Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Versteinert wie eine Bildsäule blieb sie steh'n, als
sie Friedrich'n so unverhofft erblickte. Dann sah sie
rings herum und sagte: ich habe mich hier oben
verirrt, ich weiß den Weg nicht mehr nach Hause --,
führe mich, wohin Du willst, es ist alles einerley!
-- Friedrich'n fiel das ungewohnte "Du" auf, auch
bemerkte er in ihrem Gesichte jene leidenschaftliche
Blässe, die ihn sonst schon oft an ihr gestört hatte.
Die Nacht überdeckte schon unten die stillen Wäl¬
der. der Mond gieng von der anderen Seite über
den Bergen auf. Er fuhrte sie an Klippen und
schwindlichten Abhängen vorüber den hohen, langen
Berg hinab, sie sprachen kein Wort miteinander.

So kamen sie endlich nach einem mühsamen
Wege zu dem Schlosse der Gräfin zuruck. Es war
eine alte Burg, mitten in der Wildniß, halb ver¬
fallen, kein Mensch war d rinn zu sehen. Das ist
mein Stammschloß, sagte Romana, und ich bin
die letzte des alten, beruhmten Geschlechts.

Sie führte ihn durch die hohen, gewölbten
Gemächer. In dem einen Zimmer lag alles vom
Feste noch unordentlich umher, zerbrochene Wein¬
flaschen und umgeworfene Stühle; durch das zer¬
schlagene Fenster pfiff der Wind herein und flackerte
mit dem einzigen Lichte, das, fast schon bis an den
Leuchter herabgebrannt, in der Mitte auf einem
Tische stand und spielende Scheine auf eine Reihe
altväterischer Ahnenbilder warf, die rings an den
Wänden umherhiengen.

Verſteinert wie eine Bildſäule blieb ſie ſteh'n, als
ſie Friedrich'n ſo unverhofft erblickte. Dann ſah ſie
rings herum und ſagte: ich habe mich hier oben
verirrt, ich weiß den Weg nicht mehr nach Hauſe —,
führe mich, wohin Du willſt, es iſt alles einerley!
— Friedrich'n fiel das ungewohnte „Du“ auf, auch
bemerkte er in ihrem Geſichte jene leidenſchaftliche
Bläſſe, die ihn ſonſt ſchon oft an ihr geſtört hatte.
Die Nacht überdeckte ſchon unten die ſtillen Wäl¬
der. der Mond gieng von der anderen Seite über
den Bergen auf. Er fuhrte ſie an Klippen und
ſchwindlichten Abhängen vorüber den hohen, langen
Berg hinab, ſie ſprachen kein Wort miteinander.

So kamen ſie endlich nach einem mühſamen
Wege zu dem Schloſſe der Gräfin zuruck. Es war
eine alte Burg, mitten in der Wildniß, halb ver¬
fallen, kein Menſch war d rinn zu ſehen. Das iſt
mein Stammſchloß, ſagte Romana, und ich bin
die letzte des alten, beruhmten Geſchlechts.

Sie führte ihn durch die hohen, gewölbten
Gemächer. In dem einen Zimmer lag alles vom
Feſte noch unordentlich umher, zerbrochene Wein¬
flaſchen und umgeworfene Stühle; durch das zer¬
ſchlagene Fenſter pfiff der Wind herein und flackerte
mit dem einzigen Lichte, das, faſt ſchon bis an den
Leuchter herabgebrannt, in der Mitte auf einem
Tiſche ſtand und ſpielende Scheine auf eine Reihe
altväteriſcher Ahnenbilder warf, die rings an den
Wänden umherhiengen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0354" n="348"/>
Ver&#x017F;teinert wie eine Bild&#x017F;äule blieb &#x017F;ie &#x017F;teh'n, als<lb/>
&#x017F;ie Friedrich'n &#x017F;o unverhofft erblickte. Dann &#x017F;ah &#x017F;ie<lb/>
rings herum und &#x017F;agte: ich habe mich hier oben<lb/>
verirrt, ich weiß den Weg nicht mehr nach Hau&#x017F;e &#x2014;,<lb/>
führe mich, wohin Du will&#x017F;t, es i&#x017F;t alles einerley!<lb/>
&#x2014; Friedrich'n fiel das ungewohnte &#x201E;Du&#x201C; auf, auch<lb/>
bemerkte er in ihrem Ge&#x017F;ichte jene leiden&#x017F;chaftliche<lb/>
Blä&#x017F;&#x017F;e, die ihn &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;chon oft an ihr ge&#x017F;tört hatte.<lb/>
Die Nacht überdeckte &#x017F;chon unten die &#x017F;tillen Wäl¬<lb/>
der. der Mond gieng von der anderen Seite über<lb/>
den Bergen auf. Er fuhrte &#x017F;ie an Klippen und<lb/>
&#x017F;chwindlichten Abhängen vorüber den hohen, langen<lb/>
Berg hinab, &#x017F;ie &#x017F;prachen kein Wort miteinander.</p><lb/>
          <p>So kamen &#x017F;ie endlich nach einem müh&#x017F;amen<lb/>
Wege zu dem Schlo&#x017F;&#x017F;e der Gräfin zuruck. Es war<lb/>
eine alte Burg, mitten in der Wildniß, halb ver¬<lb/>
fallen, kein Men&#x017F;ch war d rinn zu &#x017F;ehen. Das i&#x017F;t<lb/>
mein Stamm&#x017F;chloß, &#x017F;agte Romana, und ich bin<lb/>
die letzte des alten, beruhmten Ge&#x017F;chlechts.</p><lb/>
          <p>Sie führte ihn durch die hohen, gewölbten<lb/>
Gemächer. In dem einen Zimmer lag alles vom<lb/>
Fe&#x017F;te noch unordentlich umher, zerbrochene Wein¬<lb/>
fla&#x017F;chen und umgeworfene Stühle; durch das zer¬<lb/>
&#x017F;chlagene Fen&#x017F;ter pfiff der Wind herein und flackerte<lb/>
mit dem einzigen Lichte, das, fa&#x017F;t &#x017F;chon bis an den<lb/>
Leuchter herabgebrannt, in der Mitte auf einem<lb/>
Ti&#x017F;che &#x017F;tand und &#x017F;pielende Scheine auf eine Reihe<lb/>
altväteri&#x017F;cher Ahnenbilder warf, die rings an den<lb/>
Wänden umherhiengen.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0354] Verſteinert wie eine Bildſäule blieb ſie ſteh'n, als ſie Friedrich'n ſo unverhofft erblickte. Dann ſah ſie rings herum und ſagte: ich habe mich hier oben verirrt, ich weiß den Weg nicht mehr nach Hauſe —, führe mich, wohin Du willſt, es iſt alles einerley! — Friedrich'n fiel das ungewohnte „Du“ auf, auch bemerkte er in ihrem Geſichte jene leidenſchaftliche Bläſſe, die ihn ſonſt ſchon oft an ihr geſtört hatte. Die Nacht überdeckte ſchon unten die ſtillen Wäl¬ der. der Mond gieng von der anderen Seite über den Bergen auf. Er fuhrte ſie an Klippen und ſchwindlichten Abhängen vorüber den hohen, langen Berg hinab, ſie ſprachen kein Wort miteinander. So kamen ſie endlich nach einem mühſamen Wege zu dem Schloſſe der Gräfin zuruck. Es war eine alte Burg, mitten in der Wildniß, halb ver¬ fallen, kein Menſch war d rinn zu ſehen. Das iſt mein Stammſchloß, ſagte Romana, und ich bin die letzte des alten, beruhmten Geſchlechts. Sie führte ihn durch die hohen, gewölbten Gemächer. In dem einen Zimmer lag alles vom Feſte noch unordentlich umher, zerbrochene Wein¬ flaſchen und umgeworfene Stühle; durch das zer¬ ſchlagene Fenſter pfiff der Wind herein und flackerte mit dem einzigen Lichte, das, faſt ſchon bis an den Leuchter herabgebrannt, in der Mitte auf einem Tiſche ſtand und ſpielende Scheine auf eine Reihe altväteriſcher Ahnenbilder warf, die rings an den Wänden umherhiengen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/354
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/354>, abgerufen am 15.05.2024.