Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

kritischen Blätter, und der dadurch im Publicum bewirkte
Klatsch, lassen nichts Gesundes aufkommen. Wer sich
heut zu Tage nicht ganz davon zurückhält und sich
nicht mit Gewalt isolirt, ist verloren. Es kommt zwar
durch das schlechte, größtentheils negative, ästhetisirende
und kritisirende Zeitungswesen eine Art Halbcultur in
die Massen, allein dem hervorbringenden Talent ist es
ein böser Nebel, ein fallendes Gift, das den Baum
seiner Schöpfungskraft zerstört, vom grünen Schmuck
der Blätter bis in das tiefste Mark und die verbor¬
genste Faser."

"Und dann, wie zahm und schwach ist seit den
lumpigen paar hundert Jahren nicht das Leben selber
geworden! Wo kommt uns noch eine originelle Natur
unverhüllt entgegen! Und wo hat Einer die Kraft,
wahr zu seyn und sich zu zeigen, wie er ist! Das
wirkt aber zurück auf den Poeten, der Alles in sich
selber finden soll, während von Außen ihn Alles in
Stich läßt."

Das Gespräch wendete sich auf den Werther.
"Das ist auch so ein Geschöpf, sagte Goethe, das
ich gleich dem Pelikan mit dem Blute meines eigenen
Herzens gefüttert habe. Es ist darin so viel Inner¬
liches aus meiner eigenen Brust, so viel von Empfin¬
dungen und Gedanken, um damit wohl einen Roman
von zehn solcher Bändchen auszustatten. Uebrigens
habe ich das Buch, wie ich schon öfter gesagt, seit

kritiſchen Blätter, und der dadurch im Publicum bewirkte
Klatſch, laſſen nichts Geſundes aufkommen. Wer ſich
heut zu Tage nicht ganz davon zurückhält und ſich
nicht mit Gewalt iſolirt, iſt verloren. Es kommt zwar
durch das ſchlechte, größtentheils negative, äſthetiſirende
und kritiſirende Zeitungsweſen eine Art Halbcultur in
die Maſſen, allein dem hervorbringenden Talent iſt es
ein böſer Nebel, ein fallendes Gift, das den Baum
ſeiner Schöpfungskraft zerſtört, vom grünen Schmuck
der Blätter bis in das tiefſte Mark und die verbor¬
genſte Faſer.“

„Und dann, wie zahm und ſchwach iſt ſeit den
lumpigen paar hundert Jahren nicht das Leben ſelber
geworden! Wo kommt uns noch eine originelle Natur
unverhüllt entgegen! Und wo hat Einer die Kraft,
wahr zu ſeyn und ſich zu zeigen, wie er iſt! Das
wirkt aber zurück auf den Poeten, der Alles in ſich
ſelber finden ſoll, während von Außen ihn Alles in
Stich läßt.“

Das Geſpräch wendete ſich auf den Werther.
„Das iſt auch ſo ein Geſchöpf, ſagte Goethe, das
ich gleich dem Pelikan mit dem Blute meines eigenen
Herzens gefüttert habe. Es iſt darin ſo viel Inner¬
liches aus meiner eigenen Bruſt, ſo viel von Empfin¬
dungen und Gedanken, um damit wohl einen Roman
von zehn ſolcher Bändchen auszuſtatten. Uebrigens
habe ich das Buch, wie ich ſchon öfter geſagt, ſeit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0059" n="37"/>
kriti&#x017F;chen Blätter, und der dadurch im Publicum bewirkte<lb/>
Klat&#x017F;ch, la&#x017F;&#x017F;en nichts Ge&#x017F;undes aufkommen. Wer &#x017F;ich<lb/>
heut zu Tage nicht ganz davon zurückhält und &#x017F;ich<lb/>
nicht mit Gewalt i&#x017F;olirt, i&#x017F;t verloren. Es kommt zwar<lb/>
durch das &#x017F;chlechte, größtentheils negative, ä&#x017F;theti&#x017F;irende<lb/>
und kriti&#x017F;irende Zeitungswe&#x017F;en eine Art Halbcultur in<lb/>
die Ma&#x017F;&#x017F;en, allein dem hervorbringenden Talent i&#x017F;t es<lb/>
ein bö&#x017F;er Nebel, ein fallendes Gift, das den Baum<lb/>
&#x017F;einer Schöpfungskraft zer&#x017F;tört, vom grünen Schmuck<lb/>
der Blätter bis in das tief&#x017F;te Mark und die verbor¬<lb/>
gen&#x017F;te Fa&#x017F;er.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Und dann, wie zahm und &#x017F;chwach i&#x017F;t &#x017F;eit den<lb/>
lumpigen paar hundert Jahren nicht das Leben &#x017F;elber<lb/>
geworden! Wo kommt uns noch eine originelle Natur<lb/>
unverhüllt entgegen! Und wo hat Einer die Kraft,<lb/>
wahr zu &#x017F;eyn und &#x017F;ich zu zeigen, wie er i&#x017F;t! Das<lb/>
wirkt aber zurück auf den Poeten, der Alles in &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elber finden &#x017F;oll, während von Außen ihn Alles in<lb/>
Stich läßt.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Das Ge&#x017F;präch wendete &#x017F;ich auf den <hi rendition="#g">Werther</hi>.<lb/>
&#x201E;Das i&#x017F;t auch &#x017F;o ein Ge&#x017F;chöpf, &#x017F;agte Goethe, das<lb/>
ich gleich dem Pelikan mit dem Blute meines eigenen<lb/>
Herzens gefüttert habe. Es i&#x017F;t darin &#x017F;o viel Inner¬<lb/>
liches aus meiner eigenen Bru&#x017F;t, &#x017F;o viel von Empfin¬<lb/>
dungen und Gedanken, um damit wohl einen Roman<lb/>
von zehn &#x017F;olcher Bändchen auszu&#x017F;tatten. Uebrigens<lb/>
habe ich das Buch, wie ich &#x017F;chon öfter ge&#x017F;agt, &#x017F;eit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0059] kritiſchen Blätter, und der dadurch im Publicum bewirkte Klatſch, laſſen nichts Geſundes aufkommen. Wer ſich heut zu Tage nicht ganz davon zurückhält und ſich nicht mit Gewalt iſolirt, iſt verloren. Es kommt zwar durch das ſchlechte, größtentheils negative, äſthetiſirende und kritiſirende Zeitungsweſen eine Art Halbcultur in die Maſſen, allein dem hervorbringenden Talent iſt es ein böſer Nebel, ein fallendes Gift, das den Baum ſeiner Schöpfungskraft zerſtört, vom grünen Schmuck der Blätter bis in das tiefſte Mark und die verbor¬ genſte Faſer.“ „Und dann, wie zahm und ſchwach iſt ſeit den lumpigen paar hundert Jahren nicht das Leben ſelber geworden! Wo kommt uns noch eine originelle Natur unverhüllt entgegen! Und wo hat Einer die Kraft, wahr zu ſeyn und ſich zu zeigen, wie er iſt! Das wirkt aber zurück auf den Poeten, der Alles in ſich ſelber finden ſoll, während von Außen ihn Alles in Stich läßt.“ Das Geſpräch wendete ſich auf den Werther. „Das iſt auch ſo ein Geſchöpf, ſagte Goethe, das ich gleich dem Pelikan mit dem Blute meines eigenen Herzens gefüttert habe. Es iſt darin ſo viel Inner¬ liches aus meiner eigenen Bruſt, ſo viel von Empfin¬ dungen und Gedanken, um damit wohl einen Roman von zehn ſolcher Bändchen auszuſtatten. Uebrigens habe ich das Buch, wie ich ſchon öfter geſagt, ſeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/59
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/59>, abgerufen am 15.05.2024.