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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Schlechten, blos um der Thätigkeit willen abzuar¬
beiten, wie man etwa spazieren geht, um sich Mo¬
tion zu machen, war von jeher meine größte Wi¬
derwärtigkeit. Wäre ich recht arm gewesen, ich
hätte aus lauterer Langeweile arbeiten können, um
mir Geld zu erwerben, und hinterdrein die Leute
überredet, es geschehe alles um des Staates wil¬
len, wie die anderen thun. Unter solchen morali¬
schen Betrachtungen ritt ich über das Gebirge fort,
und es that mir recht ohne allen Hochmuth leid,
wie da alle die Städte und Dörfer, gleich Ameisen¬
haufen und Maulwurfshügeln, so tief unter mir
lagen; denn ich habe nie mehr Menschenliebe, als
wenn ich weit von den Menschen bin. Da wurde
es nach und nach schwül und immer schwüler unten
über dem deutschen Reiche, die Donau sah ich wie
eine silberne Schlange durch das unendliche, blau¬
schwüle Land geh'n, zwey Gewitter, dunkel, schwer
und langsam standen am äussersten Horizonte gegen¬
einander auf; sie blizten und donnerten noch nicht,
es war eine erschreckliche Stille. -- Ich erinnere
mich, wie frey mir zu Muthe wurde, als ich end¬
lich die ersten Soldaten unten über die Hügel kom¬
men und hin und wiederreiten, wirren und blitzen
sah.

Ich zog in den Krieg hinunter. Was da ge¬
schah, ist Dir bekannt. Nach der großen Schlacht,
die wir verlohren, war das Korps, zu dem ich ge¬
hörte, erschlagen und zersprengt, ich selber von den
Meinigen getrennt. Ich suchte durch verschiedene

Schlechten, blos um der Thätigkeit willen abzuar¬
beiten, wie man etwa ſpazieren geht, um ſich Mo¬
tion zu machen, war von jeher meine größte Wi¬
derwärtigkeit. Wäre ich recht arm geweſen, ich
hätte aus lauterer Langeweile arbeiten können, um
mir Geld zu erwerben, und hinterdrein die Leute
überredet, es geſchehe alles um des Staates wil¬
len, wie die anderen thun. Unter ſolchen morali¬
ſchen Betrachtungen ritt ich über das Gebirge fort,
und es that mir recht ohne allen Hochmuth leid,
wie da alle die Städte und Dörfer, gleich Ameiſen¬
haufen und Maulwurfshügeln, ſo tief unter mir
lagen; denn ich habe nie mehr Menſchenliebe, als
wenn ich weit von den Menſchen bin. Da wurde
es nach und nach ſchwül und immer ſchwüler unten
über dem deutſchen Reiche, die Donau ſah ich wie
eine ſilberne Schlange durch das unendliche, blau¬
ſchwüle Land geh'n, zwey Gewitter, dunkel, ſchwer
und langſam ſtanden am äuſſerſten Horizonte gegen¬
einander auf; ſie blizten und donnerten noch nicht,
es war eine erſchreckliche Stille. — Ich erinnere
mich, wie frey mir zu Muthe wurde, als ich end¬
lich die erſten Soldaten unten über die Hügel kom¬
men und hin und wiederreiten, wirren und blitzen
ſah.

Ich zog in den Krieg hinunter. Was da ge¬
ſchah, iſt Dir bekannt. Nach der großen Schlacht,
die wir verlohren, war das Korps, zu dem ich ge¬
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Meinigen getrennt. Ich ſuchte durch verſchiedene

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[361/0367] Schlechten, blos um der Thätigkeit willen abzuar¬ beiten, wie man etwa ſpazieren geht, um ſich Mo¬ tion zu machen, war von jeher meine größte Wi¬ derwärtigkeit. Wäre ich recht arm geweſen, ich hätte aus lauterer Langeweile arbeiten können, um mir Geld zu erwerben, und hinterdrein die Leute überredet, es geſchehe alles um des Staates wil¬ len, wie die anderen thun. Unter ſolchen morali¬ ſchen Betrachtungen ritt ich über das Gebirge fort, und es that mir recht ohne allen Hochmuth leid, wie da alle die Städte und Dörfer, gleich Ameiſen¬ haufen und Maulwurfshügeln, ſo tief unter mir lagen; denn ich habe nie mehr Menſchenliebe, als wenn ich weit von den Menſchen bin. Da wurde es nach und nach ſchwül und immer ſchwüler unten über dem deutſchen Reiche, die Donau ſah ich wie eine ſilberne Schlange durch das unendliche, blau¬ ſchwüle Land geh'n, zwey Gewitter, dunkel, ſchwer und langſam ſtanden am äuſſerſten Horizonte gegen¬ einander auf; ſie blizten und donnerten noch nicht, es war eine erſchreckliche Stille. — Ich erinnere mich, wie frey mir zu Muthe wurde, als ich end¬ lich die erſten Soldaten unten über die Hügel kom¬ men und hin und wiederreiten, wirren und blitzen ſah. Ich zog in den Krieg hinunter. Was da ge¬ ſchah, iſt Dir bekannt. Nach der großen Schlacht, die wir verlohren, war das Korps, zu dem ich ge¬ hörte, erſchlagen und zerſprengt, ich ſelber von den Meinigen getrennt. Ich ſuchte durch verſchiedene

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/367>, abgerufen am 15.05.2024.