/>
aller Verkehr mit der Natur, wenn wir auf analyti&#x017F;chem<lb/>
Wege bloß mit einzelnen materiellen Theilen uns zu<lb/>
&#x017F;chaffen machen, und wir nicht das Athmen des Gei&#x017F;tes<lb/>
empfinden, der jedem Theile die Richtung vor&#x017F;chreibt<lb/>
und jede Aus&#x017F;chweifung durch ein inwohnendes Ge&#x017F;etz<lb/>
bändigt oder &#x017F;anctionirt!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich habe mich &#x017F;eit funfzig Jahren in die&#x017F;er großen<lb/>
Angelegenheit abgemüht; anfänglich ein&#x017F;am, dann unter¬<lb/>
&#x017F;tützt, und zuletzt zu meiner großen Freude überragt<lb/>
durch verwandte Gei&#x017F;ter. Als ich mein er&#x017F;tes Aper<hi rendition="#aq">ç</hi>ü<lb/>
vom Zwi&#x017F;chenknochen an Peter Camper &#x017F;chickte, ward<lb/>
ich zu meiner innig&#x017F;ten Betrübniß völlig ignorirt. Mit<lb/>
Blumenbach ging es mir nicht be&#x017F;&#x017F;er, obgleich er, nach<lb/>
per&#x017F;önlichem Verkehr, auf meine Seite trat. Dann<lb/>
aber gewann ich Gleichge&#x017F;innte an Sömmering, Oken,<lb/>
Dalton, Carus und anderen gleich trefflichen Män¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[341/0363] führte ſynthetiſche Behandlungsweiſe der Natur jetzt nicht mehr rückgängig zu machen iſt. Die Angelegen¬ heit iſt durch die freien Discuſſionen in der Academie, und zwar in Gegenwart eines großen Publicums, jetzt öffentlich geworden, ſie läßt ſich nicht mehr an geheime Ausſchüſſe verweiſen und bei geſchloſſenen Thüren ab¬ thun und unterdrücken. Von nun an wird auch in Frankreich bei der Naturforſchung der Geiſt herrſchen und über die Materie Herr ſeyn. Man wird Blicke in große Schöpfungsmaximen thun, in die geheimni߬ volle Werkſtatt Gottes! — Was iſt auch im Grunde aller Verkehr mit der Natur, wenn wir auf analytiſchem Wege bloß mit einzelnen materiellen Theilen uns zu ſchaffen machen, und wir nicht das Athmen des Geiſtes empfinden, der jedem Theile die Richtung vorſchreibt und jede Ausſchweifung durch ein inwohnendes Geſetz bändigt oder ſanctionirt!“ „Ich habe mich ſeit funfzig Jahren in dieſer großen Angelegenheit abgemüht; anfänglich einſam, dann unter¬ ſtützt, und zuletzt zu meiner großen Freude überragt durch verwandte Geiſter. Als ich mein erſtes Aperçü vom Zwiſchenknochen an Peter Camper ſchickte, ward ich zu meiner innigſten Betrübniß völlig ignorirt. Mit Blumenbach ging es mir nicht beſſer, obgleich er, nach perſönlichem Verkehr, auf meine Seite trat. Dann aber gewann ich Gleichgeſinnte an Sömmering, Oken, Dalton, Carus und anderen gleich trefflichen Män¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/363
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/363>, abgerufen am 29.04.2024.