Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

tuch um sie herum und nahm sie auf den Arm.
Ohne ein Wort zu sprechen, umklammerte sie ihn in
stummem Schrecken. Ein heftiger Wind, der aus
dem Brande selbst auszugehen schien, faltete indeß
die Flammen-Fahnen immer mehr auseinander,
der schreckliche Feuermann griff mit seinen Riesenar¬
men rechts und links in die dunkle Nacht und hat¬
te bereits auch schon das Hinterhaus erfaßt. Da
sah Leontin auf einmal, mitten zwischen den Flam¬
men, eine unbekannte weibliche Gestalt in weißem
Gewande erscheinen, die ruhig in dem Getümmel
auf- und nieder gieng. Gott sey Dank! hörte er
zugleich draußen die Bauern rufen, wenn die da
ist, wird's bald besser geh'n. -- Wer ist die weiße
Frau? fragte Leontin, der nicht ohne innerlichen
Schauder auf sie hinblicken konnte. Julie, die ihr
Gesicht fest an ihn gedrückt hatte, überhörte in der
Verwirrung die Frage, und so trug er sie hoch
durch das Feuer hindurch, ohne die Augen von der
fremden Gestalt zu wenden. Kaum hatte er aber
das Fräulein im Hofe niedergesezt, als er selber,
von dem Rauche, der Hitze und Anstrengung ganz
erschöpft, bewußtlos auf den Boden hinsank.

Jene seltsame Erscheinung hatte während deß alle
mit frischem Muthe beseelt, und so war es der ver¬
doppelten Anstrengung gelungen, die Flammen end¬
lich zu zwingen. Als Leontin die Augen wieder
aufschlug, sah er mit Erstaunen alles ringsumher
schon leer und ruhig. Die weiße Frau aber war
mit dem Feuer verschwunden, wie sie gekommen

tuch um ſie herum und nahm ſie auf den Arm.
Ohne ein Wort zu ſprechen, umklammerte ſie ihn in
ſtummem Schrecken. Ein heftiger Wind, der aus
dem Brande ſelbſt auszugehen ſchien, faltete indeß
die Flammen-Fahnen immer mehr auseinander,
der ſchreckliche Feuermann griff mit ſeinen Rieſenar¬
men rechts und links in die dunkle Nacht und hat¬
te bereits auch ſchon das Hinterhaus erfaßt. Da
ſah Leontin auf einmal, mitten zwiſchen den Flam¬
men, eine unbekannte weibliche Geſtalt in weißem
Gewande erſcheinen, die ruhig in dem Getümmel
auf- und nieder gieng. Gott ſey Dank! hörte er
zugleich draußen die Bauern rufen, wenn die da
iſt, wird's bald beſſer geh'n. — Wer iſt die weiße
Frau? fragte Leontin, der nicht ohne innerlichen
Schauder auf ſie hinblicken konnte. Julie, die ihr
Geſicht feſt an ihn gedrückt hatte, überhörte in der
Verwirrung die Frage, und ſo trug er ſie hoch
durch das Feuer hindurch, ohne die Augen von der
fremden Geſtalt zu wenden. Kaum hatte er aber
das Fräulein im Hofe niedergeſezt, als er ſelber,
von dem Rauche, der Hitze und Anſtrengung ganz
erſchöpft, bewußtlos auf den Boden hinſank.

Jene ſeltſame Erſcheinung hatte während deß alle
mit friſchem Muthe beſeelt, und ſo war es der ver¬
doppelten Anſtrengung gelungen, die Flammen end¬
lich zu zwingen. Als Leontin die Augen wieder
aufſchlug, ſah er mit Erſtaunen alles ringsumher
ſchon leer und ruhig. Die weiße Frau aber war
mit dem Feuer verſchwunden, wie ſie gekommen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0147" n="141"/>
tuch um &#x017F;ie herum und nahm &#x017F;ie auf den Arm.<lb/>
Ohne ein Wort zu &#x017F;prechen, umklammerte &#x017F;ie ihn in<lb/>
&#x017F;tummem Schrecken. Ein heftiger Wind, der aus<lb/>
dem Brande &#x017F;elb&#x017F;t auszugehen &#x017F;chien, faltete indeß<lb/>
die Flammen-Fahnen immer mehr auseinander,<lb/>
der &#x017F;chreckliche Feuermann griff mit &#x017F;einen Rie&#x017F;enar¬<lb/>
men rechts und links in die dunkle Nacht und hat¬<lb/>
te bereits auch &#x017F;chon das Hinterhaus erfaßt. Da<lb/>
&#x017F;ah Leontin auf einmal, mitten zwi&#x017F;chen den Flam¬<lb/>
men, eine unbekannte weibliche Ge&#x017F;talt in weißem<lb/>
Gewande er&#x017F;cheinen, die ruhig in dem Getümmel<lb/>
auf- und nieder gieng. Gott &#x017F;ey Dank! hörte er<lb/>
zugleich draußen die Bauern rufen, wenn die da<lb/>
i&#x017F;t, wird's bald be&#x017F;&#x017F;er geh'n. &#x2014; Wer i&#x017F;t die weiße<lb/>
Frau? fragte Leontin, der nicht ohne innerlichen<lb/>
Schauder auf &#x017F;ie hinblicken konnte. Julie, die ihr<lb/>
Ge&#x017F;icht fe&#x017F;t an ihn gedrückt hatte, überhörte in der<lb/>
Verwirrung die Frage, und &#x017F;o trug er &#x017F;ie hoch<lb/>
durch das Feuer hindurch, ohne die Augen von der<lb/>
fremden Ge&#x017F;talt zu wenden. Kaum hatte er aber<lb/>
das Fräulein im Hofe niederge&#x017F;ezt, als er &#x017F;elber,<lb/>
von dem Rauche, der Hitze und An&#x017F;trengung ganz<lb/>
er&#x017F;chöpft, bewußtlos auf den Boden hin&#x017F;ank.</p><lb/>
          <p>Jene &#x017F;elt&#x017F;ame Er&#x017F;cheinung hatte während deß alle<lb/>
mit fri&#x017F;chem Muthe be&#x017F;eelt, und &#x017F;o war es der ver¬<lb/>
doppelten An&#x017F;trengung gelungen, die Flammen end¬<lb/>
lich zu zwingen. Als Leontin die Augen wieder<lb/>
auf&#x017F;chlug, &#x017F;ah er mit Er&#x017F;taunen alles ringsumher<lb/>
&#x017F;chon leer und ruhig. Die weiße Frau aber war<lb/>
mit dem Feuer ver&#x017F;chwunden, wie &#x017F;ie gekommen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0147] tuch um ſie herum und nahm ſie auf den Arm. Ohne ein Wort zu ſprechen, umklammerte ſie ihn in ſtummem Schrecken. Ein heftiger Wind, der aus dem Brande ſelbſt auszugehen ſchien, faltete indeß die Flammen-Fahnen immer mehr auseinander, der ſchreckliche Feuermann griff mit ſeinen Rieſenar¬ men rechts und links in die dunkle Nacht und hat¬ te bereits auch ſchon das Hinterhaus erfaßt. Da ſah Leontin auf einmal, mitten zwiſchen den Flam¬ men, eine unbekannte weibliche Geſtalt in weißem Gewande erſcheinen, die ruhig in dem Getümmel auf- und nieder gieng. Gott ſey Dank! hörte er zugleich draußen die Bauern rufen, wenn die da iſt, wird's bald beſſer geh'n. — Wer iſt die weiße Frau? fragte Leontin, der nicht ohne innerlichen Schauder auf ſie hinblicken konnte. Julie, die ihr Geſicht feſt an ihn gedrückt hatte, überhörte in der Verwirrung die Frage, und ſo trug er ſie hoch durch das Feuer hindurch, ohne die Augen von der fremden Geſtalt zu wenden. Kaum hatte er aber das Fräulein im Hofe niedergeſezt, als er ſelber, von dem Rauche, der Hitze und Anſtrengung ganz erſchöpft, bewußtlos auf den Boden hinſank. Jene ſeltſame Erſcheinung hatte während deß alle mit friſchem Muthe beſeelt, und ſo war es der ver¬ doppelten Anſtrengung gelungen, die Flammen end¬ lich zu zwingen. Als Leontin die Augen wieder aufſchlug, ſah er mit Erſtaunen alles ringsumher ſchon leer und ruhig. Die weiße Frau aber war mit dem Feuer verſchwunden, wie ſie gekommen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/147
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/147>, abgerufen am 02.05.2024.