Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

auf mein Pferd und jagte der Spur des Wagens
nach, die noch deutlich zu kennen war. Ich war
vollkommen entschlossen, Angelina und ihren Ent¬
führer todtzuschießen. -- So erbärmliches Zeug ist
die Liebe, diese liederliche Anspannung der Seele! --

So durchstreifte ich fast ganz Italien nach allen
Richtungen, ich fand sie nimmermehr. Als ich end¬
lich, erschöpft von den vielen Zügen, auf den letz¬
ten Gipfeln der Schweitz ankam, schauderte mir,
als ich da auf einmal aus dem italienischen Glanze
nach Deutschland hinab sah, wie das so ganz an¬
ders, still und ernsthaft mit seinen dunklen Wäl¬
dern, Bergen und dem königlichen Rheine da lag.
-- Ich hatte keine Sehnsucht mehr nach der Ferne
und versank in eine öde Einsamkeit. Mit meiner
Kunst war es aus. --

Dagegen lockte mich nun bald die Philosophie
unwiderstehlich in ihre wunderbaren Tiefen. Die
Welt lag wie ein großes Räthsel vor mir, die
vollen Ströme des Lebens rauschten geheimnißvoll,
aber vernehmlich, an mir vorüber, mich dürstete un¬
endlich nach ihren heiligen, unbekannten Quellen.
Der kühnere Hang zum Tiefsinn war eigentlich mein
angebohrnes Naturell. Schon als Kind hatte ich
oft meinen Hofmeister durch seltsame, ungewöhnliche
Fragen in Verwirrung gebracht, und selbst meine
ganze Mahlerey war im Grunde nur ein falsches
Streben, das Unaussprechliche auszusprechen, das
Undarstellbare darzustellen. Besonders verspürte ich
schon damals dieses Gelüst vor manchen Bildern

auf mein Pferd und jagte der Spur des Wagens
nach, die noch deutlich zu kennen war. Ich war
vollkommen entſchloſſen, Angelina und ihren Ent¬
führer todtzuſchießen. — So erbärmliches Zeug iſt
die Liebe, dieſe liederliche Anſpannung der Seele! —

So durchſtreifte ich faſt ganz Italien nach allen
Richtungen, ich fand ſie nimmermehr. Als ich end¬
lich, erſchöpft von den vielen Zügen, auf den letz¬
ten Gipfeln der Schweitz ankam, ſchauderte mir,
als ich da auf einmal aus dem italieniſchen Glanze
nach Deutſchland hinab ſah, wie das ſo ganz an¬
ders, ſtill und ernſthaft mit ſeinen dunklen Wäl¬
dern, Bergen und dem königlichen Rheine da lag.
— Ich hatte keine Sehnſucht mehr nach der Ferne
und verſank in eine öde Einſamkeit. Mit meiner
Kunſt war es aus. —

Dagegen lockte mich nun bald die Philoſophie
unwiderſtehlich in ihre wunderbaren Tiefen. Die
Welt lag wie ein großes Räthſel vor mir, die
vollen Ströme des Lebens rauſchten geheimnißvoll,
aber vernehmlich, an mir vorüber, mich dürſtete un¬
endlich nach ihren heiligen, unbekannten Quellen.
Der kühnere Hang zum Tiefſinn war eigentlich mein
angebohrnes Naturell. Schon als Kind hatte ich
oft meinen Hofmeiſter durch ſeltſame, ungewöhnliche
Fragen in Verwirrung gebracht, und ſelbſt meine
ganze Mahlerey war im Grunde nur ein falſches
Streben, das Unausſprechliche auszuſprechen, das
Undarſtellbare darzuſtellen. Beſonders verſpürte ich
ſchon damals dieſes Gelüſt vor manchen Bildern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0437" n="431"/>
auf mein Pferd und jagte der Spur des Wagens<lb/>
nach, die noch deutlich zu kennen war. Ich war<lb/>
vollkommen ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, Angelina und ihren Ent¬<lb/>
führer todtzu&#x017F;chießen. &#x2014; So erbärmliches Zeug i&#x017F;t<lb/>
die Liebe, die&#x017F;e liederliche An&#x017F;pannung der Seele! &#x2014;</p><lb/>
          <p>So durch&#x017F;treifte ich fa&#x017F;t ganz Italien nach allen<lb/>
Richtungen, ich fand &#x017F;ie nimmermehr. Als ich end¬<lb/>
lich, er&#x017F;chöpft von den vielen Zügen, auf den letz¬<lb/>
ten Gipfeln der Schweitz ankam, &#x017F;chauderte mir,<lb/>
als ich da auf einmal aus dem italieni&#x017F;chen Glanze<lb/>
nach Deut&#x017F;chland hinab &#x017F;ah, wie das &#x017F;o ganz an¬<lb/>
ders, &#x017F;till und ern&#x017F;thaft mit &#x017F;einen dunklen Wäl¬<lb/>
dern, Bergen und dem königlichen Rheine da lag.<lb/>
&#x2014; Ich hatte keine Sehn&#x017F;ucht mehr nach der Ferne<lb/>
und ver&#x017F;ank in eine öde Ein&#x017F;amkeit. Mit meiner<lb/>
Kun&#x017F;t war es aus. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Dagegen lockte mich nun bald die Philo&#x017F;ophie<lb/>
unwider&#x017F;tehlich in ihre wunderbaren Tiefen. Die<lb/>
Welt lag wie ein großes Räth&#x017F;el vor mir, die<lb/>
vollen Ströme des Lebens rau&#x017F;chten geheimnißvoll,<lb/>
aber vernehmlich, an mir vorüber, mich dür&#x017F;tete un¬<lb/>
endlich nach ihren heiligen, unbekannten Quellen.<lb/>
Der kühnere Hang zum Tief&#x017F;inn war eigentlich mein<lb/>
angebohrnes Naturell. Schon als Kind hatte ich<lb/>
oft meinen Hofmei&#x017F;ter durch &#x017F;elt&#x017F;ame, ungewöhnliche<lb/>
Fragen in Verwirrung gebracht, und &#x017F;elb&#x017F;t meine<lb/>
ganze Mahlerey war im Grunde nur ein fal&#x017F;ches<lb/>
Streben, das Unaus&#x017F;prechliche auszu&#x017F;prechen, das<lb/>
Undar&#x017F;tellbare darzu&#x017F;tellen. Be&#x017F;onders ver&#x017F;pürte ich<lb/>
&#x017F;chon damals die&#x017F;es Gelü&#x017F;t vor manchen Bildern<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[431/0437] auf mein Pferd und jagte der Spur des Wagens nach, die noch deutlich zu kennen war. Ich war vollkommen entſchloſſen, Angelina und ihren Ent¬ führer todtzuſchießen. — So erbärmliches Zeug iſt die Liebe, dieſe liederliche Anſpannung der Seele! — So durchſtreifte ich faſt ganz Italien nach allen Richtungen, ich fand ſie nimmermehr. Als ich end¬ lich, erſchöpft von den vielen Zügen, auf den letz¬ ten Gipfeln der Schweitz ankam, ſchauderte mir, als ich da auf einmal aus dem italieniſchen Glanze nach Deutſchland hinab ſah, wie das ſo ganz an¬ ders, ſtill und ernſthaft mit ſeinen dunklen Wäl¬ dern, Bergen und dem königlichen Rheine da lag. — Ich hatte keine Sehnſucht mehr nach der Ferne und verſank in eine öde Einſamkeit. Mit meiner Kunſt war es aus. — Dagegen lockte mich nun bald die Philoſophie unwiderſtehlich in ihre wunderbaren Tiefen. Die Welt lag wie ein großes Räthſel vor mir, die vollen Ströme des Lebens rauſchten geheimnißvoll, aber vernehmlich, an mir vorüber, mich dürſtete un¬ endlich nach ihren heiligen, unbekannten Quellen. Der kühnere Hang zum Tiefſinn war eigentlich mein angebohrnes Naturell. Schon als Kind hatte ich oft meinen Hofmeiſter durch ſeltſame, ungewöhnliche Fragen in Verwirrung gebracht, und ſelbſt meine ganze Mahlerey war im Grunde nur ein falſches Streben, das Unausſprechliche auszuſprechen, das Undarſtellbare darzuſtellen. Beſonders verſpürte ich ſchon damals dieſes Gelüſt vor manchen Bildern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/437
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/437>, abgerufen am 13.05.2024.