Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Leontin mich immer auf meinem Sitze besucht
haben. Die Sonne geht grade in der Gegend
auf, wo Sie mir immer an den schwülen Nach¬
mittagen beschrieben haben, daß die Residenz
liegt und der Rhein geht. Ich rufe dann mein
Hurrah und werfe meinen Hut und Pfeiffe
hoch in die Luft."

P. S. Die niedliche Braut, auf die Sie
sich vielleicht noch von dem Tanze auf dem
Jagdschlosse erinnern, besucht uns jetzt oft und
empfiehlt sich. Sie leben recht gut in ihrer
Wildniß, sie hat schon ein Kind und ist noch
schöner geworden und sehr lustig. Adieu!"

Friedrich legte das Papier stillschweigend zu¬
sammen. Ihn befiel eine unbeschreibliche Wehmuth
bey der lebhaften Erinnerung an jene Zeiten.
Er dachte sich, wie sie alle dort noch immer wie
damals, seit hundert Jahren und immerfort, zwi¬
schen ihren Bergen und Wäldern friedlich wohnen,
im ewiggleichen Wechsel einförmiger Tage frisch und
arbeitsam Gott loben und glücklich sind und nichts
wissen von der anderen Welt, die seitdem mit tau¬
send Freuden und Schmerzen durch seine Seele ge¬
gangen. Warum konnte er, und, wie er wohl be¬
merkte, auch Viktor nicht eben so glücklich und ru¬
hig seyn? --

Dabey hatte ihn die Nachricht von Erwins un¬
erklärlicher, flüchtiger Erscheinung heftig bewegt.
Er gieng sogleich mit dem Briefe zu Leontin. Aber

Leontin mich immer auf meinem Sitze beſucht
haben. Die Sonne geht grade in der Gegend
auf, wo Sie mir immer an den ſchwülen Nach¬
mittagen beſchrieben haben, daß die Reſidenz
liegt und der Rhein geht. Ich rufe dann mein
Hurrah und werfe meinen Hut und Pfeiffe
hoch in die Luft.“

P. S. Die niedliche Braut, auf die Sie
ſich vielleicht noch von dem Tanze auf dem
Jagdschloſſe erinnern, beſucht uns jetzt oft und
empfiehlt ſich. Sie leben recht gut in ihrer
Wildniß, ſie hat ſchon ein Kind und iſt noch
ſchöner geworden und ſehr luſtig. Adieu!“

Friedrich legte das Papier ſtillſchweigend zu¬
ſammen. Ihn befiel eine unbeſchreibliche Wehmuth
bey der lebhaften Erinnerung an jene Zeiten.
Er dachte ſich, wie ſie alle dort noch immer wie
damals, ſeit hundert Jahren und immerfort, zwi¬
ſchen ihren Bergen und Wäldern friedlich wohnen,
im ewiggleichen Wechſel einförmiger Tage friſch und
arbeitſam Gott loben und glücklich ſind und nichts
wiſſen von der anderen Welt, die ſeitdem mit tau¬
ſend Freuden und Schmerzen durch ſeine Seele ge¬
gangen. Warum konnte er, und, wie er wohl be¬
merkte, auch Viktor nicht eben ſo glücklich und ru¬
hig ſeyn? —

Dabey hatte ihn die Nachricht von Erwins un¬
erklärlicher, flüchtiger Erſcheinung heftig bewegt.
Er gieng ſogleich mit dem Briefe zu Leontin. Aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <floatingText>
            <body>
              <div type="letter">
                <p><pb facs="#f0306" n="300"/>
Leontin mich immer auf meinem Sitze be&#x017F;ucht<lb/>
haben. Die Sonne geht grade in der Gegend<lb/>
auf, wo Sie mir immer an den &#x017F;chwülen Nach¬<lb/>
mittagen be&#x017F;chrieben haben, daß die Re&#x017F;idenz<lb/>
liegt und der Rhein geht. Ich rufe dann mein<lb/>
Hurrah und werfe meinen Hut und Pfeiffe<lb/>
hoch in die Luft.&#x201C;</p><lb/>
                <postscript>
                  <p><hi rendition="#aq">P. S.</hi> Die niedliche Braut, auf die Sie<lb/>
&#x017F;ich vielleicht noch von dem Tanze auf dem<lb/>
Jagdschlo&#x017F;&#x017F;e erinnern, be&#x017F;ucht uns jetzt oft und<lb/>
empfiehlt &#x017F;ich. Sie leben recht gut in ihrer<lb/>
Wildniß, &#x017F;ie hat &#x017F;chon ein Kind und i&#x017F;t noch<lb/>
&#x017F;chöner geworden und &#x017F;ehr lu&#x017F;tig. <hi rendition="#aq">Adieu!&#x201C;</hi></p>
                </postscript>
              </div>
            </body>
          </floatingText><lb/>
          <p>Friedrich legte das Papier &#x017F;till&#x017F;chweigend zu¬<lb/>
&#x017F;ammen. Ihn befiel eine unbe&#x017F;chreibliche Wehmuth<lb/>
bey der lebhaften Erinnerung an jene Zeiten.<lb/>
Er dachte &#x017F;ich, wie &#x017F;ie alle dort noch immer wie<lb/>
damals, &#x017F;eit hundert Jahren und immerfort, zwi¬<lb/>
&#x017F;chen ihren Bergen und Wäldern friedlich wohnen,<lb/>
im ewiggleichen Wech&#x017F;el einförmiger Tage fri&#x017F;ch und<lb/>
arbeit&#x017F;am Gott loben und glücklich &#x017F;ind und nichts<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en von der anderen Welt, die &#x017F;eitdem mit tau¬<lb/>
&#x017F;end Freuden und Schmerzen durch &#x017F;eine Seele ge¬<lb/>
gangen. Warum konnte er, und, wie er wohl be¬<lb/>
merkte, auch Viktor nicht eben &#x017F;o glücklich und ru¬<lb/>
hig &#x017F;eyn? &#x2014;</p><lb/>
          <p>Dabey hatte ihn die Nachricht von Erwins un¬<lb/>
erklärlicher, flüchtiger Er&#x017F;cheinung heftig bewegt.<lb/>
Er gieng &#x017F;ogleich mit dem Briefe zu Leontin. Aber<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0306] Leontin mich immer auf meinem Sitze beſucht haben. Die Sonne geht grade in der Gegend auf, wo Sie mir immer an den ſchwülen Nach¬ mittagen beſchrieben haben, daß die Reſidenz liegt und der Rhein geht. Ich rufe dann mein Hurrah und werfe meinen Hut und Pfeiffe hoch in die Luft.“ P. S. Die niedliche Braut, auf die Sie ſich vielleicht noch von dem Tanze auf dem Jagdschloſſe erinnern, beſucht uns jetzt oft und empfiehlt ſich. Sie leben recht gut in ihrer Wildniß, ſie hat ſchon ein Kind und iſt noch ſchöner geworden und ſehr luſtig. Adieu!“ Friedrich legte das Papier ſtillſchweigend zu¬ ſammen. Ihn befiel eine unbeſchreibliche Wehmuth bey der lebhaften Erinnerung an jene Zeiten. Er dachte ſich, wie ſie alle dort noch immer wie damals, ſeit hundert Jahren und immerfort, zwi¬ ſchen ihren Bergen und Wäldern friedlich wohnen, im ewiggleichen Wechſel einförmiger Tage friſch und arbeitſam Gott loben und glücklich ſind und nichts wiſſen von der anderen Welt, die ſeitdem mit tau¬ ſend Freuden und Schmerzen durch ſeine Seele ge¬ gangen. Warum konnte er, und, wie er wohl be¬ merkte, auch Viktor nicht eben ſo glücklich und ru¬ hig ſeyn? — Dabey hatte ihn die Nachricht von Erwins un¬ erklärlicher, flüchtiger Erſcheinung heftig bewegt. Er gieng ſogleich mit dem Briefe zu Leontin. Aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/306
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/306>, abgerufen am 14.05.2024.