Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

gute Oper einstudirt, so soll man sie in kurzen Zwischen¬
pausen so lange hintereinander geben, als sie irgend
zieht und irgend das Haus füllet. Dasselbe gilt von
einem guten älteren Stück oder einer guten älteren
Oper, die vielleicht seit Jahr und Tag geruhet hat
und nun gleichfalls eines nicht geringen erneueten
Studiums bedurfte, um wieder mit Succeß gegeben
werden zu können. Eine solche Vorstellung soll man
in kurzen Zwischenpausen gleichfalls so oft wiederholen,
als das Publicum irgend sein Interesse daran zu er¬
kennen giebt. Die Sucht, immer etwas Neues haben
und ein mit unsäglicher Mühe einstudirtes gutes Stück
oder Oper nur einmal, höchstens zweimal sehen zu
wollen, oder auch zwischen solchen Wiederholungen
lange Zeiträume von sechs bis acht Wochen verstreichen
zu lassen, wo denn immer wieder ein neues Studium
nöthig wird, ist ein wahrer Verderb des Theaters und
ein Mißbrauch der Kräfte des ausübenden Personals,
der gar nicht zu verzeihen ist."

Goethe schien diese Angelegenheit so wichtig zu
halten und sie schien ihm so sehr am Herzen zu liegen,
daß er darüber in eine Wärme gerieth, wie sie ihn
bei seiner großen Ruhe selten anwandelt.

"In Italien, fuhr Goethe fort, giebt man eine
und dieselbige Oper vier bis sechs Wochen lang jeden
Abend und die italienischen großen Kinder verlangen
darin keineswegs eine Aenderung. Der gebildete Pariser

gute Oper einſtudirt, ſo ſoll man ſie in kurzen Zwiſchen¬
pauſen ſo lange hintereinander geben, als ſie irgend
zieht und irgend das Haus füllet. Daſſelbe gilt von
einem guten älteren Stück oder einer guten älteren
Oper, die vielleicht ſeit Jahr und Tag geruhet hat
und nun gleichfalls eines nicht geringen erneueten
Studiums bedurfte, um wieder mit Succeß gegeben
werden zu können. Eine ſolche Vorſtellung ſoll man
in kurzen Zwiſchenpauſen gleichfalls ſo oft wiederholen,
als das Publicum irgend ſein Intereſſe daran zu er¬
kennen giebt. Die Sucht, immer etwas Neues haben
und ein mit unſäglicher Mühe einſtudirtes gutes Stück
oder Oper nur einmal, höchſtens zweimal ſehen zu
wollen, oder auch zwiſchen ſolchen Wiederholungen
lange Zeiträume von ſechs bis acht Wochen verſtreichen
zu laſſen, wo denn immer wieder ein neues Studium
nöthig wird, iſt ein wahrer Verderb des Theaters und
ein Mißbrauch der Kräfte des ausübenden Perſonals,
der gar nicht zu verzeihen iſt.“

Goethe ſchien dieſe Angelegenheit ſo wichtig zu
halten und ſie ſchien ihm ſo ſehr am Herzen zu liegen,
daß er darüber in eine Wärme gerieth, wie ſie ihn
bei ſeiner großen Ruhe ſelten anwandelt.

„In Italien, fuhr Goethe fort, giebt man eine
und dieſelbige Oper vier bis ſechs Wochen lang jeden
Abend und die italieniſchen großen Kinder verlangen
darin keineswegs eine Aenderung. Der gebildete Pariſer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0098" n="76"/>
gute Oper ein&#x017F;tudirt, &#x017F;o &#x017F;oll man &#x017F;ie in kurzen Zwi&#x017F;chen¬<lb/>
pau&#x017F;en &#x017F;o lange hintereinander geben, als &#x017F;ie irgend<lb/>
zieht und irgend das Haus füllet. Da&#x017F;&#x017F;elbe gilt von<lb/>
einem guten älteren Stück oder einer guten älteren<lb/>
Oper, die vielleicht &#x017F;eit Jahr und Tag geruhet hat<lb/>
und nun gleichfalls eines nicht geringen erneueten<lb/>
Studiums bedurfte, um wieder mit Succeß gegeben<lb/>
werden zu können. Eine &#x017F;olche Vor&#x017F;tellung &#x017F;oll man<lb/>
in kurzen Zwi&#x017F;chenpau&#x017F;en gleichfalls &#x017F;o oft wiederholen,<lb/>
als das Publicum irgend &#x017F;ein Intere&#x017F;&#x017F;e daran zu er¬<lb/>
kennen giebt. Die Sucht, immer etwas Neues haben<lb/>
und ein mit un&#x017F;äglicher Mühe ein&#x017F;tudirtes gutes Stück<lb/>
oder Oper nur einmal, höch&#x017F;tens zweimal &#x017F;ehen zu<lb/>
wollen, oder auch zwi&#x017F;chen &#x017F;olchen Wiederholungen<lb/>
lange Zeiträume von &#x017F;echs bis acht Wochen ver&#x017F;treichen<lb/>
zu la&#x017F;&#x017F;en, wo denn immer wieder ein neues Studium<lb/>
nöthig wird, i&#x017F;t ein wahrer Verderb des Theaters und<lb/>
ein Mißbrauch der Kräfte des ausübenden Per&#x017F;onals,<lb/>
der gar nicht zu verzeihen i&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Goethe &#x017F;chien die&#x017F;e Angelegenheit &#x017F;o wichtig zu<lb/>
halten und &#x017F;ie &#x017F;chien ihm &#x017F;o &#x017F;ehr am Herzen zu liegen,<lb/>
daß er darüber in eine Wärme gerieth, wie &#x017F;ie ihn<lb/>
bei &#x017F;einer großen Ruhe &#x017F;elten anwandelt.</p><lb/>
          <p>&#x201E;In Italien, fuhr Goethe fort, giebt man eine<lb/>
und die&#x017F;elbige Oper vier bis &#x017F;echs Wochen lang jeden<lb/>
Abend und die italieni&#x017F;chen großen Kinder verlangen<lb/>
darin keineswegs eine Aenderung. Der gebildete Pari&#x017F;er<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0098] gute Oper einſtudirt, ſo ſoll man ſie in kurzen Zwiſchen¬ pauſen ſo lange hintereinander geben, als ſie irgend zieht und irgend das Haus füllet. Daſſelbe gilt von einem guten älteren Stück oder einer guten älteren Oper, die vielleicht ſeit Jahr und Tag geruhet hat und nun gleichfalls eines nicht geringen erneueten Studiums bedurfte, um wieder mit Succeß gegeben werden zu können. Eine ſolche Vorſtellung ſoll man in kurzen Zwiſchenpauſen gleichfalls ſo oft wiederholen, als das Publicum irgend ſein Intereſſe daran zu er¬ kennen giebt. Die Sucht, immer etwas Neues haben und ein mit unſäglicher Mühe einſtudirtes gutes Stück oder Oper nur einmal, höchſtens zweimal ſehen zu wollen, oder auch zwiſchen ſolchen Wiederholungen lange Zeiträume von ſechs bis acht Wochen verſtreichen zu laſſen, wo denn immer wieder ein neues Studium nöthig wird, iſt ein wahrer Verderb des Theaters und ein Mißbrauch der Kräfte des ausübenden Perſonals, der gar nicht zu verzeihen iſt.“ Goethe ſchien dieſe Angelegenheit ſo wichtig zu halten und ſie ſchien ihm ſo ſehr am Herzen zu liegen, daß er darüber in eine Wärme gerieth, wie ſie ihn bei ſeiner großen Ruhe ſelten anwandelt. „In Italien, fuhr Goethe fort, giebt man eine und dieſelbige Oper vier bis ſechs Wochen lang jeden Abend und die italieniſchen großen Kinder verlangen darin keineswegs eine Aenderung. Der gebildete Pariſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/98
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/98>, abgerufen am 15.05.2024.