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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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präoccupirt ist. Dem Kinde entgeht der Käfer an
der Blume nicht, es hat alle seine Sinne für ein ein¬
ziges einfaches Interesse beisammen, und es fällt ihm
durchaus nicht ein, daß zu gleicher Zeit etwa auch in
der Bildung der Wolken sich etwas Merkwürdiges
ereignen könne, um seine Blicke zugleich auch dorthin
zu wenden."

Da könnten also, erwiederte ich, die Kinder und
ihres Gleichen recht gute Handlanger in der Wissen¬
schaft abgeben.

"Wollte Gott, fiel Goethe ein, wir wären Alle
nichts weiter, als gute Handlanger. Eben weil wir
mehr seyn wollen und überall einen großen Apparat
von Philosophie und Hypothesen mit uns herumführen,
verderben wir es."

Es entstand eine Pause im Gespräch, die Riemer
unterbrach, indem er den Lord Byron und dessen Tod
zur Erwähnung brachte. Goethe machte darauf eine
glänzende Auseinandersetzung seiner Schriften und war
voll des höchsten Lobes und der reinsten Anerkennung.
"Uebrigens, fuhr er fort, obgleich Byron so jung
gestorben ist, so hat doch die Literatur hinsichtlich einer
gehinderten weiteren Ausdehnung nicht wesentlich ver¬
loren. Byron konnte gewissermaßen nicht weiter gehen.
Er hatte den Gipfel seiner schöpferischen Kraft erreicht,
und was er auch in der Folge noch gemacht haben
würde, so hätte er doch die seinem Talent gezogenen

präoccupirt iſt. Dem Kinde entgeht der Käfer an
der Blume nicht, es hat alle ſeine Sinne für ein ein¬
ziges einfaches Intereſſe beiſammen, und es fällt ihm
durchaus nicht ein, daß zu gleicher Zeit etwa auch in
der Bildung der Wolken ſich etwas Merkwürdiges
ereignen könne, um ſeine Blicke zugleich auch dorthin
zu wenden.“

Da könnten alſo, erwiederte ich, die Kinder und
ihres Gleichen recht gute Handlanger in der Wiſſen¬
ſchaft abgeben.

„Wollte Gott, fiel Goethe ein, wir wären Alle
nichts weiter, als gute Handlanger. Eben weil wir
mehr ſeyn wollen und überall einen großen Apparat
von Philoſophie und Hypotheſen mit uns herumführen,
verderben wir es.“

Es entſtand eine Pauſe im Geſpräch, die Riemer
unterbrach, indem er den Lord Byron und deſſen Tod
zur Erwähnung brachte. Goethe machte darauf eine
glänzende Auseinanderſetzung ſeiner Schriften und war
voll des höchſten Lobes und der reinſten Anerkennung.
„Uebrigens, fuhr er fort, obgleich Byron ſo jung
geſtorben iſt, ſo hat doch die Literatur hinſichtlich einer
gehinderten weiteren Ausdehnung nicht weſentlich ver¬
loren. Byron konnte gewiſſermaßen nicht weiter gehen.
Er hatte den Gipfel ſeiner ſchöpferiſchen Kraft erreicht,
und was er auch in der Folge noch gemacht haben
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[54/0076] präoccupirt iſt. Dem Kinde entgeht der Käfer an der Blume nicht, es hat alle ſeine Sinne für ein ein¬ ziges einfaches Intereſſe beiſammen, und es fällt ihm durchaus nicht ein, daß zu gleicher Zeit etwa auch in der Bildung der Wolken ſich etwas Merkwürdiges ereignen könne, um ſeine Blicke zugleich auch dorthin zu wenden.“ Da könnten alſo, erwiederte ich, die Kinder und ihres Gleichen recht gute Handlanger in der Wiſſen¬ ſchaft abgeben. „Wollte Gott, fiel Goethe ein, wir wären Alle nichts weiter, als gute Handlanger. Eben weil wir mehr ſeyn wollen und überall einen großen Apparat von Philoſophie und Hypotheſen mit uns herumführen, verderben wir es.“ Es entſtand eine Pauſe im Geſpräch, die Riemer unterbrach, indem er den Lord Byron und deſſen Tod zur Erwähnung brachte. Goethe machte darauf eine glänzende Auseinanderſetzung ſeiner Schriften und war voll des höchſten Lobes und der reinſten Anerkennung. „Uebrigens, fuhr er fort, obgleich Byron ſo jung geſtorben iſt, ſo hat doch die Literatur hinſichtlich einer gehinderten weiteren Ausdehnung nicht weſentlich ver¬ loren. Byron konnte gewiſſermaßen nicht weiter gehen. Er hatte den Gipfel ſeiner ſchöpferiſchen Kraft erreicht, und was er auch in der Folge noch gemacht haben würde, ſo hätte er doch die ſeinem Talent gezogenen

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/76>, abgerufen am 28.04.2024.