Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Leontin war indeß erwacht und machte die Au¬
gen groß auf, da er neben der Geliebten auch noch
den Freund vor sich sah. Da mag schlafen, wer
Lust hat, wenn es wieder so lustig auf der Welt
aussieht, sagte er, und sprang rasch auf. Frie¬
drich erstaunte, wie männlicher seitdem sein ganzes
Wesen geworden. Aber sage, wie hat Dich der
Himmel wieder hiehergebracht? fuhr er fort, ich
dachte, diese Zeit wurde uns beyde mit verschlin¬
gen; aber ich glaube, sie fürchtet sich, uns nicht
verdauen zu können. -- Friedrich kam nun vor lau¬
ter Fragen nicht selber zum fragen, so sehr es ihm
auch am Herzen lag, er mußte sich bequemen, die
Geschichte seines Lebens seit ihrer Trennung zu er¬
zählen. Als er auf den Tod der Gräfin Romana
kam, wurde Leontin nachdenklich. Julie, die auch
sonst schon viel von ihr gehört, konnte sich in diese
ihre seltsame Verwilderung durchaus nicht finden
und verdammte ihr schimpfliches Ende ohne Erbar¬
men, ja mit einer ihr sonst ungewöhnlichen Art von
Haß.

Nach vielem Hin- und Herreden, das jedes
Wiedersehen mit sich zu bringen pflegt, bat endlich
auch Friedrich die beyden, seinen Bericht mit einer
ausfuhrlichen Erzählung ihrer seitherigen Begeben¬
heiten zu erwiedern, da er aus ihren kurzen, un¬
zusammenhängenden Antworten noch immer nicht
klug werden konnte. Vor allem erkundigte er sich
um das Mädchen, das, wie er meynte, zu ihnen
geflüchtet seyn müsse. Julie sah dabey Leontinen

Leontin war indeß erwacht und machte die Au¬
gen groß auf, da er neben der Geliebten auch noch
den Freund vor ſich ſah. Da mag ſchlafen, wer
Luſt hat, wenn es wieder ſo luſtig auf der Welt
ausſieht, ſagte er, und ſprang raſch auf. Frie¬
drich erſtaunte, wie männlicher ſeitdem ſein ganzes
Weſen geworden. Aber ſage, wie hat Dich der
Himmel wieder hiehergebracht? fuhr er fort, ich
dachte, dieſe Zeit wurde uns beyde mit verſchlin¬
gen; aber ich glaube, ſie fürchtet ſich, uns nicht
verdauen zu können. — Friedrich kam nun vor lau¬
ter Fragen nicht ſelber zum fragen, ſo ſehr es ihm
auch am Herzen lag, er mußte ſich bequemen, die
Geſchichte ſeines Lebens ſeit ihrer Trennung zu er¬
zählen. Als er auf den Tod der Gräfin Romana
kam, wurde Leontin nachdenklich. Julie, die auch
ſonſt ſchon viel von ihr gehört, konnte ſich in dieſe
ihre ſeltſame Verwilderung durchaus nicht finden
und verdammte ihr ſchimpfliches Ende ohne Erbar¬
men, ja mit einer ihr ſonſt ungewöhnlichen Art von
Haß.

Nach vielem Hin- und Herreden, das jedes
Wiederſehen mit ſich zu bringen pflegt, bat endlich
auch Friedrich die beyden, ſeinen Bericht mit einer
ausfuhrlichen Erzählung ihrer ſeitherigen Begeben¬
heiten zu erwiedern, da er aus ihren kurzen, un¬
zuſammenhängenden Antworten noch immer nicht
klug werden konnte. Vor allem erkundigte er ſich
um das Mädchen, das, wie er meynte, zu ihnen
geflüchtet ſeyn müſſe. Julie ſah dabey Leontinen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0365" n="359"/>
          <p>Leontin war indeß erwacht und machte die Au¬<lb/>
gen groß auf, da er neben der Geliebten auch noch<lb/>
den Freund vor &#x017F;ich &#x017F;ah. Da mag &#x017F;chlafen, wer<lb/>
Lu&#x017F;t hat, wenn es wieder &#x017F;o lu&#x017F;tig auf der Welt<lb/>
aus&#x017F;ieht, &#x017F;agte er, und &#x017F;prang ra&#x017F;ch auf. Frie¬<lb/>
drich er&#x017F;taunte, wie männlicher &#x017F;eitdem &#x017F;ein ganzes<lb/>
We&#x017F;en geworden. Aber &#x017F;age, wie hat Dich der<lb/>
Himmel wieder hiehergebracht? fuhr er fort, ich<lb/>
dachte, die&#x017F;e Zeit wurde uns beyde mit ver&#x017F;chlin¬<lb/>
gen; aber ich glaube, &#x017F;ie fürchtet &#x017F;ich, uns nicht<lb/>
verdauen zu können. &#x2014; Friedrich kam nun vor lau¬<lb/>
ter Fragen nicht &#x017F;elber zum fragen, &#x017F;o &#x017F;ehr es ihm<lb/>
auch am Herzen lag, er mußte &#x017F;ich bequemen, die<lb/>
Ge&#x017F;chichte &#x017F;eines Lebens &#x017F;eit ihrer Trennung zu er¬<lb/>
zählen. Als er auf den Tod der Gräfin Romana<lb/>
kam, wurde Leontin nachdenklich. Julie, die auch<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t &#x017F;chon viel von ihr gehört, konnte &#x017F;ich in die&#x017F;e<lb/>
ihre &#x017F;elt&#x017F;ame Verwilderung durchaus nicht finden<lb/>
und verdammte ihr &#x017F;chimpfliches Ende ohne Erbar¬<lb/>
men, ja mit einer ihr &#x017F;on&#x017F;t ungewöhnlichen Art von<lb/>
Haß.</p><lb/>
          <p>Nach vielem Hin- und Herreden, das jedes<lb/>
Wieder&#x017F;ehen mit &#x017F;ich zu bringen pflegt, bat endlich<lb/>
auch Friedrich die beyden, &#x017F;einen Bericht mit einer<lb/>
ausfuhrlichen Erzählung ihrer &#x017F;eitherigen Begeben¬<lb/>
heiten zu erwiedern, da er aus ihren kurzen, un¬<lb/>
zu&#x017F;ammenhängenden Antworten noch immer nicht<lb/>
klug werden konnte. Vor allem erkundigte er &#x017F;ich<lb/>
um das Mädchen, das, wie er meynte, zu ihnen<lb/>
geflüchtet &#x017F;eyn mü&#x017F;&#x017F;e. Julie &#x017F;ah dabey Leontinen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[359/0365] Leontin war indeß erwacht und machte die Au¬ gen groß auf, da er neben der Geliebten auch noch den Freund vor ſich ſah. Da mag ſchlafen, wer Luſt hat, wenn es wieder ſo luſtig auf der Welt ausſieht, ſagte er, und ſprang raſch auf. Frie¬ drich erſtaunte, wie männlicher ſeitdem ſein ganzes Weſen geworden. Aber ſage, wie hat Dich der Himmel wieder hiehergebracht? fuhr er fort, ich dachte, dieſe Zeit wurde uns beyde mit verſchlin¬ gen; aber ich glaube, ſie fürchtet ſich, uns nicht verdauen zu können. — Friedrich kam nun vor lau¬ ter Fragen nicht ſelber zum fragen, ſo ſehr es ihm auch am Herzen lag, er mußte ſich bequemen, die Geſchichte ſeines Lebens ſeit ihrer Trennung zu er¬ zählen. Als er auf den Tod der Gräfin Romana kam, wurde Leontin nachdenklich. Julie, die auch ſonſt ſchon viel von ihr gehört, konnte ſich in dieſe ihre ſeltſame Verwilderung durchaus nicht finden und verdammte ihr ſchimpfliches Ende ohne Erbar¬ men, ja mit einer ihr ſonſt ungewöhnlichen Art von Haß. Nach vielem Hin- und Herreden, das jedes Wiederſehen mit ſich zu bringen pflegt, bat endlich auch Friedrich die beyden, ſeinen Bericht mit einer ausfuhrlichen Erzählung ihrer ſeitherigen Begeben¬ heiten zu erwiedern, da er aus ihren kurzen, un¬ zuſammenhängenden Antworten noch immer nicht klug werden konnte. Vor allem erkundigte er ſich um das Mädchen, das, wie er meynte, zu ihnen geflüchtet ſeyn müſſe. Julie ſah dabey Leontinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/365
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/365>, abgerufen am 15.05.2024.