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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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gewesen, recht mitten in der Sonne zwischen den
spielenden Farbenlichtern traurig an ein großes
Kreutz gelehnt, stehen. Eine unbeschreibliche Sehn¬
sucht befiel ihn da, und Angst zugleich, daß die
Sonne für immer in das Meer versinken werde.
Da war ihm, als sagte das wunderschöne Kind,
doch ohne den Mund zu bewegen oder aus seiner
traurigen Stellung aufzublicken: Liebst du mich
recht, so gehe mit mir unter, als Sonne wirst du
dann wieder aufgeh'n, und die Welt ist frey! --
Vor Lust und Schwindel wachte er auf. Draussen
funkelte der heitere Wintermorgen schon über die
Dächer, das Licht war herabgebrannt, Erwin saß
bereits angekleidet ihm gegenüber und sah ihn mit
den großen, schönen Augen still und ernsthaft an.

Zu solcher Lebensweise kam ein schöner Kreis
neuer, rüstiger Freunde, die auf Reisen, an gleicher
Gesinnung sich erkennend, aus verschiedenen deut¬
schen Zonen sich nach und nach hier zusammengefun¬
den hatten. Der Erbprinz, der mit einer fast grän¬
zenlosen Leidenschaft an Friedrich'n hieng, wußte
den Bund durch seine hinreissende Gluth und Be¬
redsamkeit immer frisch zu stärken, so auch, obgleich
auf ganz verschiedene Weise, der ältere, besonnene
Minister, der nach einer herumschweifenden und
wüst durchlebten Jugend, später, seiner grösseren
Entwürfe und seiner Kraft und Berufes vor allen
andern, sie auszuführen, sich klar bewußt, auf
einmal mehrere brave aber schwächere Männer ge¬

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geweſen, recht mitten in der Sonne zwiſchen den
ſpielenden Farbenlichtern traurig an ein großes
Kreutz gelehnt, ſtehen. Eine unbeſchreibliche Sehn¬
ſucht befiel ihn da, und Angſt zugleich, daß die
Sonne für immer in das Meer verſinken werde.
Da war ihm, als ſagte das wunderſchöne Kind,
doch ohne den Mund zu bewegen oder aus ſeiner
traurigen Stellung aufzublicken: Liebſt du mich
recht, ſo gehe mit mir unter, als Sonne wirſt du
dann wieder aufgeh'n, und die Welt iſt frey! —
Vor Luſt und Schwindel wachte er auf. Drauſſen
funkelte der heitere Wintermorgen ſchon über die
Dächer, das Licht war herabgebrannt, Erwin ſaß
bereits angekleidet ihm gegenüber und ſah ihn mit
den großen, ſchönen Augen ſtill und ernſthaft an.

Zu ſolcher Lebensweiſe kam ein ſchöner Kreis
neuer, rüſtiger Freunde, die auf Reiſen, an gleicher
Geſinnung ſich erkennend, aus verſchiedenen deut¬
ſchen Zonen ſich nach und nach hier zuſammengefun¬
den hatten. Der Erbprinz, der mit einer faſt grän¬
zenloſen Leidenſchaft an Friedrich'n hieng, wußte
den Bund durch ſeine hinreiſſende Gluth und Be¬
redſamkeit immer friſch zu ſtärken, ſo auch, obgleich
auf ganz verſchiedene Weiſe, der ältere, beſonnene
Miniſter, der nach einer herumſchweifenden und
wüſt durchlebten Jugend, ſpäter, ſeiner gröſſeren
Entwürfe und ſeiner Kraft und Berufes vor allen
andern, ſie auszuführen, ſich klar bewußt, auf
einmal mehrere brave aber ſchwächere Männer ge¬

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[257/0263] geweſen, recht mitten in der Sonne zwiſchen den ſpielenden Farbenlichtern traurig an ein großes Kreutz gelehnt, ſtehen. Eine unbeſchreibliche Sehn¬ ſucht befiel ihn da, und Angſt zugleich, daß die Sonne für immer in das Meer verſinken werde. Da war ihm, als ſagte das wunderſchöne Kind, doch ohne den Mund zu bewegen oder aus ſeiner traurigen Stellung aufzublicken: Liebſt du mich recht, ſo gehe mit mir unter, als Sonne wirſt du dann wieder aufgeh'n, und die Welt iſt frey! — Vor Luſt und Schwindel wachte er auf. Drauſſen funkelte der heitere Wintermorgen ſchon über die Dächer, das Licht war herabgebrannt, Erwin ſaß bereits angekleidet ihm gegenüber und ſah ihn mit den großen, ſchönen Augen ſtill und ernſthaft an. Zu ſolcher Lebensweiſe kam ein ſchöner Kreis neuer, rüſtiger Freunde, die auf Reiſen, an gleicher Geſinnung ſich erkennend, aus verſchiedenen deut¬ ſchen Zonen ſich nach und nach hier zuſammengefun¬ den hatten. Der Erbprinz, der mit einer faſt grän¬ zenloſen Leidenſchaft an Friedrich'n hieng, wußte den Bund durch ſeine hinreiſſende Gluth und Be¬ redſamkeit immer friſch zu ſtärken, ſo auch, obgleich auf ganz verſchiedene Weiſe, der ältere, beſonnene Miniſter, der nach einer herumſchweifenden und wüſt durchlebten Jugend, ſpäter, ſeiner gröſſeren Entwürfe und ſeiner Kraft und Berufes vor allen andern, ſie auszuführen, ſich klar bewußt, auf einmal mehrere brave aber ſchwächere Männer ge¬ 17

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/263>, abgerufen am 14.05.2024.