Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

Mitglied eines glücklichen Familienkreises oder einer
geschlossenen Gesellschaft sey, sehr schlimm und langwei¬
lig; denn der Einzelne wisse nicht wohin. Und doch
mache man Ansprüche, als müsse am Abend eines Sonn¬
tags sich irgend ein Ort finden lassen, wo es Einem
wohl sey und man die Plage der Woche vergesse.

Goethe's Gedanke, auch die Sonntage spielen zu
lassen, wie es in den übrigen deutschen Städten üblich,
fand also die vollkommenste Zustimmung und ward als
ein sehr glücklicher begrüßt. Nur erhob sich ein leiser
Zweifel, ob es auch dem Hofe recht seyn würde.

"Der Weimar'sche Hof, erwiederte Goethe, ist zu
gut und weise, als daß er eine Maßregel hindern
sollte, die zum Wohl der Stadt und einer bedeutenden
Anstalt gereicht. Der Hof wird gewiß gern das kleine
Opfer bringen und seine Sonntags-Soireen auf einen
anderen Tag verlegen. Wäre dieß aber nicht annehm¬
lich, so gäbe es ja für die Sonntage Stücke genug,
die der Hof ohnedieß nicht gerne sieht, die aber für
das eigentliche Volk durchaus geeignet sind und ganz
trefflich die Casse füllen."

Das Gespräch wendete sich auf die Schauspieler
und es ward über den Gebrauch und Mißbrauch ihrer
Kräfte sehr viel hin und wieder geredet.

"Ich habe in meiner langen Praxis, sagte Goethe,
als Hauptsache gefunden, daß man nie ein Stück oder
gar eine Oper einstudiren lassen solle, wovon man

Mitglied eines glücklichen Familienkreiſes oder einer
geſchloſſenen Geſellſchaft ſey, ſehr ſchlimm und langwei¬
lig; denn der Einzelne wiſſe nicht wohin. Und doch
mache man Anſprüche, als müſſe am Abend eines Sonn¬
tags ſich irgend ein Ort finden laſſen, wo es Einem
wohl ſey und man die Plage der Woche vergeſſe.

Goethe's Gedanke, auch die Sonntage ſpielen zu
laſſen, wie es in den übrigen deutſchen Städten üblich,
fand alſo die vollkommenſte Zuſtimmung und ward als
ein ſehr glücklicher begrüßt. Nur erhob ſich ein leiſer
Zweifel, ob es auch dem Hofe recht ſeyn würde.

„Der Weimar'ſche Hof, erwiederte Goethe, iſt zu
gut und weiſe, als daß er eine Maßregel hindern
ſollte, die zum Wohl der Stadt und einer bedeutenden
Anſtalt gereicht. Der Hof wird gewiß gern das kleine
Opfer bringen und ſeine Sonntags-Soiréen auf einen
anderen Tag verlegen. Wäre dieß aber nicht annehm¬
lich, ſo gäbe es ja für die Sonntage Stücke genug,
die der Hof ohnedieß nicht gerne ſieht, die aber für
das eigentliche Volk durchaus geeignet ſind und ganz
trefflich die Caſſe füllen.“

Das Geſpräch wendete ſich auf die Schauſpieler
und es ward über den Gebrauch und Mißbrauch ihrer
Kräfte ſehr viel hin und wieder geredet.

„Ich habe in meiner langen Praxis, ſagte Goethe,
als Hauptſache gefunden, daß man nie ein Stück oder
gar eine Oper einſtudiren laſſen ſolle, wovon man

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0096" n="74"/>
Mitglied eines glücklichen Familienkrei&#x017F;es oder einer<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;ey, &#x017F;ehr &#x017F;chlimm und langwei¬<lb/>
lig; denn der Einzelne wi&#x017F;&#x017F;e nicht wohin. Und doch<lb/>
mache man An&#x017F;prüche, als mü&#x017F;&#x017F;e am Abend eines Sonn¬<lb/>
tags &#x017F;ich irgend ein Ort finden la&#x017F;&#x017F;en, wo es Einem<lb/>
wohl &#x017F;ey und man die Plage der Woche verge&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
          <p>Goethe's Gedanke, auch die Sonntage &#x017F;pielen zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, wie es in den übrigen deut&#x017F;chen Städten üblich,<lb/>
fand al&#x017F;o die vollkommen&#x017F;te Zu&#x017F;timmung und ward als<lb/>
ein &#x017F;ehr glücklicher begrüßt. Nur erhob &#x017F;ich ein lei&#x017F;er<lb/>
Zweifel, ob es auch dem Hofe recht &#x017F;eyn würde.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Der Weimar'&#x017F;che Hof, erwiederte Goethe, i&#x017F;t zu<lb/>
gut und wei&#x017F;e, als daß er eine Maßregel hindern<lb/>
&#x017F;ollte, die zum Wohl der Stadt und einer bedeutenden<lb/>
An&#x017F;talt gereicht. Der Hof wird gewiß gern das kleine<lb/>
Opfer bringen und &#x017F;eine Sonntags-Soir<hi rendition="#aq">é</hi>en auf einen<lb/>
anderen Tag verlegen. Wäre dieß aber nicht annehm¬<lb/>
lich, &#x017F;o gäbe es ja für die Sonntage Stücke genug,<lb/>
die der Hof ohnedieß nicht gerne &#x017F;ieht, die aber für<lb/>
das eigentliche Volk durchaus geeignet &#x017F;ind und ganz<lb/>
trefflich die Ca&#x017F;&#x017F;e füllen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Das Ge&#x017F;präch wendete &#x017F;ich auf die Schau&#x017F;pieler<lb/>
und es ward über den Gebrauch und Mißbrauch ihrer<lb/>
Kräfte &#x017F;ehr viel hin und wieder geredet.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich habe in meiner langen Praxis, &#x017F;agte Goethe,<lb/>
als Haupt&#x017F;ache gefunden, daß man nie ein Stück oder<lb/>
gar eine Oper ein&#x017F;tudiren la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;olle, wovon man<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0096] Mitglied eines glücklichen Familienkreiſes oder einer geſchloſſenen Geſellſchaft ſey, ſehr ſchlimm und langwei¬ lig; denn der Einzelne wiſſe nicht wohin. Und doch mache man Anſprüche, als müſſe am Abend eines Sonn¬ tags ſich irgend ein Ort finden laſſen, wo es Einem wohl ſey und man die Plage der Woche vergeſſe. Goethe's Gedanke, auch die Sonntage ſpielen zu laſſen, wie es in den übrigen deutſchen Städten üblich, fand alſo die vollkommenſte Zuſtimmung und ward als ein ſehr glücklicher begrüßt. Nur erhob ſich ein leiſer Zweifel, ob es auch dem Hofe recht ſeyn würde. „Der Weimar'ſche Hof, erwiederte Goethe, iſt zu gut und weiſe, als daß er eine Maßregel hindern ſollte, die zum Wohl der Stadt und einer bedeutenden Anſtalt gereicht. Der Hof wird gewiß gern das kleine Opfer bringen und ſeine Sonntags-Soiréen auf einen anderen Tag verlegen. Wäre dieß aber nicht annehm¬ lich, ſo gäbe es ja für die Sonntage Stücke genug, die der Hof ohnedieß nicht gerne ſieht, die aber für das eigentliche Volk durchaus geeignet ſind und ganz trefflich die Caſſe füllen.“ Das Geſpräch wendete ſich auf die Schauſpieler und es ward über den Gebrauch und Mißbrauch ihrer Kräfte ſehr viel hin und wieder geredet. „Ich habe in meiner langen Praxis, ſagte Goethe, als Hauptſache gefunden, daß man nie ein Stück oder gar eine Oper einſtudiren laſſen ſolle, wovon man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/96
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/96>, abgerufen am 15.05.2024.