Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Er setzte sich voller Gedanken auf das steinerne
Grabmal und sah in die Thäler hinunter, wie die
Welt da nur noch in einzelnen, großen Farbenmas¬
sen durcheinanderarbeitete, in welche Thürme und
Dörfer langsam versanken, bis es dann stille wurde
wie über einem beruhigten Meere. Nur das Kreutz
auf ihrem Berge oben funkelte noch lange golden
fort.

Da hörten sie auf einmal hinter ihnen eine
Schalmey über die Berge wehen; die Töne blie¬
ben oft in weiter Ferne aus, dann brachen sie auf
einmal wieder mit neuer Gewalt durch die ziehen¬
den Wolken herüber. Sie sprangen freudig auf.
Sie zweifelten längst nicht mehr, daß sie sich in
dem Gebiete des sonderbaren Mannes befänden, zu
dem sie von Erwin hingewiesen worden. Um desto
willkommener war es ihnen, endlich einen Menschen
zu finden, der ihnen aus diesem wunderbaren La¬
byrinthe heraushälfe, in dem ihre Augen so wie
Gedanken verwirrt und verlohren waren. Sie be¬
stiegen daher schnell ihre Pferde und ritten jenen
Klängen nach.

Die Töne führten sie immerfort bergan zu ei¬
ner ungeheueren Höhe, die immer öder und ver¬
lassener wurde. Ganz oben erblickten sie endlich ei¬
nen Hirten, welcher, auf der Schalmey blasend,
seine Heerde in der Dämmerung vor sich her nach
Hause trieb. Sie grüßten ihn, er dankte und sah
sie ruhig und lange von oben bis unten an. Wem
dient ihr? fragte Leontin -- Dem Grafen. -- Wo

Er ſetzte ſich voller Gedanken auf das ſteinerne
Grabmal und ſah in die Thäler hinunter, wie die
Welt da nur noch in einzelnen, großen Farbenmaſ¬
ſen durcheinanderarbeitete, in welche Thürme und
Dörfer langſam verſanken, bis es dann ſtille wurde
wie über einem beruhigten Meere. Nur das Kreutz
auf ihrem Berge oben funkelte noch lange golden
fort.

Da hörten ſie auf einmal hinter ihnen eine
Schalmey über die Berge wehen; die Töne blie¬
ben oft in weiter Ferne aus, dann brachen ſie auf
einmal wieder mit neuer Gewalt durch die ziehen¬
den Wolken herüber. Sie ſprangen freudig auf.
Sie zweifelten längſt nicht mehr, daß ſie ſich in
dem Gebiete des ſonderbaren Mannes befänden, zu
dem ſie von Erwin hingewieſen worden. Um deſto
willkommener war es ihnen, endlich einen Menſchen
zu finden, der ihnen aus dieſem wunderbaren La¬
byrinthe heraushälfe, in dem ihre Augen ſo wie
Gedanken verwirrt und verlohren waren. Sie be¬
ſtiegen daher ſchnell ihre Pferde und ritten jenen
Klängen nach.

Die Töne führten ſie immerfort bergan zu ei¬
ner ungeheueren Höhe, die immer öder und ver¬
laſſener wurde. Ganz oben erblickten ſie endlich ei¬
nen Hirten, welcher, auf der Schalmey blaſend,
ſeine Heerde in der Dämmerung vor ſich her nach
Hauſe trieb. Sie grüßten ihn, er dankte und ſah
ſie ruhig und lange von oben bis unten an. Wem
dient ihr? fragte Leontin — Dem Grafen. — Wo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0401" n="395"/>
          <p>Er &#x017F;etzte &#x017F;ich voller Gedanken auf das &#x017F;teinerne<lb/>
Grabmal und &#x017F;ah in die Thäler hinunter, wie die<lb/>
Welt da nur noch in einzelnen, großen Farbenma&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en durcheinanderarbeitete, in welche Thürme und<lb/>
Dörfer lang&#x017F;am ver&#x017F;anken, bis es dann &#x017F;tille wurde<lb/>
wie über einem beruhigten Meere. Nur das Kreutz<lb/>
auf ihrem Berge oben funkelte noch lange golden<lb/>
fort.</p><lb/>
          <p>Da hörten &#x017F;ie auf einmal hinter ihnen eine<lb/>
Schalmey über die Berge wehen; die Töne blie¬<lb/>
ben oft in weiter Ferne aus, dann brachen &#x017F;ie auf<lb/>
einmal wieder mit neuer Gewalt durch die ziehen¬<lb/>
den Wolken herüber. Sie &#x017F;prangen freudig auf.<lb/>
Sie zweifelten läng&#x017F;t nicht mehr, daß &#x017F;ie &#x017F;ich in<lb/>
dem Gebiete des &#x017F;onderbaren Mannes befänden, zu<lb/>
dem &#x017F;ie von Erwin hingewie&#x017F;en worden. Um de&#x017F;to<lb/>
willkommener war es ihnen, endlich einen Men&#x017F;chen<lb/>
zu finden, der ihnen aus die&#x017F;em wunderbaren La¬<lb/>
byrinthe heraushälfe, in dem ihre Augen &#x017F;o wie<lb/>
Gedanken verwirrt und verlohren waren. Sie be¬<lb/>
&#x017F;tiegen daher &#x017F;chnell ihre Pferde und ritten jenen<lb/>
Klängen nach.</p><lb/>
          <p>Die Töne führten &#x017F;ie immerfort bergan zu ei¬<lb/>
ner ungeheueren Höhe, die immer öder und ver¬<lb/>
la&#x017F;&#x017F;ener wurde. Ganz oben erblickten &#x017F;ie endlich ei¬<lb/>
nen Hirten, welcher, auf der Schalmey bla&#x017F;end,<lb/>
&#x017F;eine Heerde in der Dämmerung vor &#x017F;ich her nach<lb/>
Hau&#x017F;e trieb. Sie grüßten ihn, er dankte und &#x017F;ah<lb/>
&#x017F;ie ruhig und lange von oben bis unten an. Wem<lb/>
dient ihr? fragte Leontin &#x2014; Dem Grafen. &#x2014; Wo<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[395/0401] Er ſetzte ſich voller Gedanken auf das ſteinerne Grabmal und ſah in die Thäler hinunter, wie die Welt da nur noch in einzelnen, großen Farbenmaſ¬ ſen durcheinanderarbeitete, in welche Thürme und Dörfer langſam verſanken, bis es dann ſtille wurde wie über einem beruhigten Meere. Nur das Kreutz auf ihrem Berge oben funkelte noch lange golden fort. Da hörten ſie auf einmal hinter ihnen eine Schalmey über die Berge wehen; die Töne blie¬ ben oft in weiter Ferne aus, dann brachen ſie auf einmal wieder mit neuer Gewalt durch die ziehen¬ den Wolken herüber. Sie ſprangen freudig auf. Sie zweifelten längſt nicht mehr, daß ſie ſich in dem Gebiete des ſonderbaren Mannes befänden, zu dem ſie von Erwin hingewieſen worden. Um deſto willkommener war es ihnen, endlich einen Menſchen zu finden, der ihnen aus dieſem wunderbaren La¬ byrinthe heraushälfe, in dem ihre Augen ſo wie Gedanken verwirrt und verlohren waren. Sie be¬ ſtiegen daher ſchnell ihre Pferde und ritten jenen Klängen nach. Die Töne führten ſie immerfort bergan zu ei¬ ner ungeheueren Höhe, die immer öder und ver¬ laſſener wurde. Ganz oben erblickten ſie endlich ei¬ nen Hirten, welcher, auf der Schalmey blaſend, ſeine Heerde in der Dämmerung vor ſich her nach Hauſe trieb. Sie grüßten ihn, er dankte und ſah ſie ruhig und lange von oben bis unten an. Wem dient ihr? fragte Leontin — Dem Grafen. — Wo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/401
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/401>, abgerufen am 13.05.2024.