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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Leontin stutzte und sang weiter:

So reich geschmückt ist Roß und Weib,
So wunderschön der junge Leib,
Jetzt kenn' ich Dich -- Gott steh' mil bey!
Du bist die Hexe Lorelay.

Der Jäger antwortete wieder:

"Du kennst mich wohl -- von hohem Stein,
Schaut still mein Schloß tief in den Rhein.
Es ist schon spät, es wird schon kalt,
Kommst nimmermehr aus diesem Wald!"

Der Jäger nahm nun ein Glas, kam auf sie
los und trank Friedrich'n keck zu: Unsere Schönen
sollen leben! Friedrich stieß mit an. Da zersprang
der Römer des Jägers klingend an dem seinigen.
Der Jäger erblaßte und schleuderte das Glas in
den Rhein. --

Es war unterdeß schon spät geworden, die
Mädchen fiengen an einzunicken, die Alten trieben
ihre Kinder zu Bett und so verlohr sich nach und
nach eines nach dem andern, bis sich unsere Rei¬
sende allein auf dem Platze sahen. Die Nacht war
sehr warm, Leontin schlug daher vor, die ganze
Nacht über auf dem Rheine nach der Residenz hin¬
unterzufahren, er sey ein guter Steuermann und.
kenne jede Klippe auswendig. Alle willigten sogleich
ein, der eine Jäger nur mit Zaudern, und so be¬
stiegen sie einen Kahn, der am Ufer angebunden
war. Den Knaben Erwin, der während Leontins
Liedern zu Friedrichs Füssen eingeschlafen, hatten

Leontin ſtutzte und ſang weiter:

So reich geſchmückt iſt Roß und Weib,
So wunderſchön der junge Leib,
Jetzt kenn' ich Dich — Gott ſteh' mil bey!
Du biſt die Hexe Lorelay.

Der Jäger antwortete wieder:

„Du kennſt mich wohl — von hohem Stein,
Schaut ſtill mein Schloß tief in den Rhein.
Es iſt ſchon ſpät, es wird ſchon kalt,
Kommſt nimmermehr aus dieſem Wald!“

Der Jäger nahm nun ein Glas, kam auf ſie
los und trank Friedrich'n keck zu: Unſere Schönen
ſollen leben! Friedrich ſtieß mit an. Da zerſprang
der Römer des Jägers klingend an dem ſeinigen.
Der Jäger erblaßte und ſchleuderte das Glas in
den Rhein. —

Es war unterdeß ſchon ſpät geworden, die
Mädchen fiengen an einzunicken, die Alten trieben
ihre Kinder zu Bett und ſo verlohr ſich nach und
nach eines nach dem andern, bis ſich unſere Rei¬
ſende allein auf dem Platze ſahen. Die Nacht war
ſehr warm, Leontin ſchlug daher vor, die ganze
Nacht über auf dem Rheine nach der Reſidenz hin¬
unterzufahren, er ſey ein guter Steuermann und.
kenne jede Klippe auswendig. Alle willigten ſogleich
ein, der eine Jäger nur mit Zaudern, und ſo be¬
ſtiegen ſie einen Kahn, der am Ufer angebunden
war. Den Knaben Erwin, der während Leontins
Liedern zu Friedrichs Füſſen eingeſchlafen, hatten

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[286/0292] Leontin ſtutzte und ſang weiter: So reich geſchmückt iſt Roß und Weib, So wunderſchön der junge Leib, Jetzt kenn' ich Dich — Gott ſteh' mil bey! Du biſt die Hexe Lorelay. Der Jäger antwortete wieder: „Du kennſt mich wohl — von hohem Stein, Schaut ſtill mein Schloß tief in den Rhein. Es iſt ſchon ſpät, es wird ſchon kalt, Kommſt nimmermehr aus dieſem Wald!“ Der Jäger nahm nun ein Glas, kam auf ſie los und trank Friedrich'n keck zu: Unſere Schönen ſollen leben! Friedrich ſtieß mit an. Da zerſprang der Römer des Jägers klingend an dem ſeinigen. Der Jäger erblaßte und ſchleuderte das Glas in den Rhein. — Es war unterdeß ſchon ſpät geworden, die Mädchen fiengen an einzunicken, die Alten trieben ihre Kinder zu Bett und ſo verlohr ſich nach und nach eines nach dem andern, bis ſich unſere Rei¬ ſende allein auf dem Platze ſahen. Die Nacht war ſehr warm, Leontin ſchlug daher vor, die ganze Nacht über auf dem Rheine nach der Reſidenz hin¬ unterzufahren, er ſey ein guter Steuermann und. kenne jede Klippe auswendig. Alle willigten ſogleich ein, der eine Jäger nur mit Zaudern, und ſo be¬ ſtiegen ſie einen Kahn, der am Ufer angebunden war. Den Knaben Erwin, der während Leontins Liedern zu Friedrichs Füſſen eingeſchlafen, hatten

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/292>, abgerufen am 14.05.2024.